Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 273 vom 25. November 2014: Bitte HIER klicken![1]
Wendepunkt Ferguson
Wie ein Fieberschub brach in den Abendstunden des vergangenen Montags eine lang erwartete Nachricht über viele Menschen herein, aber anders als ein Fieber brachte sie keinerlei Linderung. Denn was an jenem Abend vermeldet wurde, war aus Sicht der schwarzen Bevölkerung keine gute Nachricht. Die zwölfköpfige Grand Jury der Staatsanwaltschaft, die in Clayton, Missouri, den Mord an dem schwarzen Teenager Michael Brown untersucht hatte, fasste nach tagelangen Beratungen ihre Entscheidung mit einer gängigen juristischen Formulierung zusammen: »No true bill« – keine hinreichenden Beweise für eine Anklage, also kein Fall für die Gerichte. Und das trotz der Tatsache, dass Brown unbewaffnet war, als er mit sechs Schüssen aus der Waffe des Polizisten Darren Wilson umgebracht wurde. Keine Anklage!
Der Name »Ferguson« wird damit Teil einer historischen Liste mit Ortsnamen, die mit Schmerz, Verlust und dem Tod von Schwarzen verbunden sind. Orte wie Birmingham und Philadelphia gehören dazu. Birmingham, wo im September 1963 durch einen rassistischen Bombenanschlag auf die 16th Street Baptist Church vier Mädchen getötet wurden, und Philadelphia, wo die Polizei im Mai 1985 eine Bombe auf ein Wohnhaus der Move-Organisation warf und elf Menschen tötete, darunter vier Kinder. Und nun auch Ferguson. Dieser Name hat seit August 2014 seine eigene besondere Bedeutung bekommen.
Für junge Leute, von denen viele jetzt als Aktivisten neue Erfahrungen machen, weil sie sich aufgefordert sahen, ihren Protest gegen unvergleichliche Polizeigewalt und die Legalisierung von Straflosigkeit auf die Straße zu tragen, heißt die Herausforderung dieser Tage: wie weitermachen, wie den Kampf weiterführen? Und sich die Frage zu stellen, welcher Kampf überhaupt der richtige ist. Manche werden sich niedergeschlagen davonmachen und versuchen, diese scheußliche Episode aus ihrer Erinnerung zu streichen. Andere werden sich radikalisieren, überzeugt davon, dass dieser Fall der absolute Inbegriff rassistischer Ungerechtigkeit ist. Möglicherweise wird sich Ferguson aber auch als Wendepunkt erweisen, zu einem Zeitpunkt, an dem die Nation deutlich macht, dass sie den falschen Weg eingeschlagen hat.
Übersetzung: Jürgen Heiser