Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 272 – 24. November 2014 / Link zum Artikel in junge Welt - Bitte HIER klicken![1]
Ein Mörder ist kein Schinkensandwich
Die Nerven der Bevölkerung in der Kleinstadt Ferguson im US-Bundesstaat Missouri sind seit gut einer Woche zum Zerreißen gespannt. Der Grund dafür ist, dass jeden Tag die Entscheidung der Grand Jury im Fall des schwarzen Teenagers Michael Brown erwartet wird, ob der weiße Polizeibeamte Darren Wilson, der den 17jährigen Jugendlichen am 9. August 2014 mit sechs Schüssen umgebracht hat, dafür angeklagt wird. Aber wieso ist hier eigentlich die Rede von einer »Entscheidung der Grand Jury«? In Wahrheit ist es nicht die zwölfköpfige Anklagejury, die irgend etwas entscheidet. Es ist der Bezirksstaatsanwalt, der über die alleinige Entscheidungsgewalt verfügt. Im Volksmund sagt man deshalb, dass ein Staatsanwalt eine Grand Jury sogar dazu bringen kann, ein Schinkensandwich anzuklagen und vor Gericht zu bringen – wenn er nur will. Aber in diesem Fall wird der Staatsanwalt es gar nicht wollen, weil nicht nur ihm eine Anklage gegen Darren Wilson überhaupt nicht in den Kram passt.
Normalerweise bekommt die Öffentlichkeit nichts mit von der Arbeit einer Grand Jury, weil sie eine geheim tagende Ermittlungsinstanz ist, in der Laien als Geschworene sitzen – über deren Auswahl allein der Staatsanwalt bestimmt. Die im August eingesetzte Grand Jury in Ferguson hält allerdings so dicht wie ein Sieb. Aus ihr drangen zahlreiche Gerüchte nach draußen, die klarmachen, dass bereits die Weichen für ein Votum gestellt sind, in dem es heißen wird: »Angesichts der Beweislage ist eine Anklage nicht gerechtfertigt«.
1985 gab es in Philadelphia einen ähnlichen Fall. Eine Grand Jury sollte darüber befinden, ob Polizisten, die eine Bombe aus einem Hubschrauber auf ein Wohnhaus der Move-Organisation geworfen und damit elf Männer, Frauen und Kinder umgebracht und ein ganzes Viertel mit sechzig Häusern in Brand gesetzt hatten, wegen dieses Verbrechens unter Anklage gestellt werden sollten. Monat für Monat verging, bis dann endlich eines Tages das Votum der Grand Jury verkündet wurde: »Angesichts der Beweislage ist eine Anklage nicht gerechtfertigt.« Der Bezirksstaatsanwalt, der dieses Justiztheater veranstaltet hatte, wurde später sogar zum vorsitzenden Richter am Obersten Gerichtshof von Pennsylvania ernannt: Ronald D. Castille, der Ende des Jahres in den Ruhestand gehen wird. Auch er handelte nach der Devise, dass eine Grand Jury in der Lage ist, ein Schinkensandwich anzuklagen – wenn sie nur will.
Übersetzung: Jürgen Heiser