Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 207 – 6./7. September 2014
Kaum war der Leichnam von Michael Brown der Erde übergeben worden, packten die Rundfunk- und Pressereporter ihre Gerätschaften zusammen, verließen ihre Hotels und brachen auf, um nach neuen Sensationen, Bildern und Geschichten Ausschau zu halten. Es war ohnehin verwunderlich, daß das tragische Geschehen überhaupt landesweit auf das Interesse der Redaktionen stieß, noch dazu in der Dauer und der Intensität. Das kam bisher eher selten vor. Denn für Reporter ist es so, daß Storys kommen und gehen. Und nun ist eben auch die »Brown-Story« »gestorben«.
Zum Teil ist der Rückzug der Medien auch eine Konsequenz aus ihrer eigenen pausenlosen Propaganda gegen die »Aufwiegler von außerhalb«. Sie sollten aus der Stadt gejagt werden. Mit den angeblich gewaltbereiten »Unruhestiftern« aus anderen Städten, die sich solidarisch an den Protestaktionen beteiligt hatten, verschwanden dann leider auch die Spannungen wieder, von denen die Reporter leben.
Spannungen, oder mit den Worten von Martin Luther King jr., »kreative Spannungen« sind aber der Stoff, der Proteste belebt und Bewegungen vorwärtstreibt. Das ist dann immer der Moment, in dem die führenden Köpfe der Bewegungsexperten auf den Plan treten, die Anwälte, Priester und Politiker. Ihr Job ist es, Spannungen abzubauen, Bewegungen zu entradikalisieren und sie beherrschbar zu machen. Sind sie erst einmal unter der Kontrolle dieser Experten, dann verlieren sie schon bald ihre Massenbasis und damit ihre soziale Sprengkraft. Die Massen sind es, die die wahre Natur der Polizisten am besten kennen. Sie haben täglich mit ihnen zu tun und erleben sie als gewalttätige, brutale und korrupte Staatsdiener. Und deshalb wollen sie sich gegen sie zur Wehr zu setzen.
Bewegungen sind so ähnlich wie Vulkane. Lange Zeit sind sie untätig, scheinen zu schlafen. Aber dann plötzlich, an einem Tag, den niemand vorhergesehen hat, drängen bislang unsichtbare Kräfte aus dem Untergrund nach oben, drängen wogend, brodelnd und lärmend gegen alles, was sich ihnen in den Weg stellt. Der Vulkan explodiert und schleudert seine rotglühende Wut meilenweit in die Höhe, und nichts ist mehr wie zuvor. Genau so sind Bewegungen, und genau das tun sie, und wenn sie heftig genug sind, dann können sie alles verändern. Wirklich alles. Die Gegenkräfte aus Politik, Medien und Staat jedoch wollen keine Veränderungen. Diese Leute wollen weitermachen wie bisher, weil sie nur so ihre Profite und ihre Macht sichern können. Und wer von denen will schon das eine oder das andere davon verlieren? Deshalb soll jetzt wieder der Schleier des Vergessens über der Tragödie von Ferguson ausgebreitet werden – bis zum nächsten Mal.
Übersetzung: Jürgen Heiser