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NEBELMASCHINE DES KRIEGES
Chelsea Mannings Gastkommentar über das US-Militär und die Freiheit der Medien
Von Chelsea Manning
14. Juni 2014
Fort Leavenworth, Kansas. — Als ich mich 2010 dazu entschloß, geheime Verschlußsachen zu veröffentlichen, tat ich dies aus Liebe zu meinem Land und um der Allgemeinheit einen Dienst zu erweisen. Für diese nicht autorisierte Offenlegung von Dokumenten sitze ich derzeit eine 35jährige Haftstrafe ab. Ich bin mir bewußt, daß mein Handeln gegen Gesetze verstieß.
Die Probleme, die mich dazu veranlaßten, sind indes immer noch nicht gelöst. Angesichts der Tatsache, daß der Irak im Bürgerkrieg versinkt und die USA wieder eine Intervention in Erwägung ziehen, sollte dieser ungelöste Konflikt dazu führen, mit neuem Nachdruck die Frage zu untersuchen, wie das US-Militär die Medienberichterstattung über sein Engagement dort und in Afghanistan steuert. Ich glaube, daß die gegenwärtigen Einschränkungen der Pressefreiheit und das übermäßig intransparente Regierungshandeln es US-Bürgern unmöglich macht, vollständig zu erfassen, was in den Kriegen geschieht, die wir finanzieren.
Wenn Sie im März 2010 die Nachrichten über die Wahlen im Irak verfolgt haben, werden Sie sich daran erinnern, daß die US-Presse eine Flut von Berichten veröffentlichte, in denen diese Wahlen zu einem Erfolg erklärt wurden, ergänzt durch optimistische Anekdoten und Fotos von irakischen Frauen, die stolz ihre in Tinte getauchten Finger zeigten. Die Botschaft war, daß die Militäroperationen der USA erfolgreich dazu beitragen, einen stabilen und demokratischen Irak zu schaffen.
Uns jedoch, die wir dort stationiert waren, war völlig klar, daß wir es mit einer komplizierteren Realität zu tun hatten.
Über meinen Schreibtisch liefen militärische und diplomatische Berichte, in denen detailliert die Rede davon war, wie brutal das irakischen Innenministerium und die irakische Bundespolizei auf Befehl von Premierminister Nuri Kamal al-Maliki gegen politische Dissidenten durchgriff. Häftlinge wurden oft gefoltert oder sogar getötet.
Zu Beginn dieses Jahres (2010) erhielt ich den Befehl, gegen 15 Personen zu ermitteln, die die Bundespolizei unter dem Verdacht verhaftet hatte, »anti-irakische Literatur« gedruckt zu haben. Ich gelangte zu der Erkenntnis, daß diese Personen absolut keine Verbindungen zum Terrorismus unterhielten; sie hatten lediglich eine akademische Kritik an der Regierung von Herrn Maliki veröffentlicht. Das Ergebnis meiner Ermittlungen leitete ich dem diensthabenden Offizier in Ost-Bagdad zu. Er antwortete, er könne diese Information nicht gebrauchen; ich solle stattdessen der Bundespolizei dabei helfen, mehr »anti-irakische« Druckereien zu finden.
Ich war schockiert darüber, wie sich unser Militär zum Komplizen der korrupten Wahlen machte. Diese zutiefst besorgniserregenden Details wurden jedoch von den Radarschirmen der US-Medien nicht wahrgenommen.
Es war nicht das erste (oder letzte) Mal, daß ich mich gezwungen sah, die Art und Weise, wie wir unsere Mission in Irak durchführten, zu hinterfragen. Wir Nachrichtenanalysten und die Offiziere, denen gegenüber wir zur Berichterstattung verpflichtet waren, hatten einen so umfassenden Überblick über das Kriegsgeschehen, wie ihn nur wenige andere hatten. Wie konnten hochrangige Entscheidungsträger behaupten, die amerikanische Öffentlichkeit oder sogar der Kongreß würden unseren Einsatz in dem Konflikt unterstützen, wenn sie nicht einmal die halbe Wahrheit kannten?
Als ich 2009 und 2010 im Irak arbeitete, fand ich unter den vielen Tagesrapporten, die ich per E-Mail erhielt, einen internen Bericht der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit, der jüngst erschienene Pressemeldungen über die amerikanische Mission in Irak enthielt. Es gehörte zu meinen Routineaufgaben, für die Übersicht über die Öffentlichkeitsarbeit, die vom Führungsstab in Ost-Bagdad gelesen wurde, alle Meldungen in einem Satz zusammenzufassen, um unsere Analyse durch die örtliche Nachrichtenlage zu ergänzen.
Je mehr ich tägliche Vergleiche zwischen den Meldungen drüben in den Staaten und den hiesigen militärischen und diplomatischen Berichten anstellte, die mir als Analyst zur Verfügung standen, desto mehr wurde mir das Mißverhältnis zwischen beiden bewußt. Im Gegensatz zu den zuverlässigen, differenzierten Berichten, die wir vor Ort erstellten, waren die Meldungen, die der Öffentlichkeit (in den USA) präsentiert wurden, voller nebulöser Mutmaßungen und Vereinfachungen.
Ein Schlüssel zu diesen Verzerrungen lag in den Berichten der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit. Unterhalb der Kopfzeile jedes Berichts war die Anzahl der eingebetteten Journalisten vermerkt, die den US-Militäreinheiten in einer Kampfzone angegliedert waren. Während meiner gesamten Stationierungszeit war diese Zahl niemals höher als 12. Mit anderen Worten, im gesamten Territorium Iraks mit 31 Millionen Einwohnern und 117000 US-Soldaten haben nie mehr als ein Dutzend US-Journalisten unmittelbar über die Militäroperationen berichtet.
Der Prozeß zur Begrenzung des freien Zugangs der Presse zu einer Konfliktzone beginnt schon dann, wenn ein Reporter den Status als eingebetteter Journalist beantragt. Alle Reporter werden von den beim Militär für die Öffentlichkeitsarbeit zuständigen Offizieren gründlich überprüft. Dieses System ist alles andere als unvoreingenommen. Es überrascht nicht, daß Reporter, die schon gute Beziehungen zum Militär unterhalten, größere Chancen haben, akkreditiert zu werden.
Weniger bekannt ist, daß auch Journalisten, die auf der Basis ihrer bisherigen Berichterstattung von privaten »Contractor«-Firmen als Verfasser von »gefälligen« Reportagen eingestuft werden, Vorrang vor anderen erhalten. Dieses an Privatfirmen ausgelagerte »Gefälligkeits«-Rating, in dem jeder Antragsteller eingestuft wird, dient dazu, diejenigen herauszufiltern, von denen man annimmt, daß sie wahrscheinlich eher kritische Reportagen schreiben.
Wenn Reporter erfolgreich ihren eingebetteten Status in Irak beantragt hatten, mußten sie obligatorisch eine Vereinbarung mit »Grundregeln« für die Medien unterzeichnen. Die für die Öffentlichkeitsarbeit zuständigen Armeeoffiziere erklärten dazu, dies diene dem Schutz der Einsatzsicherheit, aber es erlaube ihnen auch, die Akkreditierung eines eingebetteten Reporters unwiderruflich zu beenden.
Es gab zahlreiche Fälle, in denen Reportern wegen ihrer kontroversen Berichterstattung ihre Akkreditierung wieder entzogen wurde. 2010 wurde dem mittlerweile verstorbenen Reporter des Rolling Stone, Michael Hastings, seine Akkreditierung wieder entzogen, nachdem er kritische Bemerkungen General Stanley A. McChrystals und seines Stabes in Afghanistan über die Obama-Regierung veröffentlicht hatte. Ein Sprecher des Pentagon erklärte dazu: »Eingebettet zu sein ist ein Privileg und kein Recht.«
Wenn ein Reporter seinen eingebetteten Status aberkannt bekommt, wird er oder sie bezeichnenderweise auf eine schwarze Liste gesetzt. Dieses Programm des eingeschränkten Pressezugangs wurde 2013 von dem freiberuflichen Journalisten Wayne Anderson vor Gericht angefochten, der angab, er habe sich an die unterzeichnete Vereinbarung gehalten, habe aber seine Akkreditierung verloren, nachdem er negativ über den Krieg in Afghanistan berichtet hatte. Das Gerichtsurteil zu diesem Fall bestätigte die Position des Militärs, daß es kein durch die Verfassung geschütztes Anrecht darauf gibt, ein eingebetteter Journalist zu sein.
Das Programm für eingebettete Reporter, das in Afghanistan und in anderen Ländern, in die die Vereinigten Staaten ihre Truppen entsenden, fortbesteht, ist geprägt durch die Erfahrung des Militärs, wie die Berichterstattung der Medien die öffentliche Meinung während des Vietnamkriegs verändert hat. Die Torwächter (Gatekeeper) der militärischen Öffentlichkeitsarbeit verfügen über zu viel Macht: Weil Reporter befürchten müssen, daß ihnen ihre Akkreditierung wieder entzogen wird, neigen sie dazu, kontroverse Berichterstattung zu vermeiden, um keine Alarmglocken auszulösen.
Das bestehende Programm zwingt Journalisten dazu, untereinander in Konkurrenz zu treten, um den »besonderen Zugang« zu entscheidenden Themen der Außen- und Innenpolitik zu erhalten. Viel zu oft kommt es dadurch zu einer Berichterstattung, die hohen Entscheidungsträgern nach dem Munde redet. Im Ergebnis wird der Zugang der amerikanischen Öffentlichkeit zu den Fakten geschmälert, was ihr letztlich die Möglichkeit nimmt, das tatsächliche Handeln von US-Politikern einzuschätzen.
Journalisten müssen eine zentrale Rolle dabei spielen, eine Reformierung des Systems ihrer Einbettung zu fordern. Die Frage, ob die bisherige Berichterstattung von Journalisten gefällig war oder nicht, darf keinen Einfluß auf ihre Zulassung haben. Vielmehr sollte Transparenz das Akkreditierungsverfahren bestimmen, die von einer Instanz garantiert wird, die nicht der Kontrolle der für die Öffentlichkeitsarbeit Verantwortlichen unterliegt. Ein unabhängiges Gremium, das aus Militärs, Veteranen, Zivilangestellten des Pentagon und Journalisten besteht, könnte für eine Balance sorgen zwischen dem Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Information und dem Bedürfnis des Militärs nach Sicherheit.
Reporter sollten frühzeitig Zugang zu Informationen erhalten. Das Militär könnte weitaus mehr dafür tun, die rasche Freigabe jener Informationen zu ermöglichen, von denen keine Gefährdung für die militärischen Missionen ausgeht. Die »Significant Activity Reports« des Militärs (Erfassung »bedeutender Aktivitäten« der eigenen Verbände; jW) liefern beispielsweise einen schnellen Überblick über Ereignisse wie Angriffe und Verluste. Oftmals standardmäßig als Verschlußsachen klassifiziert, könnten gerade sie jedoch Journalisten helfen, Fakten präzise wiederzugeben.
Nach aktuellen Meinungsumfragen hat das Vertrauen der US-Bürger in ihre gewählten Vertreter ein Rekordtief erreicht. Würde der Zugang der Medien zu diesem entscheidenden Aspekt des Lebens unserer Nation – dem Einsatz der Männer und Frauen seiner bewaffneten Streitkräfte – verbessert, wäre das ein gewaltiger Schritt vorwärts, das Vertrauen zwischen Wählern und Mandatsträgern wiederherzustellen.
Chelsea Manning ist eine ehemalige Nachrichtenanalystin der US-Armee.
Quelle New York Times Sunday Review:
http://www.nytimes.com/2014/06/15/opinion/sunday/chelsea-manning-the-us-militarys-campaign-against-media-freedom.html?_r=2[1]
Übersetzung: Jürgen Heiser