Kolumne # 695 vom 19.04.2014: Walze der Repression

19.04.14 (von maj) Vor 50 Jahren wurde die Rassentrennung gesetzlich aufgehoben. Schwarze werden weiter diskriminiert

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 92 – 19./20./21. April 2014

Wie den US-Medien zu entnehmen ist, kann die schwarze Bürgerrechtsbewegung in diesem Jahr ihr 50. Jubiläum feiern. Als Markierungspunkt gilt das Bürgerrechtsgesetz, das 1964 unter der Regierung von US-Präsident Lyndon B. Johnson verabschiedet wurde. Dieser Fakt ist zwar unbestreitbar, aber es kann genauso wenig bestritten werden, daß für die große Mehrheit der schwarzen Bevölkerung immer noch keine besseren Zeiten angebrochen sind. Nur für die neu entstandene schwarze Bourgeoisie brachte das Bürgerrechtsgesetz eine Verbesserung und öffnete ihr bislang verschlossene Türen. Für die schwarze Arbeiterklasse und die in Armut lebenden afroamerikanischen Bevölkerungsteile jedoch hat sich seitdem wenig verändert.
Der Rechtswissenschaftlerin Michelle Alexander zufolge brach für diese lediglich die Zeit ungeschriebener »Jim-Crow-Gesetze« zur Aufrechterhaltung der weißen Vorherrschaft an. Diese traten an die Stelle der abgeschafften gleichnamigen Gesetze, mit denen die US-Südstaaten die Schwarzen auch nach ihrer Befreiung aus der Sklaverei weiter diskriminiert hatten. Alexander nennt ihre schwarzen Landsleute deshalb eine »dunkle Kaste«, die dazu ausersehen ist, rechtlos im Gefängnis zu landen. Die zunehmende Masseninhaftierung ist in den USA ein Phänomen geworden, das Millionen von Menschen ihrer Hoffnungen und Träume beraubt. Für sie sind die Bürgerrechte deshalb so weit entfernt wie die Phase der »Reconstruction«, die Phase des Wiederaufbaus nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg, die ursprünglich die Integration der ehemaligen Sklaven in die weiße Gesellschaft zum Ziel hatte.
Doch auch heute können Afroamerikaner immer noch nicht unbehelligt Auto fahren, einkaufen gehen oder sich auf offener Straße bewegen, ohne von irgendeinem Polizisten angehalten und einzig und allein wegen ihrer Hautfarbe kontrolliert zu werden. Was nützen ihnen also Bürgerrechte, wenn sie nur auf dem Papier stehen? Sie hören die schönen Reden ihrer sogenannten Wortführer und müssen sich fragen: Über welche Welt reden die eigentlich? Politiker und Propagandisten des herrschenden Systems mögen Lobreden auf 50 Jahre zurückliegende Ereignisse halten, aber die Mehrheit der Schwarzen hat keinen Grund zum Jubeln, weil ihr Leben die Hölle ist. Ihre Erfahrung ist, daß die Versprechungen der Bürgerrechte zermalmt werden unter der Walze der Repression, die Tag und Nacht über ihr Leben hinwegrollt. Letzten Endes sind die »neuen« Jim-Crow-Gesetze deshalb nicht wirklich neu für sie.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 23.11.2024 um 14:13:31 Uhr