Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 69 – 22./23. März 2014
Die Länder der Region, die wir arroganterweise den Nahen Osten nennen (die Frage ist ja, »naher« Osten in bezug auf wen oder was, Europa etwa?), befinden sich gegenwärtig vor allem wegen der Habgier und Anmaßungen Europas und der USA und dem dort vorherrschenden Denken weißer Vorherrschaft in einem desaströsen Zustand. Die Bevölkerung des Iran leidet unter den schmerzhaften Sanktionen des Westens, während jene, die das Land Irak zerstört haben und sektiererische Kräfte stärken, die ethnische und religiöse Rivalitäten bis zur Raserei schüren und damit das Land in den Bürgerkrieg treiben, keine Konsequenzen zu fürchten haben. Irak ist heute ein Leichenhaus, das die gesamte Region mit Wellen von Chaos, Zerstörung und Destabilisierung überzieht. Das alles sind die bitteren Früchte der vor Beginn des Krieges von den USA in die Welt gesetzten Lüge von den angeblich vorhandenen »Massenvernichtungswaffen«.
Vor einigen Jahrzehnten hatte ich als junger Journalist Gelegenheit, mit einer Gruppe iranischer Studentinnen und Studenten zu sprechen. Ich berichtete damals über eine Reihe von Demonstrationen, zu denen die iranische Studentenvereinigung »Iranian Students Association« (ISA) aufgerufen hatte. Sie marschierten durch die Straßen Philadelphias und skandierten laut die Parole »Nieder mit dem Schah!« Als ich dann ein Interview mit einer Gruppe von ihnen machte, erzählten sie mir vom unrechtmäßig erworbenen Reichtum des Pfauenthrons und vom Terror des gefürchteten Geheimdienstes SAVAK. Der SAVAK, der sein mörderisches Handwerk bei der CIA und beim israelischen Geheimdienst Mossad erlernt hatte, machte damals das Leben für Iraner im In- und Ausland zur Hölle auf Erden.
Natürlich konnte damals niemand voraussagen, wie das Leben in Iran nach dem Sturz des Schah aussehen würde. Wir alle hatten keine Ahnung von der Zukunft. Aber wir wußten genug über die Vergangenheit, um daraus wertvolle Lehren zu ziehen – wenn wir nur bereit waren, etwas zu lernen. Zum Beispiel, daß ausländische Invasoren Chaos und Zerstörung bringen und Zwietracht säen. Und daß sie Probleme verschlimmern und nicht verbessern. Das ist die Lehre, die wir aus dem Sturz des vom Parlament gewählten iranischen Präsidenten Mohammed Mossedegh im August 1953 durch die CIA und den britischen Geheimdienst MI5 (Military Intelligence, Abteilung 5) ziehen können. Damit wurden die Grundlagen für die jahrzehntelange Herrschaft von Schah Reza Pahlavi, das Wüten des SAVAK und letztlich der Untergang des Schah und der Aufstieg und die Rolle der islamischen Geistlichen geschaffen. Die iranische Bevölkerung muß jedoch selbst über ihre Zukunft entscheiden und nicht ausländische Geheimdienste oder Armeen. Das alles ist jetzt über fünfzig Jahre her, und vielleicht wurde diese Lektion mittlerweile endlich begriffen.
Übersetzung: Jürgen Heiser