Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 33 – 8./9. Februar 2014
Für mehr als zwei Millionen Menschen in den USA besteht das Alltagsleben aus ununterbrochener Repression und Überwachung durch den Staat, denn sie fristen ihr Dasein in winzigen Zellen des Gefängnissystems. Während es im öffentlichen Diskurs permanent um Begriffe wie »Freizügigkeit« und »Freiheit« geht, ist es nur eine grausame Ironie zu nennen, daß eine nach Millionen zählende Bevölkerungsgruppe mit Leib und Seele einem System ausgeliefert ist, das sie permanent demütigt und ausbeutet.
Der gefängnisindustrielle Komplex ist eine Realität, und es leugnen nur diejenigen seine Existenz, die auch am meisten von ihm profitieren. Wie der Zauberer von Oz tun sie alles dafür, uns nur ja keinen Blick hinter die Kulissen werfen zu lassen. Der Grund ist klar: Gedeckt durch die Politik und mit Zustimmung der Justiz herrscht dort ungehemmte, entfesselte Macht, die im Namen der »Korrekturen« durch den Strafvollzug im Leben der zumeist aus armen Bevölkerungsschichten stammenden Betroffenen verheerende Schäden anrichtet. Welcher Art sind nun die »Korrekturen«, die dort vorgenommen werden? Es handelt sich dabei schlicht und einfach um Repression, die gegen Menschen gerichtet wird, die lebenslange Haftstrafen in finsteren Gefängnislöchern absitzen müssen. Sie sind nackter Brutalität ausgesetzt, die unter dem Deckmantel von »Recht und Gesetz« daherkommt.
Dank des ersten »schwarzen« Präsidenten Bill Clinton (wie ihn die Schriftstellerin Toni Morrison wegen seiner Herkunft aus einfachen Verhältnissen und der kruden Art nannte, wie ihn seine politischen Gegner behandelten, d. Red.), ist es jedoch praktisch unmöglich, gegen die Zustände in den Gefängnissen vor Gericht eine beweiskräftige Klage wegen Verletzung der Bürgerrechte zu erheben. Wie Clinton gezeigt hat, bedurfte es eines Neoliberalen seines Schlages, um eine Welle von Klagen von Gefangenen dadurch zu kontern, daß einfach die Gesetze geändert wurden, um es Klägern zu erschweren, sich an die Gerichte zu wenden. Getreu dem Motto: Verändere nicht die (Haft-)Bedingungen, verändere einfach die Gesetze! So sieht Neoliberalismus in der Praxis aus.
Und diese Gesetze sind bis heute immer noch in Kraft. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, daß jetzt ein Präsident mit schwarzer Hautfarbe im Weißen Haus regiert. Es ist eine simple Wahrheit, daß nicht Barack Obama allein über die Gesetze bestimmt, genausowenig wie er über die Haftbedingungen und die Lebensperspektiven der Gefangenen bestimmt, deren Chancen für ein Leben nach dem Gefängnis sich mehr und mehr verschlechtern. Daran hat sich auch unter dem ersten wirklich schwarzen US-Präsidenten rein gar nichts geändert.
Übersetzung: Jürgen Heiser