Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 21 – 25./26. Januar 2014
Wenn ein US-Präsident heutzutage ankündigt, eine Rede über seine Geheimdienste zu halten, dann richten sich alle Augen und Ohren auf ihn. Das ist vor allem dem ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden zu danken, der enthüllt hat, daß die Abhöreinrichtungen des militärischen US-Geheimdienstes NSA Milliarden und Abermilliarden von Bits an Informationen von US-Amerikanern und Ausländern empfangen, also potentiell von jedem auf dem Planeten. Aber dieser Präsident – klug, geschmeidig wie chinesische Seide und gutaussehend – schnappte sich das Mikrofon und versuchte, die Wogen zu glätten. Mit seiner Ansprache wollte er beiden Seiten, den Datenschützern und den Beamten des Sicherheitsapparats, etwas mitteilen, das sie mit nach Hause nehmen könnten. Was er sagte, war jedoch im wesentlichen eher dazu geeignet, die Ängste seiner Landsleute zu lindern, als die Überwachung durch den Staat herunterzufahren.
Als US-Präsident Barack Obama erklärte, die NSA höre keine Telefone ab, es sei denn, es läge eine ernsthafte Bedrohung für die nationale Sicherheit vor, klang er, offen gesagt, eher wie sein Vorgänger George W. Bush, was sicher auch in seiner Absicht lag. So sehr ich mich auch bemühte, konnte ich mich nicht der Rückbesinnung an Bushs Auftritt erwehren, als er an demselben Rednerpult mit dem Präsidentensiegel stand und vor Dutzenden Kameras erklärte: »Die Vereinigten Staaten foltern nicht.«
Obamas Äußerungen einmal ernst genommen, muß man sich unweigerlich fragen, ob etwa die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Bedrohung für die Sicherheit der USA darstellt? Oder die führenden Köpfe anderer Länder? Und wenn Obama versicherte, daß Telefongespräche von Regierungschefs jetzt nicht mehr abgehört würden, heißt das in letzter Konsequenz, daß künftig Politiker aus der zweiten Reihe noch viel stärker überwacht werden?
Davon sollte man in jedem Fall ausgehen. Schließlich ist das Geschäft von Geheimdiensten nun mal das Sammeln nachrichtendienstlich relevanter Informationen. So wie das Geschäft von Agenten das Ausspionieren von Menschen und Systemen ist. Solange Geheimdienste existieren, ist genau das ihre Aufgabe. Punkt. Sonst wären sie überflüssig. Und kein Präsident wird es wagen, ein solch mächtiges Instrument aus seinem Waffenarsenal in Frage zu stellen. Im Gegenteil – er wird die Arbeit seiner Geheimdienste stets begrüßen. Seit Harry S. Truman, in dessen Regierungszeit die Gründung der CIA im Jahr 1947 fällt, haben das alle US-Präsidenten bewiesen. Könnten Sie auch nur einen nennen, der die Geheimdienste nicht gegen seine Widersacher eingesetzt oder sich gar geweigert hätte, die von ihnen ermittelten Daten für die eigenen Zwecke zu nutzen? Nein, da fällt einem einfach niemand ein.
Bei all dem spielt es keine Rolle, daß Obama den Geheimdiensten der USA kritisch gegenüberstand, als er noch Senator des US-Bundesstaats Illinois war und für das Präsidentenamt kandidierte. Das änderte sich, sobald er dieses übernommen hatte, denn jetzt dienten sie ja ihm. Auch Truman leistete sich Kritik an der »Geheimniskrämerei« der Dienste, aber eben erst, als er nicht mehr Staatschef war. Das Amt nicht mehr auszuüben, bedeutet eben, keine Macht mehr auszuüben. Und John F. Kennedy, in Verlegenheit gebracht durch das Fiasko der gescheiterten Invasion in der kubanischen Schweinebucht, äußerte in einer Rede vor US-amerikanischen Zeitungsverlegern im April 1961, er würde die CIA am liebsten »in tausend Stücke zerschlagen«. Bedauerlicherweise lebte er nicht lange genug, um das auch zu realisieren. Und so erwartete auch Barack Obama wie jeder andere US-Präsident vor ihm von seinen Geheimdiensten mehr, als sie im letztlich liefern konnten.
Übersetzung: Jürgen Heiser