Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 254 – 2./3. November 2013
Der Nachrichtenfluß über die ausufernde Spionage der USA gegen die Regierungschefs und Bevölkerungen der meisten europäischen Länder zeugt von der Expansion des nationalen, nein, des internationalen Sicherheitsstaates. Spionage war seit jeher ein Instrument von Staaten gegen ihre Rivalen und Feinde. Durch die Enthüllungen von Edward Snowden, ehemals Analyst der US-Geheimdienste NSA und CIA, erfuhren wir, daß die USA dem Ausspionieren von Verbündeten die gleiche oder sogar eine noch größere Bedeutung beimessen.
Seit den finsteren Tagen des ehemaligen US-Präsidenten Richard M. Nixon, der berüchtigt dafür war, daß er Dissidenten wie die Aktivisten der Friedens- und der schwarzen Freiheitsbewegung sowie der Bewegung für die Rechte der nordamerikanischen Indianer abhören und die belauschten Gespräche auf Tonbändern aufzeichnen ließ, wurde die menschliche Kommunikation nicht mehr in einem solchen Ausmaß ausspioniert, wie wir es heute erleben. Die Regierungsmannschaft von George W. Bush hatte sicher keinen geringeren Informationshunger als die von Nixon. Das zeigte sich vor allem in ihrer Kampagne für die »Total Information Awareness« (ein vom US-Verteidigungsministerium entwickeltes Computersystem zur flächendeckenden Überwachung digitaler Kommunikation; der Übersetzer). Bushs Kabinett mußte die Ausweitung der innerstaatlichen Schnüffelkampagne jedoch drosseln, weil viele Bürgerrechtler entsetzt aufschrien.
Nun sind wir sechs Jahre weiter – und Bushs ursprünglicher Plan der »Total Information Awareness« kommt einem nur noch wie ein belangloser Abklatsch vor gegenüber der von der amtierenden US-Regierung geschaffenen heutigen Realität. Unter US-Präsident Barack Obama wurden die »Maßnahmen der Nationalen Sicherheit« derart ausgedehnt, daß nicht nur Millionen US-Bürger ausgeforscht werden, sondern gleichzeitig die Masse der Bevölkerung sogenannter Verbündeter bespitzelt wird. Die persönliche Kommunikation der Regierungsspitzen von Frankreich, Deutschland, Brasilien und Großbritannien wurde von den US-Geheimdiensten gehackt und drahtlos abgehört. Soll das etwa heißen, daß Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Staatspräsident François Hollande und Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff unter dem Verdacht stehen, mit Al-Qaida gemeinsame Sache gemacht zu haben? Ernsthaft?
Ein Imperium hat keine Verbündeten, es kennt nur Untergebene, Satrapen, Erfüllungsgehilfen und sonst nichts. Ein Imperium unterwirft sich keinem Gesetz, sondern einzig seinem eigenen Willen. Ihm geht es ausschließlich um Expansion, es will mehr und mehr von allem haben. Das hört sich verdammt nach dem »American Way« an, oder?
Übersetzung: Jürgen Heiser