Kolumne # 660 vom 17.08.2013: Die Sozialhilfe der Reichen

17.08.13 (von maj) Die Steuergesetzgebung in den USA begünstigt Unternehmen und bestraft Normalverdiener

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 190 – 17./18. August 2013

Mit ihrer begnadeten Altstimme, ihrem künstlerischen Wagemut und ihrem fabelhaften Aussehen hat sich Lauryn Hill im HipHop und ganz allgemein in der Musik einen Namen gemacht und ist zu einer Legende geworden. Für ihr 1998 veröffentlichtes Soloalbum »The Miseducation of Lauryn Hill« (etwa »Die Fehlerziehung der Lauryn Hill«) wurde sie mit dem Grammy-Musikpreis für das beste Album ausgezeichnet. Es brachte ihr vor allem einen festen Platz in den Herzen einer Millionenschar von Fans ein. Als sie der Hektik des Musikgeschäfts überdrüssig wurde, versuchte sie, für sich und ihre Familie ein Privatleben aufzubauen, aber das Showbusineß ließ sie nicht wirklich los.
Nun sitzt dieses außergewöhnliche Talent unter dem Vorwurf der Steuerhinterziehung hinter Gefängnisgittern. Im Verlauf von mehreren Jahren soll sie für ein Einkommen von rund 1,8 Millionen US-Dollar keine Steuern abgeführt haben. Der Betrag hört sich nach einer Menge Kohle an, aber man sollte sich dabei folgendes vor Augen halten: 37 Prozent der transnationalen Konzerne mit Hauptsitz in den USA und einem Vermögen von mehr als 100 Millionen US-Dollar zahlen keine Steuern an den US-Fiskus. Richtig gelesen – nicht einen roten Heller! Diese Angaben gehen zurück auf Mark Zepezauers 2004 erschienenes Buch »Take the Rich off Welfare« (»Streicht den Reichen die Sozialhilfe«). Diese Großunternehmen zahlen keine Abgaben, weil der US-Kongreß die Unternehmenssteuern in den vergangenen Jahren drastisch gesenkt hat, während gleichzeitig die Einkommenssteuer für natürliche Personen erhöht wurde. Wer ist denn mehr auf sein Geld angewiesen, eine Mutter von sechs Kindern oder ein Unternehmen, dessen Vorstandsvorsitzender vielleicht ein Einkommen hat, das 500mal so hoch ist wie das eines Arbeiters dieser Firma? Die Steuergesetzgebung in den USA bestraft die Normalverdiener, während sie Unternehmen begünstigt, denen das Gesetz sogar Verfassungsrechte einräumt, die sonst nur für natürliche Personen gelten. Das ist verrückt, aber wahr.
Derweil werden öffentliche Schulen aus finanziellen Gründen geschlossen, geraten viele Städte tiefer und tiefer in die Pleite, sind Brücken einsturzgefährdet, und gute Jobs werden ins Ausland ausgelagert. Zepezauer beschreibt das in seinem Buch mit den Worten, daß »die Reichen Sozialhilfe erhalten«. Die Superreichen zahlen also überhaupt nichts, und bevor sie etwas von ihrer Beute abgeben müssen, flüchten sie lieber in »Steuerparadiese« wie die Cayman-Inseln. Aber selbst dann, wenn man ihnen auf die Schliche kommt, wartet keine Gefängniszelle auf sie, obwohl sie ihrem Land insgesamt eine Billionensumme von Steuereinnahmen vorenthalten. Außerdem kann man ja auch keine Unternehmen hinter Gitter bringen, selbst unter der Maßgabe nicht, daß ihnen die unrühmliche Grundsatzentscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA im Verfahren »Citizens United gegen Bundeswahlkommission« den Status natürlicher Personen zuerkannt hat.
Bei den Superreichen reicht es, wenn sie ein paar Pennies in die öffentlichen Töpfe werfen, während Lauryn Hill, ein im In- und Ausland geschätztes Juwel der Kunst und Mutter von sechs Kindern, ins Gefängnis gesteckt wird. Dort geht sie nun durch einen Prozeß des Umlernens, also quasi »The Re-Education of Lauryn Hill«. Denn eigentlich hat sie bislang nur die Musik­industrie für »beschissen« gehalten.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 23.11.2024 um 15:10:05 Uhr