Aus: junge Welt Nr. 170 – 25. Juli 2013 / Von Jürgen Heiser
Am heutigen Donnerstag beginnen im US-Militärgerichtsverfahren gegen den »Whistleblower« Bradley Manning die Schlußplädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Anlaß genug für das »Bradley Manning Support Network«, für Freitag zu einer Demonstration in Washington aufzurufen. Ziel ist das Büro von Generalmajor Jeffrey Buchanan, der für das Pentagon die Oberaufsicht über das Militärgerichtsverfahren führt und »die Macht hätte, Bradleys Strafmaß zu verringern«. Für Samstag, 27. Juli, mobilisiert das Netzwerk dann zum womöglich »letzten weltweiten Aktionstag während des Prozesses«. In Berlin findet unter der Parole »Schützt Edward Snowden – Befreit Bradley Manning« ab 14 Uhr eine Kundgebung vor dem Brandenburger Tor statt. Gleichzeitig laufen bundesweite Proteste gegen »PRISM, TEMPORA, INDECT« und weitere Spionageprogramme sowie das neue Utah Data Center, das von der National Security Agency (NSA) als »Fusionszentrum« aller US-Geheimdienste geplant ist. Auch hier rufen die Veranstalter »zur Solidarität mit Snowden, Manning und allen Whistleblowern« auf.
Amnesty International hatte den Prozeß gegen Manning vor einer Woche eine »Verhöhnung der Gerechtigkeit« genannt und dargelegt, die Anklage müsse »einige ihrer Vorwürfe mangels Beweisen fallenlassen«. Widney Brown, Abteilungsleiterin für internationales Recht und politische Strategien im Sekretariat von AI in London, richtete ihre Kritik vor allem gegen die Entscheidung des Militärgerichts, den Anklagevorwurf »Unterstützung des Feindes« gegen Manning aufrechtzuhalten. Richterin Oberst Denise Lind hatte zuvor einen Antrag von Hauptverteidiger David Coombs abgelehnt, mit dem er die Pläne des Pentagon juristisch durchkreuzen wollte, die Enthüllungen seines Mandanten als gemeinsames Spionagekomplott von diesem, der Enthüllungsplattform Wikileaks und Al-Qaida erscheinen zu lassen. Der bis Mai 2010 in Bagdad stationierte Nachrichtenanalyst hatte im Vorverfahren erklärt, die Öffentlichkeit über Kriegsverbrechen informiert zu haben, die von den USA in Afghanistan und Irak begangen worden sind, »um etwas zu verändern«.
Der gegen ihn gerichtete Hauptvorwurf sei grotesk, so AI-Sprecherin Brown. Die Ankläger, denen die Pflicht obliege, »im Interesse der Gerechtigkeit zu handeln«, würden genau das nicht tun, sondern eine Theorie propagieren, die es ihnen erlaube, das Veröffentlichen von Informationen im Internet – »egal ob durch Wikileaks, einen persönlichen Blog oder auf der Website der New York Times« – als »Unterstützung des Feindes« zu verfolgen. Sie hätten jedoch das Problem, daß sie Manning nicht nachweisen könnten, er habe »wissentlich und in böser Absicht« Geheimdienstinformationen »an einen Feind« übermittelt, erklärte Brown. Für eine solche Behauptung gebe es nach der Beweisaufnahme »keine Basis mehr«. Selbst die Zeugen der Anklage hätten »wiederholt vor Gericht erklärt, keine Hinweise gefunden zu haben, daß Manning mit Al-Qaida oder anderen terroristischen Gruppen sympathisiere«. Er habe »sich auch nie illoyal gegenüber seinem Land geäußert« und habe »keine Verbindungen zu anderen Regierungen, sondern nur zu seiner eigenen« gehabt.
Diese Kritik ließ die Ankläger offenbar nicht ruhen. In einer Art Last-Minute-Aktion riefen sie am letzten Verhandlungstag mit Jihrleah Showman eine Vorgesetzte Mannings in den Zeugenstand, die schon mehrfach ausgesagt hatte. Unter anderem hatte sie zu Protokoll gegeben, daß sie vor Jahren eine körperliche Auseinandersetzung mit Manning gehabt habe, weil dieser sich von ihr im Dienst als Schwuler erniedrigt gefühlt habe. Nun wußte sie auf einmal zu berichten, Manning habe einmal über die US-Flagge gesagt, sie bedeute ihm nichts, und schon damals habe sie »so ein Bauchgefühl« gehabt, Manning sei ein »Spion«. Anwalt Coombs’ Nachfrage, ob sein Mandant nicht in Wahrheit gesagt habe, er wolle »kein Automat« sein und er lehne »blinde Loyalität« gegenüber der Flagge ab, verneinte Showman. Und die Ankläger? Sie schwiegen und entließen dankend ihre Zeugin.