Aus: junge Welt Nr. 155 – 8. Juli 2013 / Von Jürgen Heiser
Der Prozeß gegen den »Whistleblower« Bradley Manning ist am vergangenen Dienstag wegen des US-amerikanischen Nationalfeiertags am 4. Juli bis zum heutigen Montag unterbrochen worden. Das Militärgericht tagt in Fort Meade, Maryland, wo auch die Zentrale des militärischen Nachrichtendienstes NSA angesiedelt ist. Mit dem 14. Verhandlungstag wurde die erste Phase der Beweisaufnahme abgeschlossen, in der die Staatsanwälte des Pentagon versucht hatten, ihre 22 Anklagevorwürfe gegen den Obergefreiten Manning durch Zeugen und Dokumente zu untermauern.
Zuletzt fand die Verhandlung wieder unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt, weil Verschlußsachen der US-Armee verlesen wurden. Soweit der Prozeß öffentlich geführt wurde, konnte die von Staatsanwalt Major Ashden Fein geleitete Riege der Ankläger bislang nur glaubhaft machen, daß Manning an die Enthüllungsplattform Wikileaks Anfang 2010 die Kriegsprotokolle aus Irak und Afghanistan und im Frühjahr 2010 die diplomatischen Depeschen aus dem US-Außenamt sowie Informationen über die Gefangenen im US-Militärgefängnis Guantánamo Bay weitergeleitet hat. Dagegen wollte auch Hauptverteidiger David Coombs nicht opponieren, da sich sein Mandant bereits im Februar zu diesen Enthüllungen bekannt hatte.
Völlig unbeirrt behaupten die Ankläger weiterhin, Manning habe aus »Geltungssucht« gehandelt. Vom Moment seiner Stationierung in Bagdad im November 2009 an sei es ihm ausschließlich darum gegangen, »gezielt und rücksichtslos« geheime Informationen zu sammeln, um sie Wikileaks zuzuspielen. Das habe vor allem die »Entwendung des Videomaterials von einem Computer des Central Command« über einen US-Luftangriff in der afghanischen Provinz Farah gezeigt, bei dem im Mai 2009 bis zu 146 Zivilisten getötet worden waren. Manning habe sich dieses Material »nur Tage oder Wochen nach seiner Ankunft in Irak« besorgt, so Fein. Dafür und für die Behauptung, daß Manning schon damals und bei seinen weiteren Aktivitäten persönlich von Wikileaks-Mitbegründer Julian Assange dirigiert wurde, blieb die Anklage allerdings bislang jeden Beweis schuldig.
Assange indes wird die Festschreibung seiner führenden Rolle im angeblichen »Spionagekomplott« Mannings mit großem Interesse beobachten. Einmal mehr wird damit nämlich seine Einschätzung bestätigt, daß Mannings angestrebte Verurteilung von der Obama-Regierung nur als erster Schritt gedacht ist, um Assange selbst unter Spionageanklage stellen zu können – sofern man seiner habhaft würde. Assange lebt seit über einem Jahr im politischen Asyl in der ecuadorianischen Botschaft in London.
In diesem Zusammenhang hatte die vorsitzende Richterin Oberst Denise Lind bereits am 8. Verhandlungstag verschiedene Dokumente der Anklage als beweiserheblich akzeptiert. Mit ihnen sollen alle Veröffentlichungen von Wikileaks aus dem Jahr 2010 und die angeblichen Pfade belegt werden, über die sie von Manning zur Enthüllungsplattform gelangt seien. Laut Lind sei dies »relevant für den Vorwurf der ›Unterstützung des Feindes‹«, da Manning »mutwillig dafür gesorgt« habe, daß geheimes Nachrichtenmaterial des US-Verteidigungsministeriums im Internet veröffentlicht wurde«. Wie der als Zeuge geladene Spezialagent Mark Mander ermittelt haben will, sei dies durch zwei Twitter-Nachrichten von Wikileaks belegt. In Manders Aufgabenbereich fällt die permanente Überwachung der Tweets von Wikileaks.
Einem Kommandeur der US-Marine namens Youssef Aboul-Enein fiel vergangene Woche im Zeugenstand die Aufgabe zu, den von der Anklage erst nach Mannings Verhaftung im Mai 2010 in die Akten gezauberten »Feind« näher zu bestimmen. Aboul-Enein, über den es offiziell heißt, er berate das US-Heimatschutzministerium in Fragen des »militanten Islam«, sagte aus, Al-Qaida nutze seit den 1990er Jahren das Internet und »alle öffentlich zugänglichen Websites« und speziell solche, die »US-Operationen recherchieren«, wie Wikileaks.