Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 137 – 15./16. Juni 2013
Es sind nicht nur die Enthüllungen über die Überwachungspolitik der US-Regierung, die tagtäglich zunehmen, sondern auch die Zahl derjenigen, die diese Politik öffentlich verteidigen. In den letzten Regierungsjahren des Expräsidenten George W. Bush rief das TIA, das »Total Information Awareness«-Programm (»Vollständige Informationserkennung«) des Pentagon, besonders unter den Eliten der Gesellschaft scharfe Reaktionen hervor. Der Unterschied zwischen der damaligen Zeit, als dieses Programm kritisch beleuchtet und heftig diskutiert wurde, und der heutigen, in der die Bespitzelung durch den Staat als vollendete Tatsache hingenommen wird, ist bemerkenswert. Möglicherweise regen sich nur deshalb kaum Kritik und Protest, weil US-Präsident Barack Obama im wesentlichen vertrauenswürdig erscheint. Bush hingegen galt zunehmend als inkompetent, besonders wegen seines Versagens bei der Katastrophenhilfe nach der ungeheuren Zerstörung durch Hurrikan »Katrina«.
Die jetzt aufgedeckte massenhafte Überwachung von über hundert Millionen US-Bürgern und weltweit Milliarden von Internetkontakten durch den Geheimdienst National Security Agency (NSA) erscheint in ihrer Reichweite perfekt »nixonian« (nach Expräsident Richard Nixon, der 1974 wegen des Watergate-Abhörskandals zurücktrat; d.Red.). Wenn weite Bereiche der amerikanischen Bevölkerung durch den Staat angezapft, in Listen erfaßt und überwacht werden, ist das nicht einfach nur eine Verletzung der Privatsphäre. Der Staat dringt vielmehr in alle Lebensbereiche ein und attackiert sie. Das ist »Big Brother« in Reinform und in einem Ausmaß, wie es selbst George Orwell nicht erahnen konnte. Orwells Werk »1984« war als Ohrfeige für totalitäre Regimes gedacht, doch zu seiner Zeit konnte der Autor noch nicht den heutigen kapitalistischen Staatssicherheitskomplex vorhersehen, der jede menschliche Kommunikation bis in alle Ewigkeit katalogisiert und abpeichert.
Unter dem Vorwand »Furcht vor dem Terrorismus« führt die US-Regierung seit der Ära des sogenannten Patriot Act Krieg gegen die eigene Bevölkerung. In diesem Krieg ist Überwachung nur der erste Schritt. Und die geschürte Angst – als mächtigste Waffe im Arsenal eines jeden Staates – soll in der Bevölkerung Ergebenheit, Fügsamkeit und blinden Gehorsam erzeugen, was letztlich unausweichlich in die Katastrophe führt.
Übersetzung: Jürgen Heiser