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Oscar López Rivera: Für Freiheit und Unabhängigkeit

02.02.13 (von ivk) Oscar López Rivera war am 12. Januar 2013 auf der XVIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin mit einem Beitrag vertreten. Er ist seit 31 Jahren in den USA inhaftiert. Der heute 70jährige Puertoricaner wurde 1981 wegen »Verschwörung zum Umsturz« zu insgesamt 70 Jahren Haft verurteilt, weil er für die Unabhängigkeit Puerto Ricos eintritt. Wir dokumentieren seinen Beitrag

FÜR FREIHEIT UND UNABHÄNGIGKEIT
Von Oscar López Rivera

Mit der militärischen Besetzung Puerto Ricos im Jahr 1898 stellten sich die USA selbst den Freibrief aus, mit der Insel und ihren Einwohnern alles machen zu können, um sie als ihre Kolonie unter Kontrolle zu halten. Es wurde eine von Washington gesteuerte Regierung eingesetzt, die Entvölkerung der Insel durch Zwangsemigration geplant, durch die Einführung von Englisch als Schulsprache ein Amerikanisierungsprogramm institutionalisiert, die Landeswährung durch den US-Dollar entwertet und die Nationalökonomie zerstört. Fruchtbares Land wurde in Militärgelände verwandelt, eine eigene Polizei geschaffen, ein Bundesankläger eingesetzt und das System der US-Bundesgerichte etabliert. Aber Puerto Rico war nicht Hawaii oder Alaska. Es war ein dichtbesiedeltes Land mit eigener Kultur, Sprache, eigenen Religionen und Bräuchen sowie einer langen Geschichte des Kampfes gegen den spanischen Kolonialismus. Diese Wirklichkeit führte zu den unvermeidbaren und ständigen Konfrontationen zwischen der US-Regierung und dem puertoricanischen Volk, das eine unabhängige und souveräne Nation anstrebte.
Die US-Regierung reagierte darauf, indem sie alle Puertoricaner, die es wagten, sich ihrer Autorität und ihren Plänen zu widersetzen, verfolgte, unterdrückte, kriminalisierte, ins Gefängnis warf und sogar ermordete. Journalisten, die Artikel gegen die Invasion und Besetzung schrieben, wurden verhaftet, zu Zwangsarbeit im Gefängnis verdonnert, und wenn ihnen die Zeitungsverlage gehörten, wurden diese beschlagnahmt. Zwischen 1899 und 1910 wurden sechs von ihnen äußerst drakonischen Maßnahmen unterworfen.
Schüler und Lehrer, die gegen das Amerikanisierungsprogramm protestierten, wurden verhaftet und eingesperrt. Als den Puertoricanern zum Schein eine US-Staatsbürgerschaft aufgezwungen wurde, um junge Männer zum Militärdienst einziehen zu können, wurden alle, die den Kriegsdienst verweigerten und sich nicht zum Kanonenfutter machen lassen wollten, ebenfalls inhaftiert. In den 1930er Jahren erlebte die Unabhängigkeitsbewegung einen Aufschwung. Unter Führung von Don Pedro Albizu Campos – einem Absolventen der juristischen Fakultät der Harvard University – rief die Puerto Rican Nationalist Party zum Boykott der Kolonialwahlen auf, bildete einen militärischen Flügel nach dem Vorbild der Irisch-Republikanischen Bewegung und startete ein Volksbildungsprogramm. 1934 führte Don Pedro den Streik der Zuckerrohrarbeiter zum Sieg. Die Regierung schlug sofort zurück und setzte alles daran, die Nationalistische Partei zu vernichten. In Rio Piedras verübte die Polizei ein Massaker und erschoß vier Mitglieder der Nationalistischen Partei. Als Vergeltung dafür erschossen zwei Parteimitglieder den Polizeipräsidenten Francis Riggs. Sie wurden verhaftet und kurzerhand im Polizeipräsidium hingerichtet.
Bundesankläger Cecil Snyder stellte die Führungsspitze der Partei wegen »Verschwörung zum gewaltsamen Umsturz der US-Regierung in Puerto Rico« unter Anklage. Der erste Prozeß endete damit, daß die Jury nicht zu einer Mehrheitsentscheidung kam. Für das zweite Verfahren sorgte Snyder für eine handverlesene Jury. Die acht angeklagten Parteiführer, darunter Don Pedro Albizu Campos, wurden schuldig gesprochen und zu sechs bis zehn Jahren Haft im US-Staatsgefängnis von Atlanta, Georgia, verurteilt. Ein Jahr später, am 21. März 1937, rief die Nationalistische Partei zu einem friedlichen Marsch auf. Als die Teilnehmer sich in Bewegung setzten, eröffnete die Polizei das Feuer, tötete 21 und verletzte über 200 Demonstranten (»Masser von Ponce«, d. Red.). Gouverneur Blanton Winship hatte angeordnet, daß die Polizei den Marsch verhindern sollte. Nach einem versuchten Mordanschlag eines Parteimitglieds auf Winship entschied US-Präsident Franklin D. Roosevelt, den Gouvereur aus dem Amt zu entfernen. Zwischen 1930 and 1939 tötete die Polizei 26 Nationalisten, verletzte über 200 und warf 69 ins Gefängnis. Während des Zweiten Weltkriegs und des Koreakriegs wurden 92 Puertoricaner wegen Kriegsdienstverweigerung zu Gefängnisstrafen verurteilt. Viele saßen bis zu zwei Jahre in US-Gefängnissen ab. Die Mehrheit der Kriegsdienstverweigerer waren Mitglieder der Nationalistischen Partei.
1950 errichtete die US-Regierung eine neue Kolonialverwaltung, um zu erreichen, daß die Vereinten Nationen Puerto Rico von der Lister der Länder streichen, die ihre Unabhängigkeit noch nicht erreicht hatten. Gegen die Schritte der US-Regierung bereiteten Don Pedro Albizu Campos und seine Nationalistische Partei den Aufstand vor. Im Oktober 1950 fanden sie jedoch heraus, daß ihre Pläne aufgedeckt worden waren und daß die Regierung bereits Vorbereitungen traf, ihnen zuvorzukommen. In einem Akt der Verzweiflung schlugen die Insurgenten los, ohne gut vorbereitet zu sein. US-Nationalgarde, Polizei und FBI-Agenten hatten leichtes Spiel mit ihnen. Innerhalb weniger Tage wurden Tausende Puertoricaner eingekesselt, viele der Nationalisten, die zu den Waffen gegriffen hatten, wurden getötet. Don Pedro Albizu Campos und die anderen Parteiführer wurden verhaftet. Von 1950 bis 1959 erhielten 276 Nationalisten Gefängnisstrafen, viele von ihnen wurden gefoltert und Don Pedro Albizu Campos mit radioaktiver Strahlung verseucht. Die US-Regierung brachte die Vereinten Nationen dazu, in ihrem Sinn zu agieren. Während des Aufstandes in Puerto Rico versuchten Griselio Torresola und Oscar Collazo in Washington D.C. US-Präsident Harry S. Truman zu ermorden. Torresola erschoß einen Geheimagenten und verletzte einen weiteren, wurde aber selbst getötet. Collazo wurde verletzt gefangengenommen und zum Tode verurteilt.
1952 wandelte US-Präsident Truman das Todesurteil jedoch in lebenslange Haft um. 1954 griffen Lolita Lebrón, Rafael Cancel Miranda, Irvin Flores Rodríguez and Andrés Figueroa Cordero den US-Kongreß an und feuerten Warnschüsse in die Decke. Sie wollten niemanden verletzen, sondern mit ihrer Aktion die Welt wissen lassen, daß Puerto Rico immer noch eine Kolonie war und daß es Puertoricaner gab, die bereit waren, für ein unabhängiges und souveränes Puerto Rico ihr Leben zu opfern.
1960 befahl FBI-Präsident J. Edgar Hoover dem Leiter des FBI-Büros in Puerto Ricos Hauptstadt San Juan, umgehend ein Geheimprogramm zur Zerschlagung der Unabhängigkeitsbewegung zu starten. Dazu wurden Agent Provocateurs, Informanten, Bürgerwehren, Polizeibeamte und rechte Kubaner rekrutiert. Das FBI wendete schmutzige Tricks an, verübte Bombenanschläge, setzte Büros in Brand und überfiel Arbeitsorte und Unternehmen von Mitgliedern der Unabhängigkeitsbewegung. Anführer von Organisationen wurden mit fabrizierten Vorwürfen unter Anklage gestellt. Aktivisten unter Schülern wurden ermordet, Antikriegsdemonstrationen attackiert und Universitätsstudenten vom Mob rechter Gruppierungen schikaniert. Der Einsatz von Agents Provokateurs und Informanten machte es möglich, gefälschte Anklagen zu erheben, Schauprozesse durchzuführen und zu Verurteilungen zu kommen.
Für die Unabhängigkeitsbewegung gab es jedoch kein Zurückweichen. Eine ihrer Gegenmaßnahme war die Gründung klandestiner Strukturen. Organisationen wie die Commandos Armados de Liberación (CAL) und Movimiento de Izquierda Revolucionario en Armas (MIRA) enstanden und eröffneten eine Kampagne mit Aktionen bewaffneter Propaganda. Im Zeitraum von 1960-69 wurden fünfzehn Independentistas ins Gefängnis gesperrt. Ab 1970 stellte das FBI aus den Kreisen der Geheimdienstabteilung der puertoricanischen Polizei eine Todesschwadron auf und setzte sie als neue Waffe gegen die Unabhängigkeitsbewegung ein. Angriffe auf Studenten und Kriegsgegner und Kriegsdientverweigerer nahmen an Häufigkeit und Intensität zu. Ein Student der Universität von Puerto Rico wurde dabei getötet. Der Campus verwandelte sich in einen Hexenkessel radikaler Politik.
Der Kampf zur Vertreibung der US-Navy von der Nachbarinsel Culebra endete siegreich, aber Ruben Berrios und weitere Mitglieder der Partido Independentista Puertorriqueño (PIP) verbrachten in der Folge drei Monate im Gefängnis. Zwischen 1971 und 1979 starben mindestens elf Independentistas und Gewerkschaftsführer bei Mordanschlägen. Der Fall, der unter den Puertoricanern größte Empörung auslöste, war die brutale Ermordung des 21jährigen Arnaldo Dario Rosado und des 17jährigen Carlos Soto Arrivi. Beide waren von einem Agenten des puertoricanischen Geheimdienstes (angeblich) für den militanten Kampf rekrutiert und in einen Hinterhalt der Polizei gelockt worden. Die Federführung bei dieser Operation hatte das FBI. Und der Gouverneur von Puerto Rico war begeistert über ihren Ausgang und feirte ihn öffentlich.
1979 wurden weitere 98 Independentistas ins Gefängnis geworfen. Alle Angriffe auf die Unabhängigkeitsbewegung blieben für die Täter ohne strafrechtliche Folgen. Die Anzahl der Menschen, die ins Gefängnis gesteckt und getötet wurden, macht deutlich, wie brutal das vom FBI forcierte Aufstandsbekämpfungsprogramm COINTELPRO war. Die 1980er Jahre waren ein schwieriges Jahrzehnt für die klandestinen Organisationen. Am 4. April 1980 wurden elf Militante der Fuerzas Armadas de Liberación Nacional (FALN) verhaftet, wegen »Verschwörung zum Umsturz« angeklagt und zu langen Haftstrafen verurteilt. 1981 wurde ich selbst nach fast fünf Jahren im Untergrund verhaftet. Im August 1985 verhaftete das FBI vierzehn Mitglieder der »Macheteros« (Ejército Popular Boricua/EPB). Sie wurden vor gericht gestellt und zu langen Haftstrafen verurteilt.
Zwischen 1980 und 1989 wurden weitere 65 Independentistas und Unterstützer der Unabhängigkeitsbewegung inhaftiert. Das FBI setzte seine Versuche fort, die Bewegung zu zerschlagen. Dabein konzentrierte es seine Bemühungen auf die puertoricanische Diaspora in den USA. Durch den Einsatz von Agents Provocateurs und Informanten konnte Anklage gegen ein Mitglied der Bewegung erhoben werden. 1999 entließ US-Präsident Clinton zehn FALN-Mitglieder gegen Auflagen in die Freiheit und räumte damit ein, daß ihre Urteile unrechtmäßig waren. In jener Zeit war das ganze Land gegen den US-Marinestützpunkt auf Vieques, einer Nebeninsel Puerto Ricos, mobilisiert. Zwischen 1999 und 2003 kamen dafür annähernd 2000 Aktivisten ins Gefängnis. Dennoch wurde die Marinebasis 2003 geschlossen, und die US-Navy mußte abziehen. Die Einwohner und das Ökosystem von Vieques werden jedoch noch lange von den Zerstörungen und Verwüstungen, die die Navy angerichtet hat, beeinträchtigt werden.
Im September 2005 ermordete das FBI Filiberto Ojeda Rios, den Gründer und Anführer der »Macheteros«. Die ganze Nation schrie empört auf und verurteilte diesen kaltblütigen Mord durch die US-Bundespolizei, die immer wieder ihre niederträchtigen Verbrechen gegen Puertoricaner richten konnten, nur weil sie ihr Heimatland lieben und für seine Unabhängigkeit und Souveränität kämpfen. Nach mehr als 110 Jahren, in denen Puertoricaner verfolgt, unterdrückt, kriminalisiert, ins Gefängnis geworfen und ermordet wurden, weil sie sich für die gerechte und noble Sache der Freiheit und der Unabhängigkeit ihres Heimatlandes und ihr unveräußerliches Recht auf Selbstbestimmung einsetzen, ist es nun an der Zeit, daß die US-Regierung endlich das Völkerrecht achtet und Puerto Rico in die Freiheit entlassen wird und sich in die Gemeinschaft der unabhängigen Nationen einreihen kann. Ich habe 31 Jahre in den US-Gulags verbracht, über zwölf davon in Isolationshaft. Mein Kampfgeist und Widerstandswille konnten jedoch nicht gebrochen werden. Die US-Regierung muß endlich begreifen, daß die Puertoricaner den Kampf für ihr Heimatland und für eine bessere und gerechtere Welt nicht aufgeben werden, ganz egal, wie viele von uns dafür ins Gefängnis geworfen werden.

Übersetzung: Jürgen Heiser

Link zur Website der Rosa-Luxemburg-Konferenz:
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