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Kolumne # 630 vom 19.01.2013: War King ein Rapper?

19.01.13 (von maj) Über den Widerspruch zwischen dem Leben des Freiheitskämpfers und seiner heutigen Darstellung

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 16 – 19./20. Januar 2013

Auch am diesjährigen 15. Januar, dem nationalen Gedenktag für Martin Luther King jr., wurden in den USA wieder Leben, Lebenswerk und Triumphe des Bürgerrechtlers gefeiert und sein Opfer gewürdigt. (+) Die traurige Wahrheit ist jedoch, daß heute ein Mann besungen und gefeiert wird, der so nie existiert hat. Womit ich nicht infrage stellen will, daß er gelebt hat, sondern ich will sagen, daß es den Mann, wie er in Büchern und Medienberichten dargestellt und was über ihn gelehrt wird – wenn er überhaupt in Schulbüchern vorkommt –, so niemals gegeben hat.
Wie alle Menschen war auch er eine komplexe Persönlichkeit. Je nachdem, in welcher Stimmung er war oder welchen Herausforderungen er sich stellen mußte, konnte er ernst oder humorvoll sein, glücklich oder niedergeschlagen. Seine Schwester Christine King Farris sagte über ihn, er sei kein Heiliger gewesen, sondern eher ein durchschnittlicher Mann. Was ihn tatsächlich außergewöhnlich machte, war die Bewegung, der er angehörte und die er zum Teil anführte. Es war also der Freiheitskampf, der Martin L. King prägte und nicht umgekehrt. Dieser Kampf machte ihn weitaus radikaler, als er es ohne ihn gewesen wäre.
Der King hingegen, der uns heute präsentiert wird, ist ein Hollywoodprodukt, er wurde weichgespült, gefälliger gemacht und für den Massenkonsum zugerichtet. Er wird auf seinen Ausspruch »Ich habe einen Traum« reduziert, ist »cool« und vernünftig, einfach leichte Kost. Nur wenige Wochen nach seiner historischen Rede »Time to Break Silence« (dt. »Es ist Zeit, das Schweigen zu brechen«), in der er die Gewaltanwendung der US-Regierung im Vietnamkrieg, Rassismus und Kapitalismus verurteilte, gestand er seinen Mitarbeitern im internen Gespräch: »Ich konnte mich dazu nicht mehr neutral verhalten«. Und er fügte hinzu: »Das Wort Gottes ist über mir. Es fuhr mir wie Feuer in meine Glieder, deshalb konnte ich nicht anders und mußte so sprechen! Krieg, Rassismus und Armut sind nicht einfach nur Mißstände, sie sind das Übel.«
Dafür bekam King die volle Wucht der Kritik zu spüren, wurde von sogenannten liberalen Presseorganen wie der Washington Post angegriffen und geächtet. Viele seiner ehemaligen Verbündeten rückten von ihm ab und forderten ihn öffentlich auf, sich weiter für die Bürgerrechte einzusetzen, aber nicht gegen Krieg, Rassismus oder Armut. Doch er hatte menschliche Größe und stand weiter den Bombenopfern, den Armen und Besitzlosen zur Seite. Vor diesem Hintergrund hörte ich allerdings vor ein paar Wochen hier im Gefängnis etwas, das mich verblüffte. Ein junger Gefangener von etwa zwanzig Jahren redete mit einem älteren Gefangenen und wollte von ihm wissen: »Sag mal, Alter, war Martin Luther King eigentlich ein Rapper?«

(+) MLK wurde am 15. Januar 1929 geboren. Als nationaler Feiertag wird in den USA jeweils der dritte Montag im Januar begangen, also 2013 der 21. Januar.

Übersetzung: Jürgen Heiser

 
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