Solidaritätserklärung für Bradley Manning: Wunsch nach Wahrheit
19.11.12 (von ivk-jw) Die Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu (Südafrika), Mairead Maguire (Nordirland) und Adolfo Pérez Esquivel (Argentinien) erklären sich solidarisch mit US-»Whistleblower« Bradley Manning
Als Menschen, die seit Jahrzehnten gegen die zunehmende Militarisierung von Gesellschaften und an der internationalen Zusammenarbeit zur Beendigung von Kriegen arbeiten, sind wir zutiefst bestürzt über die Behandlung des Obergefreiten Bradley Manning.
Wir haben unser Leben der Arbeit für den Frieden gewidmet, weil wir die vielen Gesichter bewaffneter Konflikte und der Gewalt gesehen und begriffen haben, daß es unabhängig von den Kriegsgründen immer Zivilisten sind, die die Hauptlast der Kriege tragen. Mit der heutigen fortgeschrittenen Militärtechnologie und der beständigen Fähigkeit von Unternehmen und politischen Eliten zu filtern, welche Informationen an die Öffentlichkeit gebracht werden, existieren für viele Bürger große Hindernisse, sich der Gegebenheiten und Konsequenzen der Konflikte, an denen ihr Land beteiligt ist, voll bewußt zu werden.
Verantwortliches Regieren setzt informierte Bürger voraus, die das Handeln ihrer Staatsführung hinterfragen können. Für jene Bürger weltweit, die keine direkten Kriegserfahrungen machen, jedoch von den zunehmenden internationalen Spannungen und geschwächten Ökonomien betroffen sind, haben die von WikiLeaks verbreiteten und Manning zugeordneten Veröffentlichungen einen beispiellosen Zugang zu wichtigen Fakten ermöglicht.
Die Enthüllung verdeckter Verbrechen in Irak und Afghanistan hat ein Fenster in die Realitäten moderner internationaler Beziehungen aufgestoßen und die Welt zum Besseren verändert. Wenn einige dieser Dokumente auch zeigen mögen, wie viel Arbeit in Fragen der Sicherung des internationalen Friedens und der Gerechtigkeit noch vor uns liegt, werfen sie auch ein Schlaglicht auf die Potentiale des Internet als einem Forum für Bürger, sich direkter an der zivilgesellschaftlichen Diskussion und an kreativen Projekten zur Einforderung der Rechenschaftspflicht von Regierungen zu beteiligen.
Es ist nicht leicht für einen Soldaten, Autorität zu hinterfragen. Aber zuweilen kann es ehrenvoll sein. Diese Worte, die Manning zugeschrieben werden, zeigen, daß er zwischen dem Zeitpunkt, als er Soldat wurde, und jener Zeit, als er zum Whistleblower wurde, einen tiefgehenden moralischen Kampf durchlaufen hat. Während seiner Erfahrungen in Irak wurde er durch eine auf höchster Ebene betriebene Politik beunruhigt, die das menschliche Leben geringschätzte und das Leiden unschuldiger Zivilisten und Soldaten verursachte. Wie andere mutige Whistleblower auch, war er vor allem von dem Wunsch getragen, die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Der Obergefreite Manning hat in Internetchats erklärt, er hoffe, daß die Veröffentlichungen »Diskussionen, Debatten und Reformen hervorrufen« mögen, und er hat es verurteilt, wie die »Erste Welt die Dritte ausbeutet«. In weiten Teilen der Welt wird Manning wegen seines Bemühens um Frieden und Transparenz als Held gesehen, weswegen er auch für den Friedensnobelpreis nominiert wurde. Aber schon wie 2003, als hochrangige Offizielle der Vereinigten Staaten und Britanniens die Öffentlichkeit täuschten, indem sie erklärten, es gebe die dringende Notwendigkeit, in Irak einzumarschieren, um die Verwendung von Massenvernichtungswaffen zu verhindern, haben die mächtigsten Eliten der Welt auch jetzt wieder die internationale Öffentlichkeit und die Intelligenz vieler Bürger beleidigt, indem sie Fakten über Manning und WikiLeaks verschwiegen.
Die Militärstaatsanwaltschaft hat keine Beweise dafür vorgelegt, daß der Obergefreite Manning durch die Veröffentlichung von Geheimdokumenten irgend jemandem Schaden zugefügt hat. Und sie hat vor Gericht geltend gemacht, der Tatvorwurf »Unterstützung des Feindes« mache es nicht erforderlich, es konkret getan zu haben. Genauso wenig hat die Anklage widerlegen können, daß er aus Gewissensgründen gehandelt hat. Sie hat schlicht argumentiert, daß diese Motive irrelevant sind. Indem dieser Zusammenhang ignoriert und daraus folgend eine weitaus härtere Strafe für Bradley Manning gefordert wird, als sie für US-Soldaten üblich ist, die der Ermordung von Zivilisten schuldig sind, sendet die Militärführung eine abschreckende Warnung an andere Soldaten aus, die sich ihrem Gewissens verpflichtet fühlen könnten, Verbrechen aufzudecken. Nach unserer Überzeugung können Staatsführer, die Angst zu einem Mittel ihrer Regierungsarbeit machen, statt aus Fakten geborenes Wissen zu verbreiten, nicht gerecht sein.
Wir Friedensnobelpreisträger verurteilen die Verfolgung, die Bradley Manning erleidet, einschließlich seiner Inhaftierung unter Bedingungen, die von den Vereinten Nationen für »grausam, unmenschlich und entwürdigend« erklärt wurden, und rufen alle Amerikaner dazu auf, aufzustehen und diesen Whistleblower zu unterstützen, der ihre demokratischen Rechte verteidigt hat. Allein im Irak-Konflikt sind seit 2003 mehr als 110000 Menschen gestorben, Millionen wurden vertrieben und fast 4500 amerikanische Soldaten sind gefallen.Wenn jemand für die Gefährdung von US-Amerikanern und Zivilisten zur Verantwortung gezogen werden soll, sollten wir uns zuerst die Zeit nehmen, die Beweise für Verbrechen zu untersuchen, die bereits auf höchster Ebene begangen wurden, und überlegen, welche Lehren daraus gezogen werden können. Wenn es Bradley Manning war, der die Dokumente veröffentlicht hat, wie die Anklage behauptet, dann sollten wir ihm gegenüber unseren Dank für seine Bemühungen zum Ausdruck bringen, daß er sich für die Rechenschaftspflicht von Regierungen, für Informationsdemokratie und Frieden eingesetzt hat.
Erstveröffentlichung am 16.11.2012 in The Nation und Guardian
Die von Jürgen Heiser angefertigte deutsche Übersetzung wurde am 19. November 2012 leicht gekürzt in junge Welt Nr. 269 veröffentlicht. Bitte hier anklicken!
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