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Todesstrafe – Hölle auf Erden

19.04.12 (von ivk-jW) Leben im Todestrakt: Harold Wilson war 16 Jahre in US-Haft, bevor in einem neuen Verfahren seine Unschuld bewiesen wurde / Wilson wird am 21. April 2012 auf der um 16 Uhr in Berlin beginnenden Demonstration gegen die Todesstrafe sprechen

Aus: junge Welt Nr. 92 – 19. April / Schwerpunkt / Von Linn Washington Jr.

Für Harold Wilson ist ein Leben in der Hölle keine abstrakte Vorstellung. Er verbrachte 16 Jahre in einer Hölle auf Erden, genannt Todestrakt. Nach seiner Verurteilung zur eine dreifachen Todesstrafe für einen dreifachen Mord in Philadelphia im US-Staat Pennsylvania 1988 – einen Mord, den er nicht begangen hatte, wie eine DNA-Analyse später bewies – erlitt er die qualvolle Isolation der Todeszelle und Folter. In den über 834 Wochen verbrachte er 23 Stunden am Tag in einer zwei mal zweieinhalb Meter kleinen Zelle, die eher einem Sarg glich für einen Mann, der fast 194 Zentimeter groß ist und 113 Kilogramm wiegt. Doch anders als ein Sarg war diese Zelle Tag und Nacht beleuchtet.
Man kann sich nur schwer die Qualen eines Lebens im Todestrakt vorstellen. »Beim Duschen drehten die Wächter oft das kalte Wasser ab, so daß das heiße Wasser uns verbrannte«, erzählt Wilson, »oder sie gaben uns kein Essen und hatten auch noch ihren Spaß dabei«. »Stell dir vor, du mußt deine Wäsche in der Toilette waschen, in der du deine Notdurft verrichtest.« Und dann war da diese eisige Kälte, die im Winter durch die Belüftungsöffnung in die Zelle drang. »Es wurde so kalt, daß sich innen am Fenster Eis bildete. Ich zog alle Kleidungsstücke übereinander an, die ich hatte.«
»Weil ich für meine Rechte eintrat und Klagen gegen unsere Haftbedingungen einreichte, galt ich als Unruhestifter.« Den Umgang mit dem Gefängnispersonal und vor allem, was er gegen seine unrechtmäßige Verurteilung tun könnte, das hatten ihn Mumia Abu-Jamal und andere Gefangene im Todestrakt gelehrt. Dreimal stand Harold Wilson kurz vor der Vollstreckung der Todesstrafe.
Der Afroamerikaner Harold Wilson ist einer von 140 Gefangenen, die seit 1973 bundesweit und einer von sechs Gefangenen, die in Pennsylvania aus dem Todestrakt befreit wurden. Mit der Anzahl seiner zum Tode verurteilten Gefangenen liegt Pennsylvania an vierter Stelle in den USA. Obwohl der schwarze Bevölkerungsanteil in diesem Staat bei nur elf Prozent liegt, sind fast 60 Prozent der Todeskandidaten schwarz.
Nachdem Harold Wilson sich ein Wiederaufnahmeverfahren erkämpfen konnte, wurde er in einem neuen Prozeß von der Jury freigesprochen. Als er im November 2005 nach fast 17 Jahren das Gefängnis verließ, gab man ihm einen Busfahrschein mit auf den Weg und die Warnung: Komm nicht zurück! Im Gegensatz zu einigen anderen Staaten, gibt es in Pennsylvania keine automatische Entschädigung für einen unschuldig verurteilten Gefangenen. Wilson wurde der Freiheit und fast 6000 Tage seines Lebens beraubt und doch erhält er keinerlei finanzielle Entschädigung für die Zeit, die er unschuldig im Todestrakt verbrachte.
Im April 1988, nach einem Mord in South Philadelphia an zwei Frauen und einem Mann, den er persönlich kannte, wurde Harold Wilson von der Polizei aufgefordert, zur ­Polizeistation zu kommen. Harold tat, was kein Schuldiger tun würde. »Ich ging freiwillig dorthin, um Fragen zu beantworten und dann wieder nach Haus zu gehen. Ich ahnte nicht, daß 17 Jahre vergehen sollten, bevor ich wieder frei sein würde.«
Das ursprüngliche Verfahren gegen Harold Wilson zeigt all die Rechtsverstöße, die in Todestrafenverfahren in den USA ständig dokumentiert werden: Fehlverhalten von Polizei und Staatsanwaltschaft, eine juristisch fahrlässige Verteidigung und ein Richter, der den Vorsitz nicht unparteiisch führt, sondern offen den Staatsanwalt favorisiert. Polizei und Staatsanwaltschaft stellten Beweise für Wilsons Unschuld falsch dar oder hielten sie ganz zurück. »Während des Prozesses zeigten sie einen blutigen Fußabtritt der Schuhgröße 41 und behaupteten, es sei meiner. Ich trage aber Schuhgröße 48.« Polizei und Staatsanwalt behaupteten, daß eine blutverschmierte Jacke, die einer Person paßt, die ungefähr 20 Zentimeter kleiner und zirka 27 Kilo leichter ist als Wilson, von ihm getragen wurde, als die drei Menschen mit einer Axt getötet wurden – in einem, wie die Polizei annahm, Wutanfall, um an Kokain zu gelangen.
Ein DNA-Test, den es zum Zeitpunkt des ursprünglichen Verfahrens noch nicht gab, erbrachte für das Wiederaufnahmeverfahren den Beweis, daß das Blut vom Tatort mit seinem nicht übereinstimmte. Die Staatsanwaltschaft wollte den Gutachter dazu bewegen, den DNA-Beweis den Verteidigern vorzuenthalten. Diese mußten erst veranlassen, daß ein Richter die Weitergabe anordnet. Ein Richter begründete die Anordnung eines neuen Prozesses auch mit dem Verhalten des Verteidigers im ursprünglichen Verfahren. Wilsons Anwalt habe sich »in keiner Weise bemüht«, Beweise zu suchen, um die Todesstrafe zu verhindern.
Verbrechen, die Personen innerhalb des Justizsystems gegen Wilson begangen haben – Verbrechen gegen das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz in den USA –, bleiben ungesühnt.
Harold Wilson, auch genannt ­Brother Amin, setzt sich heute mit großer Leidenschaft dafür ein, daß Menschen, die aus dem Todestrakt befreit werden, Entschädigung erhalten. Als Redner auf vielen Veranstaltungen überall in den USA führt er einen beharrlichen Kampf gegen die Todesstrafe. Er hat Hochachtung vor Mumia Abu-Jamal, der wie er aus Philadelphia kommt. Mumia half ihm, sich an die Entbehrungen des Todestraktes zu gewöhnen, und er unterstützte ihn bei seinen juristischen Recherchen, die zur erfolgreichen Berufung und Wiederaufnahme seines Verfahrens und schließlich zum Freispruch und Freilassung führten. Seine Teilnahme am Kampf für die Freiheit von Mumia Abu-Jamal und anderen unschuldigen Gefangenen gibt ihm »Identität und Inhalt« und hilft ihm sein zerstörtes Leben wieder aufzubauen. »Ich bin kein Vorzeigeschild für die Reform der Todesstrafe«, resümiert Harold Wilson. »Ich bin einfach nur ein weiterer US-Bürger, der unter dem Unrecht und der brutalen Gefangenschaft litt.«

Linn Washington jr. ist Kolumnist der Philadelphia Tribune und lehrt Journalismus an der Temple University. Übersetzung: Doris Pumphrey

 
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