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Kampf um die Freilassung von Oscar López Rivera

29.03.12 (von ivk-jw) Neue Kampagne: US-Präsident Obama soll Oscar López Rivera begnadigen. Der Puertoricaner ist wegen »Verschwörung zum Umsturz« seit 31 Jahren in Haft

Aus: junge Welt Nr. 76 – 29. März 2012 / Schwerpunkt / Jürgen Heiser

Auf der Karibikinsel Puerto Rico und in den USA haben Menschenrechtsorganisationen und die Unabhängigkeitsbewegung dazu aufgerufen, ihre Bemühungen um die Freilassung des seit 31 Jahren in den USA eingesperrten politischen Gefangenen Oscar López Rivera international zu unterstützen. Oscar López war 1981 vom FBI verhaftet und von einem US-Gericht in Chicago wegen »Verschwörung zum Umsturz« zu 55 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Während der Haft kamen 15 weitere Jahre dazu wegen der angeblichen Vorbereitung eines Ausbruchsversuchs. Der Vorwurf im Hauptverfahren: Der heute 69jährige López soll sich mit anderen im Untergrund organisiert haben, um »die US-Regierung auf Puerto Rico zu stürzen«.
Der politische Hintergrund der Frage, wieso jemand den Sturz der US-Regierung auf einer Insel angestrebt haben kann, die östlich von Haiti und allemal näher an Kuba und Kolumbien liegt als an der Golfküste der USA, wurde erst in diesem Monat wieder deutlich. Auch deutsche Medien berichteten darüber. Mitt Romney, einer der möglichen Bewerber der Republikanischen Partei für das US-Präsidentenamt, habe auf der Karibikinsel Puerto Rico die meisten Stimmen erhalten und seinen Kontrahenten Rick Santorum weit hinter sich gelassen. US-Vorwahlen auf einer Karibikinsel? Die Öffentlichkeit wurde damit indirekt daran erinnert, daß Puerto Rico sich seit 1898 im Kolonialbesitz der USA befindet.
Das war auch erkennbar am Inhalt des Vorwahlkampfs der Republikaner auf der schlicht als »Territorium« bezeichneten Insel. Hauptthema war das für November 2012 geplante Referendum, in dem sich die Bevölkerung wieder einmal dafür aussprechen soll, ob Puerto Rico der 51. US-Bundesstaat werden soll. Romney würde das begrüßen. Sein Herausforderer Santorum jedoch brachte die Puertoricaner gegen sich auf, weil er zur Vorbedingung machte, dann müsse wieder Englisch statt Spanisch gesprochen werden (siehe nachfolgenden »Hintergrund«-Artikel).
Seit 1917 sind die Einwohner des »Territoriums« zwar US-Bürger, genießen aber nicht die vollen Staatsbürgerrechte. Sie dürfen zwar Präsidentenkandidaten küren, aber nicht an den US-Wahlen teilnehmen. Der Grund für die Minimalstaatsbürgerschaft ist schnell erklärt: 1917 – wie in allen weiteren Kriegen – brauchte das Pentagon die Puertoricaner als Soldaten. Dienen dürfen sie deshalb, auch in der lokalen Inselpolitik dürfen sie nach Reformen von Washingtons Gnaden ihre Stimme abgeben, aber eine unabhängige Außen- oder Wirtschaftspolitik bleibt der 1952 zum »assoziierten Freistaat« erklärten Insel versagt.
Deshalb ist Puerto Rico seit Jahrzehnten Jahr für Jahr Thema im Entkolonialisierungsausschuß der Vereinten Nationen. Doch mit der Routine scheint es nun vorbei zu sein. Denn Ende Januar erklärte Nicaraguas Präsident Daniel Ortega, Lateinamerika sei jetzt in der Lage, »mehr Energien« für den Kampf um die Unabhängigkeit Puerto Ricos aufzubringen. »Wir haben das schon unter weitaus ungünstigeren Bedingungen getan«, aber nun spräche alles dafür, diesen Kampf zu intensivieren. Denn erst wenn Puerto Rico unabhängig sei, »werden Lateinamerika und die Karibik wirklich frei sein«. Dazu gehört laut Ortega auch die sofortige Freilassung von Oscar López.
Das Staatsoberhaupt Nicaraguas formulierte damit den einhelligen Standpunkt derjenigen Länder, die im vergangenen Dezember auf ihrem Treffen in Venezuela die Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) gründeten. Darin haben sich 33 Länder, die gut 500 Millionen Einwohner repräsentieren, zusammengeschlossen. Die USA und Kanada bleiben außen vor. Ohne Gängelung durch die »norteamericanos« soll das Bündnis CELAC der Region Lateinamerika und Karibik mehr Gewicht verleihen.
Ende Januar 2012 nahm auch der Weltrat der Sozialistischen Internationale (SI) auf seinem Treffen in Costa Rica eine Resolution an, mit der »das Selbstbestimmungsrecht Puerto Ricos und die Freilassung des politischen Gefangenen Oscar López Rivera« gefordert werden, wie aus einem Bericht der SI-Mitgliedorganisation Puerto Rican Independence Party (PIP) hervorgeht. PIP-Sprecher Calixto Rivera Negrón erklärte darin, die SI-Resolution stimme dem jüngsten Postulat des UN-Sonderausschusses für Dekolonisation zu, wonach »die Vollversammlung der Vereinten Nationen den Fall der Kolonie Puerto Rico prüfen und die Forderung nach Freilassung der puertoricanischen Patrioten aus US-Gefängnissen, vor allem von López, unterstützen soll«.
Auch das Forum von São Paulo hat erst kürzlich eine Resolution verabschiedet, mit der die Freilassung von Oscar López gefordert wird. Exekutivsekretär Valter Pomar forderte »alle Mitglieder des Forums auf, sich mit Petitionen für López an die US-Botschaften in ihren Ländern zu wenden«.
Am 15. Februar 2011 hatte der US-Bewährungsausschuß eine bedingte Freilassung von López Rivera abgelehnt. Eine erneute Überprüfung wurde ihm in 15 Jahren in Aussicht gestellt, also für 2026, dann wäre er 83 Jahre alt. Wie schon bei anderen Gefangenen aus der Unabhängigkeitsbewegung wird nur öffentlicher Druck daran etwas ändern. Da Oscar López nach US-Bundesgesetzen verurteilt wurde, kann Präsident Obama ihn begnadigen. Deshalb haben die Initiatoren der Kampagne sich für 2012 als Ziel gesetzt, den Druck auf die US-Regierung zu erhöhen. In den puertoricanischen Gemeinden der US-Großstädte, wo mit drei Millionen Menschen gut die Hälfte aller Puertoricaner lebt, mobilisiert die Organisation Pro Libertad für den »Freiheitsmonat« April, in dessen Verlauf den Forderungen nach Unabhängigkeit und Freilassung von Oscar López Nachdruck verliehen werden soll.

http://www.prolibertadweb.com

Hintergrund: Puerto Ricos Kolonialstatus
1493 erklärt Christoph Kolumbus die Insel zum »Besitz der spanischen Krone« und nennt sie »San Juan Bautista« (nach Johannes dem Täufer). 1508 beginnt Juan Ponce de León von Hispaniola (Haiti) aus die Kolonisierung, wobei die Taíno, die Ureinwohner, fast vollständg vernichtet werden. Ab 1521 taufen die Spanier die Insel Puerto Rico (reicher Hafen) mit der Hauptstadt San Juan. Als Arbeitskräfte für die Goldminen und Zuckerrohrplantagen werden Sklaven aus Afrika hierher verschleppt. Die Insel wird zum militärischen Vorposten der Spanier zur Kontrolle über die Region. Der lateinamerikanische Befreiungsprozeß, für den die Revolution in Haiti und Namen wie Simón Bolivar und José Martí stehen, erschüttert jedoch das spanische Imperium. 1898 löst die aufstrebende Kolonialmacht USA die spanische ab und erobert Kuba, Puerto Rico, Guam und die Philippinen.
1900 etablieren die USA ihre Kolonialregierung und führen den US-Dollar als Währung ein. Den Gouvereur ernennt der US-Präsident. 1901 erklärt der U.S. Supreme Court die Insel zum »non-incorporated territory, das zu den Vereinigten Staaten gehört, aber kein Teil von ihnen ist«. Im Zuge der anglophonen Vorherrschaft wird die Insel »Porto Rico« genannt und Englisch erste Amts- und Unterrichtssprache. 1917 erhalten die Puertoricaner kurz vor Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg eine Teilstaatsbürgerschaft, die es erlaubt, sie als Wehrpflichtige einzuziehen. 1950 erläßt die US-Regierung das Public Law 600, mit dem die koloniale Bindung der Insel an die USA zementiert wird. Am 25. Juli 1952, 54 Jahre nach der Invasion, setzen die USA in Puerto Rico eine Verfassung in Kraft, die bis heute trotz geringer Reformen (Wahl des Gouverneurs, eingeschränkte Autonomie, Spanisch als erste Sprache) gilt. Der »Commonwealth of Puerto Rico« (assoziierter Freistaat) verzichtet darin auf sein Selbstbestimmungsrecht.
Als Reaktion auf die Unabhängigkeitsbewegung führten die USA 1967, 1993 und 1998 Referenden durch. Die Indipendentistas riefen jeweils zum Boykott auf. Aber auch die abstimmenden Inselbewohner lehnten es ab, 51. Bundesstaat der USA zu werden. Auf Beschluß der »Arbeitsgruppe Puerto Rico« des Weißen Hauses wird ein erneutes Referendum parallel zur US-Präsidentenwahl im November 2012 stattfinden.
(jh)

 
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