Kolumne # 570 vom 26.11.2011: Sturm des Entsetzens
27.11.11 (von maj) Wie Reichtum, Ruhm und Macht zu Korruption, Mißbrauch und Verbrechen führen
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 275 – 26./27. November 2011
Der schockierende Kindesmißbrauchsskandal im Football-Team der Penn State University in der Ortschaft State College, Pennsylvania, der kürzlich offenbar wurde, hat unter Studierenden und in der Öffentlichkeit zu einem Sturm des Entsetzens geführt. Dieser Skandal trägt auch alle Elemente in sich, die dazu geeignet sind, einen mediales Feuerwerk auszulösen: Ruhm, Geld, verbotener Sex, Vertuschung, Lug und Trug. Im Kern geht es vor allem um den Verrat am Allerheiligsten des Landes – dem Sport. Verrat aber auch an denen, die wir angeblich am meisten lieben und ehren – Kinder. Zwischen 1994 und 2009 soll ein Assistenztrainer des Footballteams mindestens acht Jungen unter dreizehn Jahren mißbraucht haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vierzig Einzeltaten vor. Hochrangige Funktionäre sollen konkreten Anschuldigungen nicht nachgegangen sein.
Der Skandal zeigt, wie großer Reichtum, Ruhm und die Geschäftemacherei mit dem Hochschulsport alles und jeden korrumpieren, damit im großen Stile abgesahnt werden kann. Das Football-Programm der Penn State University war und ist für die Elite-Uni eine extrem lukrative Einnahmequelle, die ihr Millionen und Abermillionen aus dem Verkauf von Fernsehrechten, Werbelizenzen und dem Absatz von Fanartikeln beschert hat.
Die Penn State University ist der größte Arbeitgeber in State College, und die örtliche Hochschule mit ihren über 45000 Studierenden gehört zum Kreis der zehn größten Colleges in den USA. Hier floß ein mächtig breiter Geldstrom. Und wie andere bedeutende vermögensschaffende und mächtige Institutionen tut sie alles, ihre Sünden unter den Teppich zu kehren, um die florierende Geldmaschine nicht in Gefahr zu bringen.
Das alles erinnert an die großen Skandale, die die katholische Kirche der USA seit Mitte der 1990er Jahre in ihren Grundfesten erschütterte – Schockwellen, die heute noch zu spüren sind. Sie erinnern uns daran, daß es bei Vergewaltigungen und sexuellem Mißbrauch um Macht geht, und daß Sex ein Instrument sein kann, mit dem die Mächtigen über die Schwachen herrschen. Wobei immer die gleiche Dynamik wirkt, egal ob es dabei um einen Mann und eine Frau geht, einen Priester und ein Kind oder einen Trainer und einen Jungen seiner Mannschaft.
Trifft das aber auch zu, wenn es um zwei Männer geht? Wenn der eine Mann ein Gefängniswärter ist und der andere ein Gefangener? Als im vergangenen Mai Nachrichten an die Öffentlichkeit drangen, daß es in den Gefängnisblocks des Staatsgefängnisses von Pittsburgh, Pennsylvania, gehäuft zu Vergewaltigungen gekommen war, da gab es nur begrenzte Reaktionen darauf, zumeist in der unmittelbaren Umgebung West-Pennsylvanias. Auch hier ging es um die eben geschilderte Dynamik eines Klimas von Gewalt und Mißbrauch der Mächtigen gegenüber den Machtlosen. Wenngleich es in Gefängnissen in mancher Hinsicht ausgeprägter ist, weil in den anderen Bereichen Systeme zum Schutz von Frauen und Kindern existieren (ob sie zum Einsatz kommen, ist eine andere Frage), die es notwendig machen, die Übergriffe im Verborgenen zu begehen.
Aber in einem Gefängnis Pennsylvanias soll der unter Anklage stehende Wärter Harry Nicoletti seine Machstellung als Staatsbediensteter offen für seine Verbrechen ausgenutzt haben. Seinen Vergewaltigungsopfern soll er damit gedroht haben, sie in Isolationshaft – das berüchtigte »Loch« – zu werfen oder sie gar umzubringen, falls sie anderen davon erzählten. Berichten zufolge soll er Häftlinge, die als Kalfaktoren arbeiten, angewiesen haben, das Anstaltsessen mit Spucke, Urin oder Kot zu verunreinigen. Er soll Gefangene mit Fäusten traktiert, sie geschlagen und sie bespuckt haben. Zudem soll er sie unablässig mit rassistischen Sprüchen beleidigt haben. Und das alles viele Jahre lang.
Schulen, Kirchen und Gefängnisse sind Institutionen von immens großer gesellschaftlicher Macht. Schwache und Machtlose werden dort ausgebeutet, mißbraucht und verletzt. Anscheinend ziehen diese Orte sexuelle Gewalttäter magisch an.
Übersetzung: Jürgen Heiser
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