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Kolumne # 567 vom 5.11.2011: Sie alle sind John Carlos

05.11.11 (von maj) Der legendäre US-Leichtathlet und Olympiateilnehmer besuchte die »Occupy Wall Street«-Bewegung

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 257 – 5./6. November 2011

Wer hat Angst vor John Carlos? Oder besser gefragt: Wer ist eigentlich John Carlos? Diese Frage tauchte auf, als Carlos vor wenigen Tagen zusammen mit David Zirin, dem Sportjournalisten des Magazins The Nation, das Lager der »Occupy Wall Street«-Bewegung in Manhattan, New York, besuchte. Dort sprachen sie eine Aktivistin an, die in den Zwanzigern gewesen sein mag, ob Carlos ein paar solidarische Worte an die Versammlung richten dürfe. Die Frau blickte ihn ratlos an, weil sein Name ihr offensichtlich nichts sagte. Statt nun zu einer wortreichen Erklärung auszuholen, reckte Zirin einfach seine Faust in die Luft und senkte dabei seinen Kopf. Daraufhin schaute die Frau Carlos an, und, wie Zirin später schrieb, erhellte sich ihr Blick. »Oh, oh, John Carlos – der John Carlos!«
Ja, jener Dr. John Carlos, der 1968 gemeinsam mit seinem Teamkollegen Tommy Smith während ihrer Sieger­ehrung bei den Olympischen Spielen in Mexiko-Stadt einen sportlichen und historischen Meilenstein gesetzt hatte. Der sprach nun, verstärkt durch Tausende Stimmen, über das »Volksmikrophon« seine einfache, aber starke Botschaft: »Ich bin hier für euch« (Tausende wiederholen seine Worte). Und weiter: »Warum? Weil ich jeder von euch bin. Wir sind heute 43 Jahre weiter, und es geht immer noch darum, unseren Kampf siegreich zu Ende zu führen. Dieser Tag wird kommen – nicht für uns, aber für unsere Kinder!«
So sprach einer der beiden Leichtathleten, die die Welt in Aufregung versetzten, als sie schnell wie der Wind liefen und dafür nach einem historischen Wettlauf mit der Bronze- und Goldmedaille geehrt wurden und dann ohne Schuhe und mit rot-schwarz-grünen »Freiheitsarmbändern« der Black-Power-Bewegung geschmückt auf dem Siegerpodest standen und ihre schwarzbehandschuhten Fäuste in die Luft reckten – als Symbol gegen die Diskriminierung der afroamerikanischen Bevölkerung.
Nach seinem kurzen Grußwort in New York entzog sich Carlos wieder dem Blitzlichtgewitter und den vielen auf ihn gerichteten Kameras und Mikrophonen und kehrte in sein relativ ruhiges Leben zurück.
Über John Carlos und von ihm autorisiert hat Dave Zirin gerade unter dem schlichten Titel »The John Carlos Story – The Sports Moment That Changed the World« ein wunderbares Buch veröffentlicht. Erzählt wird darin Carlos’ Lebensgeschichte von seiner Kindheit in Harlem, über sein Schlüsselerlebnis der fünf Minuten auf dem Siegerpodest der 1968er Olympiade bis hin zu seinem weiteren Weg, auf dem fast jede wichtige US-Institution ihm und seinem Teamkollegen Smith Knüppel zwischen die Beine geworfen und versucht hat, beide, psychologisch, finanziell und beruflich zu zerstören. Wir lernen daraus, daß man im »Land der Freien« immer noch einen hohen Preis dafür zahlt, wenn man eine abweichende Meinung vertritt.
John Carlos ist ein Mann von außerordentlich starkem Willen und großer Entschlossenheit, und das Buch bringt das humorvoll trotz allem Seelenleid sehr gut rüber. Wer an Sport, an Leichtathletik und der Geschichte der 1960er Jahre und der schwarzen Freiheitsbewegung interessiert ist, den wird der Inhalt des Buches zugleich begeistern und erzürnen. Und je mehr Menschen das Buch lesen, desto weniger werden Zwanzigjährige künftig fragen müssen, wer denn eigentlich dieser John Carlos ist.

Übersetzung: Jürgen Heiser

 
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