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Kolumne # 525 vom 15.01.2011: Wandelnde Bomben

16.01.11 (von maj) Das Massaker von Arizona und der Zustand der Vereinigten Staaten von Amerika

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 12 – 15./16. Jan. 2011

Das Massaker in Tucson, Arizona, hat ein grelles Licht darauf geworfen, in welchem Zustand sich die USA zu Beginn des 21. Jahrhunderts befinden. Was dieses Ereignis aus anderen heraushebt, ist weniger die Tatsache, daß es passiert ist, sondern gegen wen sich der Anschlag gerichtet hat. Wären die Opfer normale Durchschnittsbürger gewesen und nicht eine durch einen Kopfschuß schwerverletzte Kongreßabgeordnete und ein Richter, der neben fünf weiteren Menschen getötet wurde, glauben Sie denn, daß Sie den Namen des mutmaßlichen Todesschützen je erfahren hätten? Der Zwischenfall wäre bestenfalls eine beiläufige Meldung wert gewesen.
Gewaltakte wie dieser haben sich in der Vergangenheit vielerorts in den USA ereignet – in einem Bundesstaat nach dem anderen. Ich wage zu behaupten, daß Vorfälle wie dieser in Zukunft noch öfter passieren werden.
Bei näherer Betrachtung scheint das große Medieninteresse an der vermeintlichen Geisteskrankheit des Beschuldigten eher der Förderung des geistigen Wohlbefindens des Publikums zu dienen, als daß es schon substantielle Hinweise gegebenen hätte, die eine solche Diagnose erlauben. Nach der Lektüre einiger Zeitungsartikel, in denen der Beschuldigte zitiert wird, muß ich sagen, daß sich seine Äußerungen nicht so verrückt anhören, wie die Medien uns glauben machen wollen.
Zum Verstehen der Tat ist es genauso wenig hilfreich, wenn der Angreifer als »regierungsfeindlich« beschrieben wird, denn mit dem schwindenden Ansehen, das der US-Kongreß unter den Zwanzig- und Dreißigjährigen genießt, kann man davon ausgehen, daß die Mehrheit der US-Amerikaner in einem gewissen Sinn regierungsfeindlich sind.
Der junge Mann aus Tucson scheint eher ein Absolutist zu sein, was die Kongreßpolitik betrifft, also jemand, der die Verfassung wortwörtlich nimmt und folglich Wahlen und Regierungsinstitutionen, die im Dokument der Verfassung nicht ausdrücklich vorgesehen sind, ablehnt.
Zudem ist es leicht, der Aktion den Stempel aufzudrücken, es handele sich bei dem Angreifer um einen »geistig verwirrten Einzeltäter«. Mag ja sein, daß es zutrifft, aber müßte eine solche Feststellung nicht nach einer Untersuchung des Falles getroffen werden und nicht davor?
Viele von uns erinnern sich noch an andere Aktionen vermeintlich »geistig verwirrter Einzeltäter«, oder haben darüber gelesen, daß sogenannte Einzeltäter verantwortlich sein sollen für die Ermordung von Präsident John F. Kennedy oder von Reverend Dr. Martin Luther King junior. Sogar der Bombenanschlag auf das Federal Building in Oklahoma soll das Werk eines Einzeltäters gewesen sein. Viele Menschen hegen heute aber ernsthafte Zweifel an diesen offiziellen Darstellungen. Nicht anders ist es mit der nicht enden wollenden Kontroverse um die Ereignisse des 11. September 2001.
In Zeiten ökonomischer Verwerfungen und sozialer Unsicherheit können Menschen Veränderungen als etwas Bedrohliches und Furchteinflößendes empfinden. Es ist bestimmt nicht gerade hilfreich, wenn Politiker ein solches Unbehagen auch noch entfachen oder schüren, um damit entweder Schlagzeilen zu machen oder politische Gegner zu verteufeln.
Im 19. Jahrhundert erklärte der französische Publizist und Wissenschaftler Alexis de Tocqueville, die politischen Parteien in den USA verhielten sich geradezu wie »Nationen, die Krieg gegeneinander führen«. Heute befinden sich die Parteien noch mehr im Krieg miteinander als damals, und »mad soldiers« können in jedem Krieg die schlimmste Waffe sein. Und so, wie diese »verrückten Hunde« mit Schwarzpulver gefüttert werden, so können »geistig Verwirrte« mit Reizwörtern wie »Verräter«, »Vergewaltiger«, »Linker« oder »Sozialist« gefüttert werden. Sind sie erst einmal angefüttert, werden sie wandelnde Bomben, die nur noch auf die richtigen Ziele ausgerichtet werden müssen.

Übersetzung: Jürgen Heiser

 
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