Kolumne # 522 vom 24.12.2010: Nichts zu verlieren
27.12.10 (von maj) Obama mit dem Rücken zur Wand. Gesetz für illegale Einwanderer im Senat gescheitert
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 301 –24/25./26. Dezember 2010
Eines der Relikte aus der Ära des früheren US-Präsidenten William Clinton hieß »Don’t ask, don’t tell« (Frage nicht, sage nichts). Es war die Entscheidung der damaligen Legislative, Schwule und Lesben in der US-Armee nicht mehr wie zuvor völlig zu diskriminieren und sie aus dem Militär herauszuhalten oder zu entfernen, sondern sie dienen zu lassen. Man hatte nämlich festgestellt, daß es Millionen verschlingt, wenn man die wegen ihrer sexuellen Orientierung gefeuerten Soldaten ersetzen muß. Allerdings wurde diesen Soldaten und der Truppenführung unter Clinton ein Schweigegelübde auferlegt: Sie durften über ihre sexuelle Orientierung nicht reden, und sie durften dazu von ihren Vorgesetzten auch nicht mehr befragt werden.
Die Regierung von US-Präsident Barack Obama hat dieses Relikt angefochten und in dieser Woche den reformierten Paragraphen 654 des US-Militärgesetzes verabschiedet. Dem Gesetz nach ist es Soldatinnen und Soldaten nun erlaubt, ihre Homosexualität offen zu leben.
Trotz der Kriege in Afghanistan und Irak und des schlechten Zustands der US-Ökonomie und ganz zu schweigen von der Niederlage, die Obamas Demokratische Partei bei den Zwischenwahlen im November einstecken mußte, versteht Obama es, in der Not Negatives in Positives zu verwandeln. Sein Regierungskabinett hatte die Veränderung des Gesetzes über Homosexuelle in der US-Armee nicht vorrangig auf dem Radarschirm. Vielleicht lag das daran, daß die Demokraten sich nicht mit einer Anzeigenkampagne ihrer politischen Gegner konfrontiert sehen wollten, in der sie für einen »liberalen Aktionismus« gebrandmarkt werden, weil sie solche Gesetzesreformen vorantreiben. Das änderte sich erst nach dem schlechten Ausgang der Novemberwahlen. Nach den Stimmenverlusten setzte sich bei den Demokraten offensichtlich die Erkenntnis durch, daß sie nichts mehr zu verlieren haben.
Doch während Schwule und Lesben es schafften, als machtvolle Wählergruppe der Demokratischen Partei ihre Interessen durchzusetzen, kann man das gleiche nicht über eine weitere große Wählergruppe sagen – die US-Bürger lateinamerikanischer Abstammung. Obwohl sie die am schnellsten wachsende Minderheit der US-Bevölkerung sind, gelingt es ihnen nicht, den gleichen Druck auf die Demokraten auszuüben wie die Homosexuellen.
Zu sehen war das jetzt bei den Debatten um das DREAM-Gesetz, das vor allem den gesellschaftlichen Status der großen Bevölkerungsgruppe illegaler Einwanderer aus lateinamerikanischen Ländern gebracht hätte. DREAM steht für »Development, Relief and Education for Alien Minors Act« und bezeichnet die Vorlage für ein Bundesgesetz, das es Schulabsolventen aus illegal eingewanderten Minderheitsgruppen ermöglichen soll, einen legalen Status zu erhalten. Von den jährlich drei Millionen Absolventen der High-Schools haben schätzungsweise 65000 einen illegalen Status. Sie leben zwar schon seit ihrer Geburt oder seit vielen Jahren in den USA und würden gern die US-Staatsbürgerschaft erlangen, aber dazu fehlt bislang die gesetzliche Grundlage. Nach Verabschiedung des DREAM-Gesetzes könnten sie auf der Basis einer sechsjährigen Bewährungszeit einen legalen Aufenthaltsstatus erhalten.
Voraussetzung wäre ein Mindestaufenthalt von fünf Jahren in den USA, der erfolgreiche Abschluß der High School, ein »guter moralischer Charakter« und die Ableistung von mindestens zwei Jahren einer auf vier bis acht Jahre festgelegten Verpflichtung zum Militärdienst. Alternativ gilt das auch für das erfolgreiche Absolvieren von zwei Jahren einer vierjährigen Hochschulausbildung.
Das Inkrafttreten des DREAM-Gesetzes war wie die Reform des Homosexuellenparagraphen für 2011 vorgesehen. Doch im US-Senat erhielt es im Dezember keine ausreichende Zustimmung der Abgeordneten. Und es ist unwahrscheinlich, daß dieses Gesetz angesichts der republikanischen Stimmenmehrheit im Repräsentantenhaus auf absehbare Zeit noch eine Chance hat. Diesmal wird es nicht helfen, daß Obama in der Lage ist, sich zu bewegen, wenn er mit dem Rücken zur Wand steht.
Übersetzung: Jürgen Heiser
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