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Freiheit für Ruchell »Cinque« Magee!

21.08.10 (von ivk) Der einstige Mitangeklagte von Angela Davis sitzt in den USA seit 47 Jahren im Gefängnis und kämpft um seine Freiheit. Mumia Abu-Jamal plädiert in seiner aktuellen »junge Welt«-Kolumne vom 21. August 2010 dafür, Magee durch eine breite Solidaritätsbewegung zu unterstützen

FREIHEIT FÜR RUCHELL »CINQUE« MAGEE !
Erklärung des Internationalen Verteidigungskomitees (IVK)

»Das System praktiziert die Sklaverei unter Aufrechterhaltung des Scheins von Recht und Gesetz. Sklaverei vor 400 Jahren, Sklaverei heute; nur der Name hat sich geändert, aber sonst ist alles gleich geblieben. Die machen Millionen und Abermillionen Dollars damit, Schwarze, arme Weiße und andere zu versklaven – Menschen, die noch nicht einmal merken, welches Unrecht ihnen widerfährt.«
(Ruchell »Cinque« Magee am 12. August 1995 in einem Radiointerview)

Im September 2000 erschien in Bremen ein Buch mit dem Titel »How many more years – Lebenslange Haft in den USA«. Im Untertitel hieß es: »Ruchell ›Cinque‹ Magee – Biographie eines politischen Gefangenen«. Das Buch, das noch heute erhältlich ist (Bezugsadressen siehe unten), fand in den USA keinen Verlag und wurde deshalb in deutscher Übersetzung erstveröffentlicht. Der US-Autor Mark A. Thiel, in zweiter Generation Nachfahre deutscher und norwegischer Einwanderer und langjäriger Aktivist gegen Rassismus und Entrechtung im US-Gefängnissystem, arbeitete seit 1996 an diesem Buch, weil er die Lebensgeschichte seines Freundes Ruchell, den er seit vielen Jahren im Knast besuchte, einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen wollte. Doch die »Öffentlichkeit« in den USA war nicht interessiert.
Diese Lebensgeschichte ist gleichzeitig die Geschichte des US-Gefängnissystems, das der Autor als »Fortsetzung der Sklaverei mit anderen Mitteln« beschreibt. Er stützt sich dabei auf die politische Analyse und Haltung Ruchell »Cinque« Magees, der seit fast fünf Jahrzehnten nicht nur der Unterdrückung und Ausbeutung des gefängnisindustriellen Komplexes unterworfen ist, sondern seit seinem Prozeß auch gegen diese moderne Form der Sklaverei kämpft.
Wir dokumentieren im Anschluß an diese Erklärung die Kolumne von Mumia Abu-Jamal als ersten Schritt einer konzentrierten Solidaritätsarbeit für Ruchell »Cinque« Magee. Gerade hier in Deutschland, wo Angela Davis großes Ansehen genießt und sowohl in der BRD als auch – und vor allem! – in der Deutschen Demokratischen Republik die Solidaritätsbewegung für Angela Davis Anfang der 1970er Jahre sehr stark war, ist es unsere Pflicht, uns gerade auch für Ruchells Freiheit einzusetzen. Die Forderung nach seiner Freilassung ist nichts Unmögliches. Die US-Justiz müßte nur endlich einen seiner zahlreichen Anträge zur Entlassung auf Bewährung bewilligen. Aber die Rache der »Siegerjustiz« steht wie bei Mumia Abu-Jamal auch bei diesem Gefangenen im Vordergrund: Er soll nicht frei sein, weil er es gewagt hat, sich gegen die rassistischemn Verhältnisse zu erheben und sich auch in Jahrzehnten nicht hat brechen lassen!

WAS WIR TUN KÖNNEN
Wir sind gerade dabei, uns mit denjenigen, die sich auch in den USA für Ruchells Freiheit einsetzen, über einen gemeinsamen Aufruf zu verständigen. Diesen werden wir an dieser Stelle veröffentlichen, sobald er fertig ist.
Bis dahin können wir aber etwas machen, was auch für Mumia immer sehr wichtig war und ist: Wir können Ruchell in seine Zelle schreiben und ihm zeigen, daß er nicht vergessen ist. Damit signalisieren wir gleichzeitig der Justiz, die seine Post kontrolliert, daß es sehr wohl eine Öffentlichkeit gibt, die Licht und Gerechtigkeit auch in diesen »Fall« bringen will.
Seine Adresse:
Ruchell C. Magee # 92051
Corcoran State Prison, 3A2-131
P.O. Box 3471
CORCORAN, CA 93212, USA

(Bitte Karten und Briefe auf Englisch schreiben und mit Absender versehen.)

21. August 2010
Internationales Verteidigungskomitee (IVK)
Postfach 150 530, D-28095 Bremen
eMail: ivk@freedom-now.de
Website: www.freedom-now.de

SEIT 47 JAHREN IM GEFÄNGNIS
Einstiger Mitangeklagter von Angela Davis kämpft noch immer um seine Freiheit

Kolumne # 504 von Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 194 – 21./22. August 2010

Es ist jetzt 39 Jahre her, daß der Black Panther George Jackson im kalifornischen Staatsgefängnis von San Quentin am 21. August 1971 von Wärtern »auf der Flucht« erschossen wurde, wie es offiziell hieß. Mit 18 Jahren wegen eines Tankstellenüberfalls mit 70 US-Dollar Beute zu einer »Gummistrafe« von einem Jahr bis lebenslänglich verurteilt, schloß Jackson sich in der Haft der Black Panther Party an und baute eine militante Gefangenenbewegung auf. International bekannt wurde er durch seinen als Buch veröffentlichten Briefwechsel mit Angela Davis. Mit Jacksons Namen eng verbunden ist der eines anderen afroamerikanischen Gefangenen, der heute der am längsten eingesperrte politische Gefangene in den USA ist: Ruchell »Cinque« Magee.
Als 24jähriger ging der im Südstaat Louisiana aufgewachsene Magee 1963 nach Los Angeles. Er war noch keine sechs Monate in der kalifornischen Stadt, als er nach einem Streit mit einem Mann verhaftet wurde. Es ging um die Frau des Kontrahenten und ein paar Krümel Marihuana im Wert von 10 Dollar. Die aufgebauschte Anklage lautete auf Geiselnahme und Raub, und schon bald wurde Ruchell Magee in einem Schnellverfahren, bei dem das Urteil schon vorher feststand, zu lebenslanger Haft verurteilt.
Magee politisierte sich in der Haft, und fortan nannte er sich »Cinque« nach dem afrikanischen Freiheitskämpfer, der im 19. Jahrhundert mit anderen Verschleppten zusammen das Sklavenschiff »Amistad« in seine Gewalt brachte, um wieder Kurs auf heimatliche Gefilde in Afrika zu nehmen. Auch Ruchell »Cinque« Magee wollte sich aus der legalisierten Sklaverei der Gefängniszwangsarbeit befreien. Im jahrelangen Kampf mit den Gerichten erlernte er das, was er selbst »Guerilla-Recht« nannte und zu einer scharfen Waffe im Kampf um seine eigene und die Freiheit seiner Mitgefangenen schmiedete. Die kalifornische Justiz jedoch war an den Rechten eines jungen Schwarzen wie Magee nicht interessiert und lehnte alle seine Berufungsanträge ab.
Am 7. August 1970 war Magee als Zeuge der Verteidigung im Verfahren des schwarzen Gefangenen James McCain geladen. Dieser war angeklagt, in San Quentin einen Wärter angegriffen zu haben, nachdem dessen Kollegen den Gefangenen Fred Billingsley getötet hatten. Durch die Zeugenaussagen über den rassistischen und repressiven Charakter des Gefängnissystems versprach sich McCain Entlastung. Mitten in Magees Vernehmung im Gericht von Marin County stürmte ein schwerbewaffneter junger Schwarzer herein und rief, er werde jetzt das Kommando im Saal übernehmen. Der 17jährige Jonathan Jackson, George Jacksons Bruder, verteilte Waffen an McCain, Magee und den zweiten Zeugen William Christmas. Mit Richter, Staatsanwalt und drei Geschworenen als Geiseln verließen sie das Gericht. Ziel war ein Radiosender, von wo aus sie die Welt über die elenden Bedingungen in den Gefängnissen informieren wollten. Am Ende sollten die Geiseln gegen George Jackson und die beiden anderen »Soledad Brothers« John Cluchette und Fleeta Drumgo ausgetauscht werden. Doch genau das wollten Justiz und Polizei verhindern. Noch ehe der Fluchtwagen starten konnte, wurde er von Salven eines großen Polizeiaufgebots durchsiebt, wobei der Richter starb, der Staatsanwalt nur knapp und querschnittgelähmt überlebte. Die Geschworenen entkamen leichtverletzt. Von den vier Revolutionären überlebte nur Magee schwerverletzt diese Aktion.
Schon bald sah er sich gemeinsam mit Angela Davis wegen Mordes, Geiselnahme und Verschwörung angeklagt. Die Kommunistin und linke Hochschulprofessorin Davis war wegen ihrer Kontakte zu den beiden Jackson-Brüdern auf die Fahndungsliste des FBI gesetzt und nach einer Großfahndung schließlich verhaftet worden. Der Ausgang ist bekannt: Ruchell Magees Verfahren wurde abgetrennt, Angela Davis erhielt die Unterstützung einer weltweiten Solidaritätsbewegung und wurde 1972 von der Jury freigesprochen. Magee, der in seinem späteren Prozeß kaum Unterstützung hatte und betonte, er habe wie sein Vorfahre Cinque das natürliche Recht, sich aus der Sklaverei zu befreien, fand keine Gnade bei den Geschworenen und wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Bis heute kämpft der mittlerweile 71jährige vergeblich um seine Freilassung auf Bewährung. Nach fast 47 Jahren Gefängnis braucht er dazu die Unterstützung einer breiten Solidaritätsbewegung.

[Übersetzung: Jürgen Heiser]

BEZUG DES BUCHES ÜBER RUCHELL »CINQUE« MAGEE

Mark A. Thiel
HOW MANY MORE YEARS?
Lebenslange Haft in den USA - Ruchell Cinque Magee - Biographie eines politischen Gefangenen
253 Seiten, Paperback, 8.00 EUR
(Beschreibung siehe: http://www.atlantik-verlag.de/?p=buch&pt=6)
Da der Atlantik Verlag 2007 geschlossen wurde, können Restbestände des Buches über das IVK bezogen werden (Adresse siehe oben) oder über den Literaturvertrieb der Rote Hilfe e.V.:
http://www.rote-hilfe.de/static/shop2/broschueren-und-buecher/how-many-more-years.html

 
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