Kolumne 26.06.2010: Fanfare der Unterdrückten
26.06.10 (von maj) Vom Ursprung der Vuvuzela als Instrument der »Nazarite Church« – einer Kirche der Schwarzen
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 145 – 26./27. Juni 2010
Die Geräuschkulisse, erzeugt von Zehntausenden Vuvuzelas, ist zum Erkennungszeichen der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika geworden. Wie jeder Zuschauer mittlerweile weiß, ist die Vuvuzela ein Blasinstrument. Es ähnelt mittelalterlichen Fanfarentrompeten und weist wie diese eine langgezogene enge Mensur auf, die in einem weiten Schalltrichter endet. Anders als viele Blasinstrumente wird sie allerdings ohne Ventile gespielt. Der nur begrenzt variable Ton entsteht mittels einer bestimmten Lippentechnik beim Anblasen.
Vor allem unter den Fußballfans Südafrikas erfreut sich die Vuvuzela schon seit geraumer Zeit großer Beliebtheit. Einzeln geblasen klingt das Geräusch wie das Trompeten eines Elefanten, wird das Instrument aber von vielen Fans gleichzeitig benutzt, hört es sich wie ein angriffslustiger Hornissenschwarm an.
Doch hat die Vuvuzela ursprünglich nichts mit Fußball und dem Enthusiasmus ausgelassener Fußballfans zu tun. Anspruch auf die Urheberschaft als Teil ihrer religiösen Rituale erhebt die Shembe-Bewegung, deren Anfänge im frühen 19. Jahrhundert liegen. Unter der Führerschaft des südafrikanischen Geistlichen Isaiah Shembe entstand eine Bewegung, deren Wesen eine unverkennbare Mischung aus Zulukultur und christlichem Glauben ist. In ihrem Mittelpunkt steht die strikte Befolgung der biblischen zehn Gebote.
Isaiah Shembe gründete die Nazarite Church, auch Nazareth Baptist Church genannt, im Jahr 1910. Sie gehört zu den African Initiated Churches. Dieser Oberbegriff umfaßt alle christlichen Gemeinschaften Afrikas, die nicht von ausländischen Missionaren, sondern eigenständig von Afrikanern initiiert wurden. Heute zählt die Nazarite Church vier Millionen Mitglieder in der südlichen Region Afrikas. Sie ist eine der größten unabhängigen Kirchen des Kontinents mit über 7000 Tempeln. Ihr religiöses Zentrum ist KwaZulu-Natal, das traditionelle Heimatland des Stammes der Zulu an der Ostküste Südafrikas.
Einmal im Jahr pilgern Tausende und Abertausende Gläubige der Nazarite Church zum heiligen Berg Nhlangagazi. Hier soll Isaiah Shembe vor gut hundert Jahren seine Offenbarung durch den heiligen Geist erfahren haben, weshalb sich seine Gemeinde dort in treuer Gefolgschaft versammelt und wie ihr zweites großes Vorbild Jesus von Nazareth den Pilgerweg barfuß zurücklegt.
»Shembe ist der Prophet Afrikas für Afrika«, erklärte Chencey Sibisi, Generalsekretär der Nazarite Church. »Die weiße Kolonialregierung des Apartheidstaates konnte sich nicht vorstellen, daß eine von einem Schwarzen gegründete Kirche Bestand haben würde, aber es gibt uns immer noch.« Davon legte die große Gemeinde im Januar 2010 erneut Zeugnis ab, als 300000 Männer und Frauen, in weiße Gewänder gekleidet, zu ihrem heiligen Berg pilgerten. Sie kamen nicht nur aus Südafrika, sondern auch aus Mocambique, Malawi und anderen Ländern der Region. Weithin erschallte das tiefe Dröhnen ihrer Vuvuzelas, denn die Shemba-Anhänger blasen nur ihre tiefen Töne an.
Als die Fußballweltmeisterschaft näherrückte und sich die kommerzielle Vermarktung der Vuvuzela abzeichnete, drohte die Nazarite Church zunächst damit, gerichtlich gegen die Zweckentfremdung ihres religiösen Instruments vorzugehen. Doch die Drohung wurde nicht wahrgemacht. Vielleicht ahnten weise Verantwortliche dieser Kirche, daß die Ausbreitung der Vuvuzela unter Millionen von sportbegeisterten Fußballpilgern nicht mehr aufzuhalten war.
Dabei drängt sich ein Vorschlag auf: Jetzt, da die Vuvuzelas weltweit so billig auf den Markt geworfen werden, sollten wir sie massenhaft horten, um sie nach dem Ende des Fußballspektakels rund um den Erdball zur Fanfare der Unterdrückten zu machen und mit ihr den Herrschenden auf unseren Demos und bei unseren Protesten lautstark den Marsch zu blasen.
Übersetzung: Jürgen Heiser
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