Rassismus und Todesstrafe in den USA
14.03.10 (von ivk) Der Rassismus prägt die Gesellschaft, die staatlichen Institutionen und insbesondere das Strafjustizsystem jenes Landes, das sich der Welt so gerne als Leuchtturm der Demokratie präsentiert. Dies wird besonders deutlich bei der Verhängung und Anwendung der Todesstrafe
RASSISMUS UND TODESSTRAFE IN DEN USA
Von Doris und George Pumphrey
"Immer noch ungleich – im Leben wie im Tod" (Mumia Abu-Jamal)
Der Rassismus ist ein wesentlicher Bestandteil der gesamten US-Geschichte. Der Rassismus prägt die Gesellschaft, die staatlichen Institutionen und insbesondere das Strafjustizsystem jenes Landes, das sich der Welt so gerne als Leuchtturm der Demokratie präsentiert. Dies wird besonders deutlich bei der Verhängung und Anwendung der Todesstrafe. Gegenwärtig sitzen mehr als 3,200 Männer und Frauen in den Todeszellen. Fast 42 Prozent der zum Tode Verurteilten sind Afroamerikaner, bei einem Bevölkerungsanteil von nur 12,8 Prozent. 25 Prozent der schwarzen US-Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Dass sie in den Todestrakten überrepräsentiert ist, verwundert nicht wenn man bedenkt, dass über 95 Prozent aller wegen Kapitalverbrechen Angeklagten zu arm sind um sich eine adäquate Verteidigung zu leisten.
Das Strafjustizsystem ist dazu da jene, die einer Rechtsverletzung oder eines Verbrechens verdächtig sind, festzunehmen, Schuld und Ausmaß der Schuld zu beweisen und zu beurteilen und eine angemessene Strafe festzusetzen.
Schuld oder Unschuld ist die zentrale Frage im Strafjustizsystem. Doch diese Frage spielt kaum noch eine Rolle im US-Strafjustizsystem, das wenig mit Kriminalitätsbekämpfung und schon gar nichts mit Gerechtigkeit zu tun hat. Der Kongressabgeordnete John Conyers, brachte es einmal auf den Punkt: "Das System zur Bekämpfung der Kriminalität ist selbst der kriminellste Teil der Regierung." Diese Kriminalität beginnt bei der Polizei und durchzieht das gesamte System, vom Gerichtsverfahren bis zum Strafvollzug.
Die Polizei, die weitgehend militarisiert und mit „Overkill“-Waffen ausgerüstet ist, agiert in den Ghettos der USA wie Soldaten auf feindlichem Territorium. „Verdächtige“ – natürlich meist Afroamerikaner – werden nicht selten sofort als "Kriminelle" erschossen. „Beweise“ erübrigen sich oder werden nachträglich an den Tatort gelegt, um Notwehr vorzutäuschen. Diese Todesstrafe, vollstreckt durch die Polizei ohne Gerichtsverfahren und Beweis von Schuld, gilt meist als gerechtfertigt.
Gerichtsverfahren in den USA sind zu 90 Prozent heute nur noch ein Handel – „Plea-Bargaining“ –, der nur wenige Minuten dauert. Der Staatsanwalt erhebt möglichst viele Anklagepunkte, Beweise sind überflüssig. Dem Angeklagten wird eine leichtere Strafe versprochen, wenn er sich sofort zu einigen der Anklagepunkte schuldig bekennt. Die meist mittellosen Angeklagten sind auf Pflichtverteidiger angewiesen. Ihre Pauschale erlaubt keinen langen Prozess um eine eventuelle Unschuld zu beweisen. Sie drängen die Angeklagten sich auf den Handel einzulassen um eine höhere Strafe zu vermeiden. Der Richter erhält dadurch die Vollmacht für willkürliche Entscheidungen. Kein Wunder also, dass die USA die höchste Gefangenenrate der Welt hat.
Angeklagte, die Kapitalverbrechen beschuldigt werden, kommen vor ein Geschworenengericht. 95 Prozent dieser Angeklagten sind auf unterbezahlte, überarbeitete und meist inkompetente Pflichtverteidiger angewiesen. 98 Prozent der Staatsanwälte in Gerichtsverfahren, die mit der Todesstrafe enden, sind weiß, die alles daran setzen um schwarze Geschworene auszuschließen. Rassistische Bemerkungen durchziehen die Prozesse. Dass schwarze Angeklagte überproportional zum Tode verurteilt werden liegt im System.
1972 wurde die Todesstrafe vom Obersten Gericht für alle Staaten der USA außer Kraft gesetzt. Die Richter erklärten die Todesstrafe für „grausam und ungewöhnlich“, wenn sie dem Verbrechen nicht angemessen ist, wenn sie willkürlich verhängt wird, wenn sie den öffentlichen Gerechtigkeitssinn verletzt und wenn sie nicht wirksamer ist als eine weniger harte Strafe. Die Bundesstaaten mussten ihre Todesstrafengesetze überarbeiten um Willkür auszuschließen. 1976 wurde die Todesstrafe wieder zugelassen. An ihrer willkürlichen Verhängung und Anwendung hat sich jedoch nichts geändert.
Seit der Wiedereinführung der Todesstrafe wurden 1193 Menschen hingerichtet. 35 Prozent der Hingerichteten waren schwarz. Seither gelang es 139 zum Tode Verurteilten ihre Unschuld zu beweisen, 51 Prozent unter ihnen waren schwarz. Auch diese Zahl zeigt den rassistischen Charakter der Verhängung der Todesstrafe.
Vor zehn Jahren veröffentlichte die Chicago Tribune eine Studie über Fälle von Todesurteilen, die später aufgehoben wurden. Die Studie zeigte, wie die Staatsanwaltschaft Gerichte täuscht und sogar Beweismittel zurückhält um die Todesstrafe für Angeklagte durchzusetzen, obwohl sie wussten, dass diese unschuldig sind. Die Studie nannte konkrete Beispiele: Schwarze wurden des Mordes angeklagt, obwohl die Staatsanwaltschaft Beweise hatte, dass die Mörder weiß waren; eine Frau wurde angeklagt, obwohl der Beweis vorlag, dass ihr Ehemann Selbstmord begangen hatte; Eltern wurden angeklagt, obwohl es Beweise gab, dass ihre Tochter von wilden Hunden getötet worden war. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass dieses Verhalten der Staatsanwaltschaft systematisch und weitverbreitet ist. Diese Studie konnte nur jene Fälle untersuchen, bei denen die Unschuld von zum Tode Verurteilten bereits vom Gericht festgestellt worden war.
Wie viele in den USA tatsächlich unschuldig hingerichtet wurden, und wie viele gegenwärtig unschuldig in den Todeszellen sitzen, kann keiner sagen. Viele zum Tode Verurteilte versuchen heute u. a. ihre Unschuld durch DNA Analysen zu beweisen – gegen den Widerstand von Polizei, Staatsanwälten und Gerichten. Den meisten fehlten und fehlen die Möglichkeit (und kompetente und engagierte Rechtsanwälte) um ihre Unschuld zu beweisen.
Das Unrecht hat System und wurde durch Entscheidungen des Gesetzgebers und des Obersten Gerichts z. T. auch noch verschärft. So annullierte der US Kongress 1991 ein Gesetz, das Hinrichtungen in Regionen verboten hatte, in denen Rassendiskriminierung in der Justiz statistisch nachgewiesen werden konnte. 1992 entschied das Oberste Gericht, dass die Staatsanwaltschaft einer Grand Jury Informationen vorenthalten kann, die auf die Unschuld des Angeklagten hinweisen. 1993 entschied das gleiche Gericht, dass die Vollstreckung der Todesstrafe an einem Unschuldigen verfassungskonform sei, solang dieser einen „fairen Prozess“ hatte. Damit bestätigte das Oberste Gericht ein Gesetz in Texas, das dem Todeskandidaten lediglich 30 Tage gab um Beweise für seine Unschuld vorzulegen.
Die Gefahr, dass Unschuldige zum Tode verurteilt und hingerichtet werden, spielt eine zunehmende Rolle in der Begründung zur Abschaffung der Todesstrafe auch von offizieller Seite. Vor einem Jahr, unterzeichnete der Gouverneur von New Mexico, Bill Richardson, das Gesetz zur Abschaffung der Todesstrafe. Ihm fehle das Vertrauen in das Justizsystem und er begründete dies mit dem hohen Risiko, dass Unschuldige zum Tode verurteilt und unschuldig hingerichtet werden. Ähnlich argumentierte die Commission on Capital Punishment in Maryland in ihrer Empfehlung die Todesstrafe in dem Bundesland abzuschaffen. Sie wies darauf hin, dass zwischen 1995 und 2007 in 80 Prozent der Fälle in Maryland die Todesurteile am Ende aufgehoben werden mussten.
In der Diskussion über die Todesstrafe spielen aber vor allem auch finanzielle Erwägungen eine große Rolle. Wie sich im Kapitalismus alles „rechnen“ muss, so muss sich auch der Tod „rechnen“. Die Wirtschafts- und Finanzkrise zwingt die einzelnen Staaten zu immer neuen Sparmaßnahmen und das hat wiederum Auswirkungen auf die Todesstrafe. Denn tatsächlich kostet ein Gefangener in der Todeszelle dem Staat wesentlich mehr als ein lebenslänglich Verurteilter, nicht nur weil in den Todestrakten mehr Personal angestellt wird, sondern vor allem aufgrund der jahrzehntelangen rechtlichen Verfahren in den verschiedenen Berufungsinstanzen, in denen der Staat Pflichtverteidiger zahlen muss.
Seit etwa zehn Jahren ist die Anzahl der Todesurteile rückläufig. 15 US-Staaten haben sie bereits abgeschafft. Elf Staaten sind dabei die Abschaffung zu prüfen und immer mehr Staatsanwälte zögern aufgrund der genannten finanziellen Erwägungen die Todesstrafe zu beantragen.
Im letzten Herbst hat die Bewegung gegen die Todesstrafe von unerwarteter Seite wichtige Unterstützung bekommen. Das „American Law Institute“, das mit seinen 4000 Richtern, Rechtsanwälten und Professoren die Anwendung der Gesetze für die 50 Bundesstaaten vereinheitlicht und den konzeptuellen Rahmen des Systems der Todesstrafe geschaffen hatte, hat diesem nun seine Unterstützung aufgekündigt. In einer Studie weist das Institut u.a. nicht nur auf die enormen Kosten der Todesstrafe hin, sondern stellt auch fest, dass Unschuldige hingerichtet werden, die Todesstrafe für Wahlen politisch missbraucht wird und ihre Anwendung von Rassendiskriminierung geprägt ist.
Mumia Abu Jamal, der selbst jede Facette dieses rassistischen Unrechtssystems durchlitten hat, steht wie kein anderer für den Kampf gegen die Todesstrafe. Durch seine Bücher, Artikel und Radiosendungen hat er auch auf internationaler Ebene das Scheinwerferlicht auf die Todesstrafe und auf den Rassismus im US-Strafjustizsystem geworfen. Der Kampf um Mumia ist nicht nur ein Kampf für die Freiheit eines politischen Gefangenen, sondern auch ein Kampf gegen die rassistische Klassenjustiz und die Todesstrafe.
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Detaillierte Informationen zu Todesstrafe und Rassismus in den USA unter:
www.deathpenaltyinfo.org
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