Kolumne 23.01.2010: Der Fluch Haitis
22.01.10 (von maj) Leid und Elend der Bewohner des Karibikstaates sind menschengemacht
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 19 – 23./24. Januar 2010
Der Karibikstaat Haiti wurde jetzt ein weiteres Mal durch eine Naturkatastrophe ins Bewußtsein der Weltöffentlichkeit gerückt. Das fürchterliche Leiden der Haitianer nach den starken Erdbebenstößen weckte weltweites Mitleid und brachte Regierungen aus nah und fern dazu, sich jenen zur Seite zu stellen, die sich selbst nicht helfen können.
Haiti ist das westliche Drittel der von Christoph Kolumbus 1492 für Spanien in Besitz genommenen Insel Hispaniola, deren indigene Urbevölkerung, die Taínos, durch die Kolonialisten fast vollständig ausgerottet wurde. Nach und nach wurden verschleppte afrikanische Sklaven angesiedelt, die fortan auf den Zuckerplantagen der neuen Herren arbeiten mußten. 1697 trat die spanische Krone das Gebiet des heutigen Haiti an Frankreich ab, das fortan zur reichsten Kolonie des französischen Kolonialreichs wurde.
Seit zwei Jahrhunderten muß Haitis Bevölkerung leiden, weil Sklaven einst einen Aufstand gewagt hatten, den Befreiungskrieg gewannen und die erste freie Sklavenrepublik ausriefen. Am 1. Januar 1804 erklärte der Teilstaat unter dem Namen Haiti – in der Taíno-Sprache »bergiges Land« – seine Unabhängigkeit von Frankreich. Heute, so erfahren wir aus den Medien, ist Haiti das ärmste Land im Westen. Aber niemand erklärt, wie es dazu wurde.
Wer erinnert sich heute noch daran, wie die USA Haiti überfielen und es von 1915 bis 1934 besetzt hielten? Oder daß Haiti, das nicht nur eine, sondern drei Kolonialarmeen besiegte – die französische, die britische und die spanische –, fast 200 Jahre lang Reparationszahlungen an das unterlegene Frankreich leisten mußte?
Haiti ist nicht einfach arm, es wurde systematisch in die Armut getrieben durch ein globales System der Ausbeutung und eine auf Plantagenwirtschaft gestützte kapitalistische Ökonomie. Das war die Strafe für den erfolgreichen Befreiungsversuch schwarzer Sklaven. Für CLR James (1901–1989), den großartigen Gelehrten, Sozialisten und Revolutionär, war die haitianische Revolution ein einzigartiges Ereignis in der Menschheitsgeschichte. Er maß ihr größere Bedeutung bei als der französischen oder amerikanischen Revolution. Zum Teil auch deshalb, weil die haitianische auch das Ende des französischen Imperialismus in der Neuen Welt markierte. Nachdem seine Armee vernichtend geschlagen war, verkaufte Napoleon große Teile seiner amerikanischen Kolonialgebiete an die USA, was den Umfang der jungen Vereinigten Staaten von Amerika in nur einem Tag fast verdoppelte.
Interessanterweise beendeten weder die amerikanische noch die französische Revolution die Sklaverei. Das Gegenteil ist der Fall: George Washington und Thomas Jefferson, die »Urväter« der USA, waren selbst Sklavenhalter. Und Napoleon Bonaparte entsandte seine Armee nach Haiti, um das System der Sklaverei zu verteidigen. Später beherrschten von den USA gestützte Diktatoren und Putschisten Haiti, und die USA intervenierten militärisch wie zuletzt 2004 in der Ära von George W. Bush zur Beseitigung des gewählten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide.
Diese Eingriffe von außen und die mächtigen multinationalen Konzerne haben das Land in einem Zustand der Unterentwicklung gehalten und es unfähig gemacht, aus eigener Kraft mit Naturkatastrophen fertig zu werden. Als vor Jahren ein gewaltiger Hurrikan das Land heimzusuchen drohte, fehlte es an Ressourcen, die Bevölkerung rechtzeitig zu evakuieren. Aber anders als beim Hurrikan gibt es bei einem Erdbeben keine Vorwarnungen. Es kommt überraschend, und innerhalb von Sekunden richtet es seine verheerenden Verwüstungen an.
Andere Nationen, die selbst schon Opfer von fürchterlichen Erdbeben waren wie Japan zum Beispiel, haben mitterweile ihre Bauweise darauf eingestellt, Erdbeben besser standhalten zu können. Könnte Haiti solche Techniken beim Bau von Schulen, Krankenhäusern, Geschäfts- und Wohnhäusern anwenden, hätte es jetzt weitaus weniger Opfer geben müssen. Wäre Haiti nicht über Jahrhunderte ausgeplündert worden, dann hätte es seine Bevölkerung besser schützen können.
Übersetzung: Jürgen Heiser
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