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11. November 1989: Vor 20 Jahren gab es in Bremen den ersten Mumia-Block in einer Demo gegen die Todesstrafe

11.11.09 (von ivk) In diesen Tagen des verordneten staatstragenden Freudentaumels »mit Gott und Vaterland« gilt es ganz besonders, auch an andere Jahrestage zu erinnern: Heute vor 20 Jahren wurde nicht nur zum erstenmal öffentlich für Mumia demonstriert, sondern auch der erste Beitrag von Mumia Abu-Jamal, geschrieben im Todestrakt, auf einer Demo im deutschsprachigen Raum verlesen. Darin setzt sich der Autor mit der Notwendigkeit des Einreißens von Mauern auseinander, über die damals und heute gern geschwiegen wurde und wird: Gefängnismauern in »westlichen Demokratien«. Wir dokumentieren diesen Beitrag

Für den 11. November 1989 hatte die Bremer Ortgruppe von Amnesty International zu einer Demonstration »Gegen die Todesstrafe weltweit!« aufgerufen, an der mehrere hundert Menschen teilnahmen. Zum ersten Mal im deutschsprachigen Raum beteiligten sich an diesem Tag auch Todesstrafengegner an einer öffentlichen Aktion, die einen Block zur Unterstützung von Mumia Abu-Jamal bildeten. Hinter den Transparenten »Freiheit für Mumia Abu-Jamal« und »Abschaffung der rassistischen Todesstrafe in den USA« brachten sie ihren Protest dagegen zum Ausdruck, daß der Oberste Gerichtshof des Bundesstaates Pennsylvania das Todesurteil gegen den Ex-Black-Panther und Radiojournalisten am 6. März 1989 bestätigt hatte.
Auf der Abschlußkundgebung vor dem Haus der Bremer Bürgerschaft sprach zunächst als Hauptredner das AI-Mitglied Pfarrer Heinrich Albertz. Gleich nach ihm konnte Jürgen Heiser von der Amerika-Gegeninformationspresse (Agipa-Press), einem Bremer Projekt zur Herstellung von Gegenöffentlichkeit über die Amerikas (also nicht nur die USA), den nachfolgenden Beitrag verlesen, den Mumia Abu-Jamal zehn Tage zuvor in einer Todeszelle des pennsylvanischen Huntingdon-Gefängnisses extra für diese Bremer Demonstration geschrieben hatte.


»Eine Welle von offen rassistischen Angriffen gegen gefesselte Gefangene«


Beitrag von Mumia Abu-Jamal für die Bremer Demonstration vom 11. November 1989

Liebe Freundinnen und Freunde,
ich wende mich heute mit gemischten Gefühlen an euch.
Glücklich bin ich darüber, daß ihr den Kampf gegen die Todesstrafe fortsetzt. Betrübt bin ich durch die Nachrichten von der nackten Brutalität, mit der die Agenten des Staatsapparates eine Welle von Protesten in Pennsylvanias Knästen – wie z. B. In Camp Hill, Holmesburg in Philadelphia und hier in Huntingdon – beantworten.
Aus den anderen Gefängnissen kommen nur sehr unklare Berichte. Weil die US-Medien nur »offizielle« Quellen der Gefängnisse zitieren, befürchte ich, daß auch diese Angaben unrichtig sind. Wir als Gefangene in den Todestrakten sind außerstande, sie zu bestätigen, weil wir jetzt 24 Stunden am Tag in den Zellen eingesperrt sind.
Was wir wissen, wissen wir nur durch Hören, so wie wir Ohrenzeugen der Geschehnisse des 21. Oktober [1989] wurden, als Gefangene abgeführt und durch den H-Block geschleift wurden. Diese Männer wurden mit Knüppeln geschlagen, obwohl sie schon mit Handschellen gefesselt und nackt waren. Wir erfuhren davon durch das unmißverständliche Geräusch von Schlagstöcken, die auf nackte Haut prügeln, von Stiefeln, die Knochen zerschmettern, von haßerfülltem Gebrüll, Rache- und Schmerzschreien. Unsere Ohren wurden von all dem überflutet, während wir in den Todeszellen lagen.
Keiner dieser Berichte erreichte jemals die Medien, deshalb erwarten wir gar nichts anderes als ein staatlich kontrolliertres Vertuschen der Vorgänge, Wie viele von euch haben auch wir davon erfahren, daß der Gouverneur von Pennsylvania, Robert Casey [Demokratische Partei], eine Untersuchung eingeleitet hat – bemerkenswerterweise soll sich die Untersuchung aber nur damit befassen, wie die Gefangenenaufstände sich ereigneten, aber nicht warum.
Eine Welle von offen rassistischen Angriffen gegen gefesselte Gefangene, das ständig zunehmende Anhalten von Briefpost, die willkürliche Verweigerung von Besuchen sowie Haftstrafen, die im wahrsten Sinne des Wortes eine Ewigkeit dauern, und die ins Leere laufenden Beschwerden der Gefangenen – dieses und vieles mehr ist es dem höchsten Beamten des Bundesstaates nicht wert, sich damit auseinanderzusetzen. Nur dem Ausbruch der Revolten will er seine Aufmerksamkeit widmen, aber nicht warum, sondern nur wie sie sich ereigneten.
Es paßt natürlich gut dazu, daß der Gouverneur Reklame macht für den neuen Werbeslogan Pennsylvanias: »Amerika beginnt hier«.
Beginnt Amerika hier in Pennsylvania sein Programm der offenen Repression? Als der Gefängnisaufstand von Camp Hill seinen Höhepunkt erreicht hatte, bot eure Schwesterorganisation Amnesty International USA sich als Vermittlerin zwischen den Gefangenen und der Gefängnisbürokratie an, aber dieses Angebot wurde ignoriert. Der Staat griff zu einer anderen Lösung: Schlagstock, Schrotflinten, staubaufwirbelnde Hubschrauber und Kommißstiefel.
Beginnt Amerika hier sein Hinrichtungsprogramm für den Norden der Nation? Schon heute führt Pennsylvania die US-Bundesstaaten der nordöstlichen Region mit seinen schätzungsweise 115 Todesurteilen an, wobei allein in Philadelphia mehr Todesurteile ausgesprochen wurden als im gesamten Bundesstaat New Jersey. Zwischen 1930 und 1981 wurden von den US-Bundesstaaten, der Bundesregierung und im District of Columbia [Washington D.C.] 3.863 Männer und Frauen hingerichtet. 53 Prozent davon, also ungefähr 2.000 Männer und Frauen, waren afroamerikanisch, obwohl Schwarze zur damaligen Zeit nur 8-10 Prozent der Bevölkerung ausmachten. In diesem Zeitraum wurden allein in Pennsylvania 152 Männer und Frauen legal gelyncht.
Beginnt Amerika hier in Pennsylvania mit der Verschärfung der Haftbedingungen in den Todestrakten? Seit Jahren haben viele von uns ihre Eltern, Frauen und Kinder weder berühren noch in den Arm nehmen können. Während dieser Nicht-Kontaktbesuche befinden wir uns gefesselt hinter Barrieren aus Plexiglas und Stahl. Telefongespräche sind äußerst rar und kurz – für die meisten Männer einmal im Monat 5 Minuten. Post und Zeitungen werden routinemäßig zensiert und angehalten. Alle Versuche, menschliche Kontakte aufrechtzuerhalten, werden vom Staat behindert. Deshalb sterben einige Männer schon geistig, bevor der Knopfdruck des Henkers Strom durch ihre Körper jagt (+). Dann tötet der Staat schließlich nur noch die körperliche Hülle dessen, was er im Grunde genommen schon längst vernichtet hat.
Aber es gibt noch Grund zur Hoffnung. Natürlich ist diese Hoffnung nicht in Politikern begründet, die uns für ihre schäbigen politischen Interessen mißbrauchen, sondern in dem, was Leute wie ihr in Bremen macht. Ich bin sicher, daß zum Tode verurteilte Männer und Frauen in ganz Amerika, ja sogar überall auf dem Planten, sich im Geiste mit mir vereinigen, um euch für eure heutige Demonstration zu danken. Danke!
Aus einer kleinen Eichel wächst eine mächtige Eiche. Oder wie der chilenische Dichter Pablo Neruda sagt: »Sie können so viele Rosen zertrampeln wie sie wollen, aber sie werden dadurch nicht den Frühling aufhalten.« Möge euer Frühling der Hoffnung die Ernte des Lebens einbringen!

Abschaffung der Todesstrafe!
Schluß mit der Repression in den Gefängnissen Pennsylvanias!

Mumia Abu-Jamal,
Huntingdon-Gefängnis,
1. November 1989

(+) Bis 1995 war der elektrische Stuhl in Pennsylvania obligatorisch bei Hinrichtungen. Seitdem wurde er durch die tödliche Injektion (»Giftspritze«) ersetzt.

Quelle:
Amerika-Gegeninformationspresse, Kampagnen-Sondernummer – Nachrichten und Hintergründe zur Kampagne für Mumia Abu-Jamal und die politischen Gefangenen in den USA, Bremen, Juli 1990 (Belegexemplar aus dem Bestand des »Archiv für transatlantische Sozial- und Kulturgeschichte 1492/1992 e.V.«, Postfach 150323, 28095 Bremen, E-Mail: archiv1992@web.de)

 
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