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»Die Lage für Mumia ist sehr, sehr ernst« – Oberster Gerichtshof der USA hat neues Verfahren abgelehnt. Staatsanwaltschaft will die Hinrichtung. Gespräch mit Robert R. Bryan

07.04.09 (von ivk) Der U. S. Supreme Court hat am 6. April 2009 kommentarlos ein neues Verfahren für Mumia Abu-Jamal abgelehnt. Die Entscheidung des Gerichts darüber, ob das Todesurteil möglicherweise in lebenslange Haft umgewandelt wird, ist noch NICHT ergangen // Gespräch mit Mumia Abu-Jamals Hauptverteidiger Robert R. Bryan aus San Francisco am Abend der Entscheidung

[Das Gespräch wurde am 8. April 2009 in leicht gekürzter Fassung in junge Welt Nr. 83 veröffentlicht]

Der Oberste Gerichtshof der USA hat am 6. April 2009 ein neues Verfahren für Mumia Abu-Jamal abgelehnt. Wie lautet diese Entscheidung?
Kommentar des U.S. Supreme Court am Montag neben dem Geschäftszeichen unseres Berufungsantrages: »Abgelehnt«. In 98 Prozent aller Fälle nennt dieses Gericht keine Gründe. Es lehnt ab. Basta.

Worauf bezieht sich die Ablehnung?
Wir haben es hier mit zwei voneinander getrennten Berufungsverfahren zu tun. In dem einen geht es um unseren Vorwurf, daß 1982 im Urteilsprozeß rassistische Motive beim Ausschluß schwarzer Geschworener vorlagen. In der anderen Berufung geht es um die Todesstrafe. Das Gericht hat nun zunächst die Wiederaufnahme des Verfahrens wegen des Rassismusvorwurfs abgelehnt.

Wie haben Sie spontan reagiert?
Wir waren überrascht und enttäuscht. Überrascht deshalb, weil wir im März 2008 zumindest das Minderheitsvotum des Bundesrichters Ambro gegen seine beiden Richterkollegen hatten. Dieser konservative weiße Richter war entsetzt über das rassistische Verhalten der Staatsanwaltschaft von Philadelphia und hat deshalb in der Entscheidung vom 27. März 2008 klar gesagt, daß meinem Mandanten eigentlich ein neues Verfahren gewährt werden müsse, weil der gezielte Ausschluß von Geschworenen wegen ihrer Hautfarbe einen Verfassungsverstoß darstelle. Wir hatten erwartet, daß sich der Oberste Gerichtshof auf der Basis seiner eigenen Rechtsprechung aus dem Jahre 1986 im Fall Batson gegen den Bundesstaat Kentucky der Meinung des Bundesrichters anschließen muß.

Verhielt sich die Staatsanwaltschaft nur rassistisch gegenüber Ihrem Mandanten?
Nein, die Anklagebehörde von Philadelphia war und ist berüchtigt dafür und hat sich in vielen Verfahren so verhalten.

Warum hat der Oberste Gerichtshof jetzt offensichtlich gegen seine eigenen Grundsatzentscheidungen verstoßen?
Mumia hat sich als engagierter Kritiker des Unrechts einen Namen gemacht, deshalb wurde gegen ihn entschieden. Das stinkt nach Politik.

Konnten Sie schon mit Ihrem Mandanten über die Entscheidung sprechen?
Wir haben sofort telefoniert. Er ist sehr aufgebracht und sagt, daß das Gericht eine Chance vertan hat, das Recht auf ein faires Verfahren hochzuhalten. Eine positive Entscheidung hätte sich nicht nur auf seinen Fall, sondern auch auf viele andere ausgewirkt. Wörtlich hat er gesagt: »Recht ist Politik mit anderen Mitteln. Die US-Verfassung ist deshalb vor allem für Schwarze bedeutungslos. Das Recht auf eine faire Jury ist hohl.«

Gab es schon öffentliche Reaktionen in den USA?
Die Medien sind sofort auf das Thema angesprungen, und ich mußte sehr viele Fragen beantworten und Interviews geben. Aber ich erhalte auch üble Schmähanrufe und Drohungen, so daß ich über meinen persönlichen Schutz nachdenken muß.

Wie paßt das alles zu der Aufbruchstimmung, die der neue US-Präsident überall durch sein bloßes Erscheinen auslöst?
Barack Obamas Wahl war ein Schritt in die richtige Richtung, seine Präsidentschaft kann aber nicht über Nacht das ganze Land verändern. Wir leben in einer sehr rassistischen Gesellschaft. Man darf nicht vergessen, daß der vorsitzende Richter des U.S. Supreme Court, John Roberts, und Richter Samuel Alito noch von George W. Bush ernannt worden sind. Zwei weitere sind von Ronald Reagan ernannt worden. Wir haben es hier mit einem sehr konservativen Gericht zu tun, vor dem Fälle von Menschenrechtsverletzungen und Rassismus es äußerst schwer haben.

Obama in die eine, der Supreme Court in die andere Richtung?
Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ist sicher ein Indikator für den Zustand der USA-Gesellschaft. Wir haben den Bürgerkrieg ausgefochten, haben die Sklaverei abgeschafft, aber wie die Richter dieses Gerichts zeigen, ist die Mentalität, die hinter dieser jahrhundertelangen Unterdrückung steht, immer noch präsent.

Wir werden Sie juristisch darauf reagieren?
Wir haben jetzt 25 Tage Frist zu beantragen, daß sich der Oberste Gerichtshof erneut mit der Frage des Rassismus befaßt.

Wie stehen die Erfolgsaussichten?
Solche Anträge werden eher selten positiv beschieden, aber wir müssen alles versuchen, weil der Rassismus in diesem Verfahren so überwältigend spürbar ist, daß man ihn mit dem Messer schneiden könnte. Wir hoffen einfach, daß wir das Gericht davon überzeugen können, das Richtige zu tun!

Wenn der Gerichtshof bei seiner Entscheidung bleibt, wird es also keinen neuen Prozeß geben?
Wir haben bedeutende neue Beweise für die Unschuld meines Mandanten und werden nichts unversucht lassen, damit vor eine neue Jury treten zu können.

Wann wird sich das Gericht zur Frage der Todesstrafe äußern?
Wir haben vor den Bundesgerichten insofern Erfolg gehabt, daß meinem Mandanten eine Verhandlung über das Strafmaß vor einer neuen Jury über die Frage Todesstrafe oder lebenslange Haft in Aussicht gestellt wurde, sobald diese Entscheidung rechtskräftig wäre. Die Staatsanwaltschaft hat aber ihrerseits dagegen Berufung eingelegt und will die Hinrichtung. Die obersten Richter haben sich dazu noch nicht geäußert, was eigentlich ungewöhnlich ist. Sie verhandeln aber gerade über den Fall Spisak aus Ohio, der ähnlich schwierig gelagert ist wie der meines Mandanten. Wir wissen nicht genau, wie das Gericht vorgehen will, schätzen es aber so ein, daß es zunächst den Fall Spisak und dann unseren entscheiden will. Das könnte noch vor der Sommerpause sein, vielleicht aber auch erst im Herbst. Theoretisch könnte das Gericht auch eine Anhörung über beide Fälle gemeinsam anordnen, wir haben aber keine Anhaltspunkte. Generell entscheidet das Gericht sehr zügig, wenn es Fälle vorliegen hat.

Besteht die Gefahr eines neuen Hinrichtungsbefehls?
Nicht unmittelbar, solange die Frage der Todesstrafe noch nicht vom Obersten Gerichtshof entschieden ist. Wenn aber alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind, kann Mumia hingerichtet werden. Gouverneur Rendell aus Pennsylvania wartet nur auf die Gelegenheit, die Exekution anordnen zu können. Deshalb brauchen wir jetzt jede Unterstützung. Die Lage ist sehr, sehr ernst.

Sie hatten am vorletzten Sonntag (29. März) ein gut besuchtes und sehr solidarisches Forum in der Berliner Akademie der Künste. Durch diese Veranstaltung wurde in den Medien bundesweit über den Fall Ihres Mandanten berichtet. Was kann die Öffentlichkeit jetzt tun, da sich die Situation weiter zuspitzt?
Wir werden in Absprache mit meinem Mandanten schon bald eine Petition in Umlauf bringen, die sich an Barack Obama richtet. Auch wenn er juristisch keinen direkten Einfluß auf das Verfahren hat, sprechen wir ihn darin als jemanden an, der für Recht und Gesetz in den USA steht und deshalb internationalen Respekt genießt. Wir fordern ihn auf, seine Aufmerksamkeit nicht nur auf Mumias Fall, sondern überhaupt auf die Problematik der Todesstrafe zu richten. Diese Petition wird im Internet zugänglich sein und sollte dann von möglichst vielen Menschen in vielen Ländern unterzeichnet werden.

Interview: Jürgen Heiser

 
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