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»Baut die Bewegung auf!«

11.09.09 (von ivk) Wir bringen an dieser Stelle noch einmal das Interview mit Mumia Abu-Jamal über Isolation und internationale Solidarität // Veröffentlicht am 5. März 2009 in der Sonderbeilage der Rote Hilfe e.V. in junge Welt

Damit alle sich konkret vorstellen können, in welcher Situation Sie leben und arbeiten: wo genau ist das?

Meine Zelle befindet sich im Hochsicherheitsgefängnis von Waynesburg, Pennslyvania, genauer im G-Block des Todestrakts, einem zusätzlich gesicherten Gefängnis im Gefängnis.

Wie sieht das Leben im Todestrakt aus?

Hier ist ein Tag wie der andere. Wir erleben hier genau das, was die Geschichte des Films »Groundhog Day« (dt. Titel: »Und täglich grüßt das Murmeltier«) mit Phil Murray ausmacht. Also jeder Tag ist hier wirklich haargenau wie der andere, und die einzige Chance, daß sich daran etwas ändert, ist die, daß du ihn veränderst, daß du durch dein Handeln darin etwas Neues entstehen läßt. Aber von den Bestimmungen, von den Gepflogenheiten und der ganzen Anstaltspraxis her soll jeder Tag wie der andere sein – und das für viele Jahre.

Spielt Langeweile in diesem Tagesablauf eine Rolle?

Langeweile ist für viele Gefangene ein echtes Problem. Vor wenigen Monaten hat ein Gefangener deshalb Selbstmord begangen. Er saß in der Zelle schräg gegenüber von meiner. Er kam nicht mehr klar mit dieser Situation. Ihn drückte nicht nur seine vertrackte Lage, sondern es hat ihn vor allem die Aussicht darauf, daß das jetzt jahrelang tagein, tagaus so weitergehen sollte, verzweifeln lassen. Er empfand sein Leben nur noch als Stillstand, er »hing in der Luft«. Das hat er dann wortwörtlich genommen.

Und die anderen Gefangenen?

Die Männer in diesem Trakt verbringen die meiste Zeit in ihrer Zelle. Man kann morgens auch »Hofgang« machen, der findet aber in einem Käfig statt. Ich nenne diesem Raum »Käfig«, weil er wirklich wie ein Hundezwinger aussieht, nur etwas größer. Dort kann man auf wenige andere Gefangene treffen, Karten spielen, reden oder Gymnastik machen, mehr nicht. Aber wenn du nicht in dem Käfig bist oder gerade Besuch hast, dann bist du rund um die Uhr auf Zelle. Das trifft auf die meisten Männer zu, denn nur wenige Männer nehmen am »Hofgang« teil.

Das bedeutet dann praktisch Isolation für die meisten Gefangenen?

Ja, und das trifft auf alle Todestrakte zu. Ich bin nur einer von weit über 3.000 Gefangenen in den Todestrakten der USA, Männern und Frauen. Es gibt nichts Schlimmeres als die Isolation. Und deswegen stimmt auch das Gegenteil, daß es nichts Wichtigeres gibt als Solidarität und Unterstützung, Freunde und Menschen, die hinter dir stehen und sich kümmern. Das ist ja die Erfahrung, die ich seit vielen Jahren mache, und wofür ich allen von Herzen sehr dankbar bin. Aber ich betone auch immer, daß ich nicht der einzige Gefangene bin und die Solidarität allen gelten muß.

Viele Ihrer Unterstützerinnen und Unterstützer fragen immer wieder, wie Sie in der Lage sind, sich in dieser äußerst schwierigen Situation Ihren freien Geist zu erhalten und damit wie ein Vogel aus Ihrer Zelle hinauszufliegen?

Ich lese so oft und so viel wie ich kann, und ich schreibe dann über das, was mich bewegt. Und dann gibt es draußen Leute, die meine Worte aufgreifen, sie verbreiten, in andere Sprachen übersetzen und so auch vielen Menschen zugänglich machen, die sonst nie von mir und meiner Arbeit erfahren hätten. Der Todestrakt ist wirklich ein finsterer Ort, aber er ist auch ein Ort, der Reichtümer bietet, wenn du Schriftsteller bist, denn hier liegen die Themen in der Luft. Aber über viele dieser Themen kann ich jetzt noch nicht schreiben, denn wenn ich sie veröffentlichen würde, dann würde das viele Leute völlig umhauen. Was man draußen im Fernsehen über Knast und Todestrakt gezeigt bekommt, das ist nicht die Wirklichkeit, das sind nicht wir. Wir sind nicht in einem Film, das ist kein Schauspiel, wir sind wirklich im Todestrakt. Deshalb kann ich über gewisse Dinge nicht schreiben, weil das den Leuten draußen so fremd vorkommen würde, daß sie es nicht fassen würden, nicht als wahr akzeptieren könnten, weil es gegenüber ihren eigenen Erfahrungen so fremdartig und unvorstellbar ist. Aber eines Tages werde ich auch darüber schreiben, ich will mir nur die Zeit lassen, die das braucht.

Woraus ziehen Sie Ihre Kraft?

Aus dem, was ihr draußen macht. Ich habe immer schon gesagt, daß Liebe eine Wechselbeziehung ist, sie sitzt nicht irgendwo in einem Herzen fest, sondern sie ist in Bewegung, ist ein ständiges Geben und Nehmen. Wenn du Liebe gibst, wird auch dir Liebe geschenkt. Wenn du andere unterstützt, wirst auch du Unterstützung erfahren. Ich stelle mir das als eine Kreisbewegung vor. Das verbindet uns, das vereint und stärkt uns. Uns alle. Jeder von uns ist ein Teil von uns, wir fühlen, was die anderen fühlen.

Wir wichtig ist angesichts der Isolation und der allgemeinen Lage der Gefangenen in den Todestrakten internationale Solidarität?

Zunächst eine einfache Tatsache: Jede Art von Unterstützung ist wichtig und gut, aus dem Inland genauso wie aus dem Ausland. Aber in der heutigen Welt gibt es eigentlich kein »Ausland« mehr. Leute können heute in atemberaubend kurzer Zeit die Worte von anderen aus weit entfernten Teilen der Welt lesen. Das war vor nicht allzu vielen Jahren so noch nicht möglich. Das heißt, wir leben nur in der Illusion, »Ausländer« oder »Fremde« zu sein, weil die heutigen technischen Möglichkeiten unsere Kommunikation so beschleunigt und sie so allumfassend gemacht haben, daß uns nichts mehr wirklich »fremd« oder »weit entfernt« sein muß. Ich begrüße das natürlich außerordentlich. Das sind die besten Voraussetzungen, internationale Solidarität – Internationalismus – praktizieren zu können.

Was muß im Rahmen dieser internationalen Solidarität konkret geschehen?

In meinen Augen ist die Antwort sehr einfach: Baut die Bewegung auf oder reorganisiert sie! Die Bewegung, die wir vor Jahren hatten, war stark und schlagkräftig. Aber das ist viele Jahre her, und inzwischen gab und gibt es Kriege, Verwüstungen, Umweltzerstörung und ökonomische Krisen, und Menschen werden auch einfach müde, das ist nur natürlich. Aber wir können diese Bewegung wieder aufbauen. Das wäre eine wunderbare Sache und würde heute auch etwas bewirken, nicht nur für mich selbst, sondern für alle Männer und Frauen in den Todestrakten der USA.

[Übersetzung: IVK Bremen]

Schreibt Mumia Abu-Jamal:
Mumia Abu-Jamal
# AM 8335 * SCI Greene
175 Progress Drive
Waynesburg, PA 15370, USA

 
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