Kolumne 31.01.09: Aufschrei in der Nacht
31.01.09 (von maj) Der polizeilichen Erschießung von Oscar Grant folgte deren Relativierung durch die Medien
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 26 - 31. Jan./1. Febr. 2009
Am frühen Neujahrsmorgen kam es in der U-Bahnstation Fruitvale der Bay Area Rapid Transit (BART) zwischen San Francisco und Oakland zu Auseinandersetzungen zwischen zwei Gruppen junger Passagiere, die von oder zu Silvesterpartys unterwegs waren. Unter den Augen Hunderter U-Bahn-Passagiere griffen sich zahlreiche bewaffnete Polizisten einzelne junge Leute heraus, legten ihnen Plastikhandfesseln an und sonderten sie auf dem Bahnsteig von den anderen Passagieren ab.
Was dann passierte, ging via Internet rund um den Globus, weil mehrere Zeugen es mit ihren Handys gefilmt hatten: Der 22jährige Afroamerikaner Oscar Grant wird trotz seiner Plastikfesseln und obwohl er versucht, die Situation zu beruhigen, von den Bahnpolizisten auf den Bauch geworfen, einer der Beamten kniet sich auf sein Genick, ein zweiter zieht seine Waffe und schießt ihm ohne jedes Zögern in den Rücken. Grant stirbt noch am Tatort. Die Obduktion wird später ergeben, daß die Kugel aus der Waffe des 27jährigen Police Officers Johannes Mehserle den Brustkorb Grants durchschlug, am Bahnsteigboden abprallte und erneut in die Lunge Grants eindrang und sie zerfetzte.
Wer die Filmdokumente sieht, ist schockiert. Nicht weniger schockierend ist aber die Art und Weise, mit der die Medien danach versuchten, die realen Ereignisse mit einer Flut von Falschinformationen zu vertuschen. Nach Darstellung lokaler und internationaler Nachrichtenagenturen wollte Bahnpolizist Mehserle nach seinem Elektroschocktaser greifen, um den sistierten Grant, der angeblich immer noch Widerstand leistete, ruhigzustellen. Mehserle habe aber versehentlich seine scharfe Dienstwaffe erwischt, und es erst gemerkt, als es zu spät war.
Woher wollen die Medien dieses Detailwissen haben, wenn Mehserle auch Wochen nach den tragischen Ereignissen offiziell immer noch nicht vernommen werden konnte? Und muß es nicht verwundern, daß ausgerechnet in jener Nacht die Videoüberwachung des Bahnsteigs ausgefallen war? Man stelle sich vor, es wäre umgekehrt gewesen: Grant hätte den Bahnpolizisten Mehserle vor laufenden Kameras erschossen. Würden die Medien sich dann auch dafür stark machen, Grants Handeln in einem besseren Licht erscheinen zu lassen? Wäre Grant eine Woche nach seiner Tat auf Kaution freigelassen worden? Wäre er in der Lage gewesen, sich frei zu bewegen und sogar den Bundesstaat zu verlassen? Wer sich je Gedanken über die Rolle der Medien gemacht hat, dem wird hier eine gründliche Lektion über die vermeintliche Objektivität bürgerlicher Medien erteilt.
Die Ermordung Oscar Grants ist nur der letzte Vorfall in einer endlosen Kette ähnlicher Ereignisse, in denen es zu tödlichen Schüssen aus Polizeiwaffen auf Unbewaffnete kam. Die Namen Amadou Diallo und Sean Bell stehen für Hunderte zumeist junge schwarze Männer, die durch unverhältnismäßig brutale Polizeigewalt zu Tode gekommen sind. Und wie mit ihren Namen wird sich wohl auch mit dem von Oscar Grant irgendwann ein weiteres Mal die Nachricht verbinden, daß die uniformierten Täter von jeder Schuld und Verantwortung freigesprochen wurden.
Aber Oscar Grant ist jeder von uns, jeder von uns könnte sein Schicksal teilen, wir spüren es beim Anblick der Bilder, deren Ungeheuerlichkeit uns wie ein heißes Messer in die Eingeweide fährt. Wir wissen, daß wir alle gemeint sind.
In unserem Land stimmt etwas ganz und gar nicht mehr – und das ist das System selbst, das vor allem da, wo seine Repräsentanten unmittelbare Gewalt anwenden, rassistisch ist bis ins Mark. Solange sich das nicht ändert, gibt es keine wirklichen Veränderungen, und wir werden wieder und wieder durch die Straßen laufen und die Namen der nächsten Ermordeten in die Nacht schreien.
Übersetzung: Jürgen Heiser
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