Kolumne 4.10.08: Offenbarungs- statt Amtseid
03.10.08 (von maj) Ob Obama oder McCain: Der zukünftige Präsident der USA steht vor geplünderten Kassen
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 232 - 4./5. Okt. 2008
In wenigen Monaten wird ein neuer US-Präsident sein Amt übernehmen. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder wird der älteste Kandidat in der Geschichte der USA die Wahl gewinnen, oder der erste Schwarze wird das Rennen machen. Aber egal, wer es auch sein wird: Schon heute ist sicher, daß die US-Wirtschaft tief in den roten Zahlen stecken wird, und noch bevor der neue Präsident seine erste Entscheidung treffen kann, ist er bereits aller finanziellen Ressourcen beraubt, die er eigentlich dringend bräuchte, um seine Wahlversprechen einlösen zu können. Die Feuersbrunst, die den Kapitalmarkt erfaßt und Abermilliarden US-Dollar zu Asche verbrannt hat, läßt auch die zugesagten Steuererleichterungen, die der Ankurbelung der Wirtschaft dienen sollen, in Rauch aufgehen.
Erwarte niemand, daß auch nur einer der Politiker dies öffentlich eingestehen wird, obwohl sie alle sich dieser Tatsache bewußt sind. Und wenn schon der Haushalt des US-Präsidenten eingedampft werden wird, wie wird es erst den durchschnittlichen Familienhaushalten ergehen? Es gibt ein altes Sprichwort, das da heißt: »Den Letzten beißen die Hunde.« Weil die Unternehmen jetzt ihre Ausgaben und Investitionen zurückschrauben und Banken die Kreditbremse ziehen, muß die große Mehrheit der arbeitenden oder arbeitslosen Bevölkerung als letztes Glied in der Kette ihre Gürtel enger schnallen.
Damit schließt sich wieder der Kreis, denn dieses ökonomische System beruht auf Konsum, wie sogar der amtierende George W. Bush einsehen mußte. Ohne Leute, die mit ihrem Geld Waren oder Dienstleistungen erstehen, läuft der Laden nicht. Demzufolge setzt alles, was diesen entscheidenden gesellschaftlichen Vorgang stört oder schwächt, eine Wellenbewegung in Gang, die die gesamte Ökonomie erfaßt.
Bereits vor Monaten stellte der US-Investmentbanker George Soros nach dem Scheitern des letzten Weltwirtschaftsforums im schweizerischen Davos fest, die US-Wirtschaft habe eine neue Etappe erreicht, die das Ende einer Epoche markiere. »Die gegenwärtige Krise ist nicht nur einfach die Talfahrt, die auf den Bauboom folgt«, erklärte Soros, »sondern sie stellt das Ende einer sechzigjährigen Phase kontinuierlicher Ausweitung des Kreditmarktes dar, die sich auf den US-Dollar als Reservewährung stützte.«
George Soros gab diese Einschätzung im Januar 2008. Seitdem hat sich die Krise noch um einiges verschlimmert. Und je weiter sie fortschreitet, desto mehr ist der Staat gefordert, Teile der Wirtschaft unter seine Kontrolle zu stellen, was in der Konsequenz bedeutet, daß große Summen aus dem sozialen Sektor in die Privatwirtschaft gepumpt werden, um sie vor dem völligen Zusammenbruch zu schützen. Verantwortlich für diese Krise ist das wild wuchernde Finanzkapital, und solange es keine tiefgreifenden Strukturveränderungen gibt, die dem Rechnung tragen, werden sich die gegenwärtigen Probleme ständig weiter verschärfen. Das ist praktisch unabwendbar.
Die Politik der jetzigen Verantwortlichen im Weißen Haus bürdet dem künftigen Präsidenten, der am 20. Januar 2009 sein Amt übernimmt, nicht nur einige außenpolitische Katastrophen auf. Die Regierung zeichnet außerdem verantwortlich für die Plünderung der öffentlichen Kassen im Interesse des Privatkapitals. Letztlich ist es also egal, wer der nächste US-Präsident wird. So oder so wird er zu Beginn keinen feierlichen Amtseid, sondern den Offenbarungseid leisten müssen.
Übersetzung: Jürgen Heiser
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