400. Kolumne 16.08.08: Ein historischer Irrtum
16.08.08 (von maj) Schwarze Gesichter in hohen Ämtern bedeuten noch lange keine politische Macht für die Schwarzen
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 191 - 16./17. August 2008
Nur wenige Monate vor einer Wahlentscheidung, deren Ergebnis vielleicht zu den bedeutendsten in der US-Geschichte gehören wird, ist es angebracht, sich näher mit der Geschichte der politischen Führerschaft innerhalb der afroamerikanischen Bevölkerung auseinanderzusetzen. Die meisten Historiker schauen in diesem Zusammenhang auf den Werdegang von Carl Stokes (1927–1996), der 1967 zum Bürgermeister von Cleveland, Ohio, gewählt wurde. Nach dieser Abstimmung errangen Schwarze auch in anderen US-Großstädten wichtige politische Ämter. Viele Afroamerikaner sahen darin den Beginn einer Epoche neuer Bürgerfreiheiten. In der Entwicklung seit den 1960er Jahren bis heute sind wir allerdings eines Besseren belehrt worden. Denn auch wenn die Übernahme bestimmter politischer Ämter duch Schwarze sicherlich Gefühle des Stolzes ausgelöst hat, waren damit noch lange keine Schritte hin zur Erringung tatsächlicher politischer Macht getan.
Schauen wir uns dazu die Erfahrung von Bürgermeister Stokes genauer an. Kurz nach Übernahme seiner Amtsgeschäfte ernannte Stokes den früheren Generalleutnant der US-Armee, O. Davis jr., zum Chef der Behörde für öffentliche Sicherheit und machte ihn damit zu einer Art Superpolizeichef. In einer seiner ersten Amtshandlungen orderte Generalleutnant a. D. Davis, gerade aus der Hölle des Vietnamkrieges heimgekehrt, 30000 Teilmantelgeschosse für die Sicherheitskräfte der Stadt. Diese Munition ist besser bekannt als Dum-Dum-Geschosse. Diese Patronenart gilt bald als inhuman, weil sie verheerende Verletzungen erzeugt, und wurde nach dem Kriegsrecht geächtet.
Bekämpfen wollte der Exmilitär mit den Dum-Dum-Geschossen die Ortsgruppe der Black Panther Party (BPP) in Cleveland und das örtliche Büro des National Committee to Combat Fascism (Nationales Komitee zum Kampf gegen den Faschismus), eine von der BPP gegründete Organisation. Im August 1970 trat Sicherheitschef Davis von seinem Posten zurück und kritisierte öffentlich Bürgermeister Stokes dafür, ihn in seinem Kampf »gegen die Radikalen« (u. a. die Panthers) nicht ausreichend unterstützt zu haben. Stokes, von beiden sicherlich der politisch Geschicktere, stellte im Gegenzug Davis wegen seiner Anforderung von Munition, die gegen die Genfer Konventionen verstößt, öffentlich an den Pranger. Die mittlerweile einsehbare Personalakte von Stokes weist allerdings Protokolle von Arbeitstreffen mit Davis auf, die belegen, daß beide darin übereinstimmten, Dum-Dum-Geschosse gehörten zur adäquaten Bewaffnung im Kampf gegen die Panthers.
Nur weil Stokes ein schwarzer Bürgermeister war, bedeutete das nicht gleichzeitig, daß er nicht auch in hohem Maße an der Zerschlagung der Black Panther Party interessiert war. In Zeiten großer Unzufriedenheit und steigender Unruhe unter Schwarzen scheinen schwarze Bürgermeister perfekt in das Instrumentarium eines gegen die schwarze Bevölkerung vorgehenden repressiven Staatsapparates zu passen, weil ihre bloße Präsenz schon den potentiellen Vorwurf des Rassismus entkräftet.
Wenn Barack Obama es schafft, ins Weiße Haus gewählt zu werden, dann ist das objektiv ein beachtlicher politischer Erfolg. Dieser wird nur möglich sein, wenn auch Millionen Weiße ihm ihre Stimme geben. Vor allem von vielen jungen Leuten steht das zu erwarten. Damit würde ein solcher Erfolg nicht geschmälert, aber es muß bei der genauen Analyse des politischen Charakters dieser potentiellen Wahlentscheidung berücksichtigt werden. Anders ausgedrückt, sind »Black faces in high places« – schwarze Gesichter in hohen Ämtern – nicht gleichbedeutend mit der Erlangung größerer Freiheiten oder sozialer Sicherheit für die afroamerikanische Bevölkerung in den USA. Politische Macht ist mehr als die bloße Präsenz in den Zentralen des Systems. Politische Macht zu haben bedeutet, über die reale Fähigkeit zu verfügen, den Vorstellungen des Volkes von gesellschaftlicher Freiheit, Unabhängigkeit und materiellem Wohlstand zur Durchsetzung zu verhelfen. Und davon sind wir heute genauso weit entfernt wie 1967.
Übersetzung: Jürgen Heiser
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