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Kolumne 28.06.08: Blues für Bill Tilley

28.06.08 (von maj) Nach 23 Jahren im Todestrakt nahm sich der Gefängnisbibliothekar das Leben

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 149 - 28./29. Juni 2008

William »Bill« Tilley hat die Hälfte seines Lebens in einem Todestrakt des US-Bundesstaates Pennsylvania verbracht. Er hat in dieser Zeit als Bibliothekar in der Gefängnisbücherei gearbeitet und regelmäßig dafür gesorgt, daß Hunderte Gefangene jede Woche mit Lesestoff versorgt waren. Tilley mochte seinen Job.
Vor einem Monat, in den frühen Morgenstunden des 27. Mai 2008 gegen 6.30 Uhr, hat er seine lange Schicht im Todestrakt beendet. Um diese Zeit wurde er erhängt in seiner Zelle aufgefunden.
Seine Ochsentour durch das US-Justizsystem begann 1985, wenngleich er damals noch nicht ahnen konnte, daß ihn diese geradewegs in den Todestrakt führen würde. Er war ein junger Drogenabhängiger, der sich als Eierdieb durchschlug, um sich das besorgen zu können, was er brauchte, um seine quälende Sucht zu stillen.
Eines Tages stieg er in das Haus eines Nachbarn ein. Er befand sich gerade im Keller, als er hörte, wie die Haustür aufgeschlossen wurde und sich jemand auf die Kellertür zubewegte, die er offengelassen hatte. Dann sah er die Füße eines Mannes, der die Kellertreppe herunterstieg und sich ihm näherte. Der Nachbar hatte offensichtlich mitbekommen, daß jemand in seinem Haus herumstöberte, und drohte nun laut damit, was er mit dem Einbrecher anstellen würde, wenn er ihn zu packen bekäme; und das war alles andere als nett.
Tilley wurde panisch, er fühlte sich in die Enge getrieben, und high wie er war, zog er eine Pistole und feuerte blind auf die Person, die da auf ihn zukam. Er feuerte noch einmal, ohne wirklich hinzusehen, schnappte sich einen herumstehenden Aktenkoffer und suchte das Weite. Wenn er überhaupt noch irgend etwas fühlte und mitbekam, dann war es durch den Nebel gefiltert, den die Drogen in seinem Kopf erzeugt hatten. Zu seiner Überraschung war der Aktenkoffer randvoll mit Kokain, Pillen und anderen Drogen. Er behielt einen Teil davon für sich, den Rest verkaufte er.
Es kam, wie es kommen mußte. Nach kurzer Zeit fand sich Tilley im Gefängnis von Philadelphia wieder und schon bald sah er sich mit einer Anklage wegen Raubmordes in einem besonders schweren Fall konfrontiert. Seinem Prozeß saß Albert Sabo vor, der in Pennsylvania weithin bekannte und berüchtigte »Henker in Richterrobe«, der den traurigen Rekord im Verhängen von Todesurteilen hält. Und so war es nur noch eine Formsache, daß der Angeklagte zur Höchststrafe verurteilt und erst 23 Jahre alt in eine Todeszelle verfrachtet wurde.
Es folgten Jahre, in denen Bill Tilley clean wurde und lernte, seinen Verstand zu gebrauchen. Er nutzte ihn auch für andere, indem er sich zum rechtskundigen »jailhouse lawyer« entwickelte, der für sich und andere Gefangene Anträge und Gesuche schrieb. Bill Tilley war gescheit, witzig und hatte sich meilenweit von dem ehemaligen Dasein als Drogenabhängiger entfernt. Aus Bill Tilley war sicher kein neuer Mensch geworden, aber er hatte sich aus eigener Kraft zu einem besseren Menschen entwickelt. Einziges Problem: Sein »gesetzlicher Richter« hatte ihn zu der Strafe verurteilt, die einzig vom Gedanken der Rache bestimmt wird.
Eines Morgens kam Tilley dann noch vor Sonnenaufgang an den Endpunkt seiner Reise und entschied selbst, durch welche Tür er den Trakt verlassen wollte. Wir werden höchstwahrscheinlich nie erfahren, warum genau er diesen Entschluß faßte. Er hatte ein Blatt Papier mit seinen letzten Worten an die Zellenwand geklebt, bevor er sich den Strick nahm. Mit diesem Blatt wurde nun seine Gefangenenakte geschlossen. Bill Tilley wurde 46 Jahre alt.

Übersetzung: Jürgen Heiser

 
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