Kolumne 3.05.08: Symbolik statt Substanz
03.05.08 (von maj) Vom Widerspruch zwischen der Wahrnehmung politischer Ämter und der Ausübung politischer Macht
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 103 - 3./4. Mai 2008
Die offizielle Politik der USA besteht in weiten Teilen aus reiner Illusion. Der Stoff, aus dem die Träume sind. Die Manipulation läuft über Bilder, mit denen die Herzen erreicht und die Flammen der Emotion entfacht werden sollen. Dabei ist den Manipulateuren jedes Gefühl recht: Liebe, Haß und Angst werden von den Politikern benutzt, um die Bevölkerung zu beeinflussen und die Wähler zum Gang an die Urnen zu bewegen.
Was das alles für jeden einzelnen Wähler in seinem Alltag bedeutet, ist von geringer Bedeutung; Politiker sind nicht wirklich an dem interessiert, was ihre Wähler wollen. Sie interessieren sich mehr für jene, in deren Dienst sie stehen, weil von ihnen das große Geld kommt. Auf den Punkt gebracht ist Politik ein Geschäft, und die Wähler sind dabei nur ein notwendiges Übel. Wir können das an den ungeheuren Finanzmitteln erkennen, die von den einzelnen politischen Ämtern verbraucht werden.
Im Grunde ist die Politik der staatstragenden Parteien nichts als die Erhebung des Symbols über die Substanz, weil sie danach trachten, die Illusion von Veränderung zu erzeugen, während die Machtverhältnisse, die für die Mehrheit auf der unteren Ebene der Gesellschaft wesentlich sind, unangetastet bleiben. Es geht in der Regel um die Veränderung der Form, nicht des Inhalts.
Das konnten wir sehr gut in Südafrika verfolgen, wo die Gesichter der Regierenden Ausdruck eines dramatischen Wandels sind: Heute bilden Schwarze die Staatsführung und nicht mehr die Weißen des Apartheidsystems. Aber die wirtschaftliche Macht und der immense Reichtum des Landes sind weiter in der Hand einer vorwiegend weißen Elite. Sie sind es auch, die die ultimative Kontrolle über die schwarzen Politiker ausüben. Die große Mehrheit der schwarzen Südafrikaner in den Städten und auf dem Land lebt weiterhin in hoffnungsloser Armut. Geändert hat sich nur etwas für die kleine schwarze Mittelschicht, die den politischen Aufstieg geschafft hat.
In den USA rühmen wir uns oft damit, daß mehr und mehr Schwarze politische Ämter auf der lokalen, Bundesstaats- und Bundesebene innehaben. Das ist zwar unstrittig, aber warum ist dann die Lebenssituation der Schwarzen in den USA weiter so miserabel, warum sind wir weiter von Armut und Gewalt bedroht? Die öffentlichen Schulen kommen ihren Aufgaben nicht mehr nach. Die Mehrheit derjenigen, die im Zuge der aktuellen Banken- und Kreditkrise ihre Häuser durch Zwangsvollstreckungen verloren haben, waren Schwarze oder Latinos. Inmitten eines überwältigenden Wohlstands dieser Gesellschaft ist das Leben für viele Schwarze nach wie vor ein reiner Alptraum. Wie kommt es also, daß in dem Maße, wie wir mehr Schwarze in politischen Ämtern haben, der politische und wirtschaftliche Einfluß der afroamerikanischen Bevölkerung nicht zu-, sondern abnimmt?
Es liegt daran, daß Politiker mit schwarzen Gesichtern die Interessen der Weißen und ihrer ungebrochenen wirtschaftlichen Vormachtstellung heute zum Teil besser durchsetzen können. Schwarze Politiker fungieren in ihren Ämtern als das Büropersonal des weißen Reichtums. Sie sind denen zu Diensten, die ihre Gehälter zahlen. Alexis de Tocqueville, der große französische Kritiker US-amerikanischer Politik, hat es im 19. Jahrhundert treffend so ausgedrückt: »Für amerikanische Bürger gibt es keine höhere Profession als die Politik – weil es die am meisten lukrative ist.«
Wenn uns schwarze Politiker irritieren, dann liegt es am Widerspruch zwischen der Tatsache, daß sie politische Ämter innehaben, aber nicht über wirkliche politische Macht verfügen. Denn politische Macht wäre die Fähigkeit, die Lebensverhältnisse zum Besseren zu wenden, die Interessen ihrer Wähler zu vertreten und sich Zugang zu den Ressourcen zu verschaffen, mit denen die Lage der schwarzen Bevölkerung insgesamt verbessert werden könnte. Aber in Wirklichkeit haben sie nur die Plätze weißer Politiker eingenommen, ohne etwas wesentlich anders zu machen als ihre Vorgänger.
Übersetzung: Jürgen Heiser
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