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+++IVK-News-Ticker+++ 13. April 2008+++IVK-News-Ticker+++

13.04.08 (von ivk) Die erste Einschätzung der Entscheidung des US-Bundesberufungsgerichts vom 27. März 2008, abgegeben von Hauptverteidiger Robert R. Bryan im Namen seines Mandanten am 11. April 08: Erneute »Mumia-Ausnahme« der US-Rechtsprechung / Der Kampf für ein neues Verfahren muß verstärkt werden – auch außerhalb der Gerichte!

IVK-News-Ticker Nr. 6 / 13. April 2008

Liebe Freundinnen und Freunde,
diese aktuelle Mitteilung schreibe ich im Namen meines Mandanten Mumia Abu-Jamal, der sich nach wie vor im Todestrakt von Waynesburg, Pennsylvania, befindet. Von vielen Seiten wurde der Wunsch geäußert, daß wir unsere Reaktion und Position bezüglich der aktuellen juristischen Entwicklungen darlegen und erklären, wie es weitergeht. Mit den folgenden Erläuterungen hoffen wir, einige dieser Fragen zu beantworten und zur Beseitigung der teilweise entstandenen Konfusion beizutragen.

Entscheidung des US-Bundesberufungsgericht für den 3. Gerichtsbezirk, Philadelphia
Wie hinlänglich aus den Medien bekannt, hat das US-Bundesberufungsgericht seine lang erwartete Entscheidung am 27. März getroffen [Abu-Jamal v. Horn, No. 01-9014, 02-9001, 2008 WL 793877 (3rd Cir. 2008)].
Mumia und ich hatten noch am selben Tag mehrere Verteidigergespräche und waren seitdem häufig in Kontakt, einschließlich meines Besuches im Todestrakt Anfang dieser Woche und einer längeren Diskussion per Telefon als Grundlage dieser Stellungnahme. Wir sehen die Entscheidung des Gerichts als eine zweischneidige Sache an. Es gibt positive, aber auch negative Aspekte und eine bemerkenswerte abweichende Meinung eines der drei Richter bezüglich des Rassismus im Verfahren, die uns mit Hoffnung erfüllt, am Ende doch zu obsiegen.

Einen neuen Prozeß hat das Bundesgericht nur im Hinblick auf die Frage angeordnet, ob die Todesstrafe gegen Mumia vollstreckt oder das Urteil in lebenslange Haft umgewandelt wird. Der Grund für die Neufestsetzung des Strafmaßes ist mit der falschen Belehrung der Geschworenen durch den Vorsitzenden Richter [Albert Sabo im Prozeß 1982] begründet, die einen Verfassungsverstoß darstellt.
Es ist ein positiver Schritt in jedem Todesstrafenverfahren, wenn ein Gericht feststellt, daß das Todesurteil fälschlicherweise ausgesprochen wurde. Mumia begrüßt diesen Teil der Entscheidung, weil damit auch anderen Todeskandidaten in den USA geholfen werden könnte.
Die Staatsanwaltschaft verfügt nun über verschiedene Varianten, auf die Entscheidung zu reagieren. Dazu gehört die Beantragung eine nochmalige Überprüfung durch das Bundesgericht und später dann der Antrag beim Obersten Gerichtshof der USA in Washington D.C., das Todesurteil zu bestätigen.

Es war eine große Enttäuschung, daß das Bundesgericht unsere Forderung nach Aufhebung des Urteils [von 1982] abgelehnt hat und damit eine Neuverhandlung über Schuld oder Unschuld. Es wäre eine Untertreibung zu sagen, daß Mumia und ich nur unglücklich darüber sind, denn diese Entscheidung stellt eine Mißachtung der US-Verfassung und vorheriger Präzedenzfälle dar. Es entspricht den Tatsachen, daß der Staatsanwalt [McGill] bei der Auswahl der Geschworenen von rassistischen Motiven geleitet wurde, und daß er der Jury einen falschen und irreführenden Hinweis gegeben hat, der den Grundsatz, daß ein Urteil nur auf Beweisen fußen darf, die über jeden Zweifel erhaben sind [»im Zweifel für den Angeklagten«], und den Grundsatz der Unschuldsvermutung auf den Kopf stellt. Es entspricht ebenfalls den Tatsachen, daß der Prozeßrichter voreingenommen war und von einem fanatischen Verurteilungswillen getrieben wurde. Er hat sogar [in einer Prozeßpause im Beisein einer Zeugin] mit Bezug auf meinen Mandanten gesagt, er werde [der Anklage] »helfen, den Nigger zu grillen«. Leider hat das Bundesgericht die Fehler der Anwälte, die meinen Mandanten früher verteidigt haben, gegen Mumia verwendet. Ihre Fehler, die sie unabsichtlich begangen haben, sollten jetzt nicht dazu herhalten, von den fundamentalen Verfassungsverstößen [seitens der Justiz] in diesem Verfahren abzulenken und sie zu entschuldigen.

Der schwache Silberstreif am Horizont, der sich in der Gerichtsentscheidung zeigt, ist die juristische Position von Richter Thomas L. Ambro. Er legte seine abweichende Minderheitsposition zur Frage der rassistischen Motive bei der Geschworenenauswahl auf 41 Seiten der schriftlichen Begründung nieder. Er beginnt seine brillante Stellungnahme mit den Worten:
»Wenn auch nur eine einzige Person wegen ihrer Hautfarbe von einer Jury ausgeschlossen wird, verstößt das gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung in unserer Verfassung. Siehe Entscheidung im Fall Batson v. Kentucky, 476 U.S. 79, 84-86, 99 n. 22, 106 S. Ct. 1712, 90 L. Ed.2nd 69 (1986). Dieses einfache Rechtsprinzip wurde vom Obersten Gerichtshof der USA erst in der vergangenen Woche erneut bestätigt. Siehe Snyder v. Louisiana, No. 06-10119, 2008 WL 723750, at *4 (Mar. 19, 2008).«
Bundesrichter Ambro kam zu dem Schluß, daß jeder
»das Recht auf einen fairen und vorurteilsfreien Prozeß vor einer Jury von seinesgleichen hat. Wir werden durch [das Urteil des Obersten Gerichtshofs im Fall] Batson daran erinnert, daß ›[d]ie Kerngarantie des Gleichbehandlungsgrundsatzes, die die Bürger darin versichert, daß ihr Staat sie nicht wegen ihrer Hautfarbe diskriminieren wird, bedeutungslos wäre, wenn wir dem Ausschluß von Jurykandidaten auf der Basis [...] ihrer Hautfarbe zustimmen würden‹. (S. 97-98) Ich befürchte heute, daß wir den Effekt des Batson-Urteils abschwächen, indem wir jetzt eine Einspruchsbedingung für erforderlich erklären, die es in der Rechtsprechung unseres Gerichts vorher so nicht gegeben hat, und indem wir die niedrige Schwelle für einen Fall von prima facie [Beweis des ersten Anscheins] der Diskriminierung bei der Geschworenenauswahl nun auf eine unerreichbare Höhe anheben, da viel Zeit vergangen ist und die ursprünglichen Gerichtsprotokolle der Geschworenenauswahl nicht mehr verfügbar sind. Wenn wir so entscheiden, erweisen wir dem Batson-Grundsatzurteil einen schlechten Dienst. Ich widerspreche dem deshalb mit allem Respekt.«

Kurz vor der Entscheidung [des Bundesberufungsgerichts vom 27.03.08] haben wir durch einen Antrag die gerade ergangene Entscheidung im Fall Snyder dem Bundesgericht zur Kenntnis gebracht. Am 23. März 2008 schrieb ich [an das Bundesgericht]:
»In Snyder v. Louisiana, __U.S.__, 2008 WL 723750 (Mar. 19, 2008) wurde das Urteil des Obersten Gerichtshofs von Louisiana durch den Obersten Gerichtshof der USA mit der Begründung aufgehoben, das Prozeßgericht hätte die ›begründete Ablehnung« [eines Jurykandidaten] nur auf der Basis der Hautfarbe nicht zulassen dürfen, weil es damit gegen das Grundsatzurteil im Fall Batson v. Kentucky, 476 U.S. 79 (1986) verstieß. Richter Alito, der die Mehrheitsmeinung schriftlich fixierte, bestätigte, daß der Nachweis diskriminierender Absichten einer breiten Palette von Faktoren entnommen werden sollte. Unter Zitierung des [Grundsatzurteils im Fall] Miller-El v. Dretke, 545 U.S. 231, 239 (2005) führte er aus, daß ›in Anbetracht eines Einspruchs wegen Batson, oder bei der Überprüfung einer Fehlentscheidung nach Batson alle Umstände, die einen Bezug zum Vorwurf rassistischer Ablehnung haben, untersucht werden müssen [...].‹ Snyder unterstreicht den vom Berufungskläger Mr. Abu-Jamal gegen den Berufungsbeklagten [Staat] in der mündlichen Anhörung vom 17. Mai 2007 und in Anträgen vorgebrachten Punkt, daß die Existenz einer prima-facie-Anfechtung wegen Batson, inter alia [unter anderem] von der Verbindung zwischen Hautfarbe und dem Muster der Ablehnungsgründe, dem Charakter des Verfahrens, Kommentaren während der Juryauswahl und Zeit und Ort des Prozesses abhängig ist.
Das hohe Gericht stellte erneut fest, daß ›die Verfassung die Ablehnung auch nur eines potentiellen Geschworenen in diskriminierender Absicht verbietet‹. Snyder v. Louisiana, 2008 WL 723750 at * 4 [Zitat aus United States v. Vasquez-Lopez, 22 F.3d 900, 902 (C.A.9 1994)]. Dies wurde bereits in der mündlichen Anhörung und in den Schriftsätzen ausgeführt. Schließlich wird in dem Fall auch anerkannt, daß ein ›Rückschluß auf diskriminierende Absichten‹ gestützt wird, wenn die von der Staatsanwaltschaft vorgebrachten Gründe zur Ablehnung von Afroamerikanern nicht gleichzeitig unparteiisch auf Nichtafroamerikaner anwendbar sind. (Snyder v. Louisiana, 2008 WL 723750 at *8) Dieser Punkt wurde auch schon in der mündlichen Anhörung und in unseren Schriftsätzen vorgebracht.«

Die »Mumia-Ausnahme«
Im Zusammenhang mit der zuletzt entschiedenen Ablehnung eines neuen Verfahrens für Mumia war auch die Rede davon, dies sei nur ein weiteres Beispiel für die »Mumia-Ausnahme«. David Lindorff, ein anerkannter investigativer Journalist und Autor des Buches »Killing Time: An Investigation into the Death Row Case of Mumia Abu-Jamal«, schrieb im Philadelphia Inquirer vom 2. April 2008, daß »die Gerichte ihre Rechtsprechung einfach geändert haben, um Abu-Jamal weiter auf den Weg in den Tod zu zu bringen«. Was Professor Linn Washington schon früher die »Mumia-Ausnahme« genannt hat, hätte es nicht treffender ausdrücken können.

Reaktion der Bezirksstaatsanwaltschaft von Philadelphia
Die Bezirksstaatsanwältin Lynne Abraham war über die Entscheidung des Bundesberufungsgerichts, daß das Strafmaß vor einer Jury neu verhandelt werden müsse, blaß vor Wut. Auf einer Pressekonferenz am 27. März 2008, dem Tag der Entscheidung, schwor die Leiterin der Staatsanwaltschaft, ihr Amt werde weiterhin für die Hinrichtung meines Mandanten eintreten. Traurig, daß die Anklagebehörde nicht der Versuchung widerstehen konnte, die Wahrheit zu verdrehen, wie sie es seit Beginn des Verfahrens vor einem Vierteljahrhundert immer getan hat. Abraham sagte fälschlicherweise, daß das Gericht »am Ende die weise Entscheidung getroffen hat, daß Mr. Jamal schuldig ist«. Das hat das Bundesberufungsgericht allerdings nicht festgestellt, und das ist auch völliger Unsinn; weder wurde der Fall durch eine Beweisuafnahme neu aufgerollt noch gab es ein Schuldurteil. Dazu sind Berufungsgerichte nicht da. Die Entscheidung des Bundesgerichts befasste sich vielmehr mit Verstößen gegen das Gesetz und das Verfahrensrecht. Die suggestive Aussage, mein Mandant sei jetzt erneut wegen irgend etwas in diesem Berufungsverfahren »schuldig« gesprochen worden, ist absurd und offenkundig falsch.

Die nächsten Schritte
Die abweichende Meinung von Bundesrichter Ambro ist ein Licht in der Dunkelheit, eine Richtschnur für den Weg, den wir jetzt einschlagen müssen. Am 9. April 2008 hat das Bundesberufungsgericht meinem Antrag auf Fristverlegung zugestimmt und mir 45 Tage eingeräumt, den Antrag zur nochmaligen Befassung mit dem Fall en banc, also durch das erweiterte Richtergremium, zu stellen. Die Frist läuft am 27. Mai 2008 aus. Der Kern meiner schriftlichen Begründung wird sein, daß »die Entscheidung der drei Richter sowohl mit einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA in Widerspruch steht als auch mit solchen des Gerichts, an das der Antrag gerichtet ist. Eine Überprüfung durch das gesamte Gericht ist deshalb zwingend notwendig, um die Einheitlichkeit der Entscheidungen des Bundesberufungsgerichts wiederherzustellen«. Außerdem »geht es in diesem Antrag um eine oder mehrere Fragen von außerordentlicher Wichtigkeit«. [Fed. R. App.P.35 (b) (1).]
Wenn wir mit diesem Antrag keinen Erfolg haben, ziehen wir vor den Obersten Gerichtshof der USA.

Fazit
Es geht in dieser juristischen Auseinandersetzung um das Recht auf ein faires Verfahren, den Kampf gegen die Todesstrafe und die politische Unterdrückung eines couragierten Autors und Journalisten. Vor dem Hintergrund von drei Jahrzehnten erfolgreicher Verteidigung in Mordprozessen, in denen es um die Todesstrafe geht, bin ich überzeugt davon, daß wir ein neues Verfahren durchsetzen und einen Freispruch für meinen Mandanten erreichen können. Es geht mir als Mumias Hauptverteidiger darum, daß er zu seiner Familie heimkehren kann. Ich werde nicht ruhen, bis das geschehen ist.
Mumia ist immer noch im Todestrakt und sein Leben ist weiterhin in großer Gefahr. Wir dürfen nicht vergessen, daß Rassismus, gefälschte Beweise, Politik und Unfairness sich von Beginn an wie ein roter Faden durch dieses Verfahren gezogen haben. Wie die Kommentare der Staatsanwaltschaft auf ihrer jüngsten Pressekonferenz gezeigt haben, hat diese Behörde aus ihrem schändlichen Verhalten in diesem Verfahren nichts gelernt. Das in der Vergangenheit begangene Unrecht setzt sich so bis in die Gegenwart fort.
Zum Schluß sei betont, daß wir allen dankbar sind, die sich dafür stark machen, die Ungerechtigkeit in diesem Fall durch Demonstrationen, Zeitungsartikel, Versammlungen oder Verbreiten der Informationen im Internet an die Öffentlichkeit zu bringen. Das ist alles sehr wichtig. Gemeinsam erheben wir unsere Stimme in diesem Kampf für Gerechtigkeit: Free Mumia!

Mit freundlichen Grüßen,
Robert R. Bryan
Law Offices, 2088 Union Street, Suite 4
San Francisco, California 94123-4117
E-mail: robertrbryan@aol.com

Übersetzung: IVK Bremen

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