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Kolumne 19.01.08: Wirbelsturm des Klanges

20.01.08 (von maj) Die Musik ist viel mehr als ein Milliardengeschäft – sie ist ein Kraftquell für den Freiheitskampf

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 16 - 19./20. Januar 2008

In den USA und rund um den Globus nehmen wir Musik heute in erster Linie als ein Milliardengeschäft wahr. Aber Musik kann mehr sein als die unendliche Klangcollage, die Tag für Tag aus unseren Radios schallt. Die Art und Weise, wie ein Mensch auf die Welt schaut, kann durch Musik verändert werden, sie kann sogar sein ganzes Leben in neue Bahnen lenken. Allerdings muß es Musik sein, die etwas bewirkt, die einen Ton in demjenigen zum Schwingen bringt, der sie hört oder fühlt. Um eine solche Musik handelt es sich bei der, die unter afroamerikanischen Hörern seit Generationen als »klassisch« angesehen wird: Jazz.
Im Besonderen trifft das auf das Schaffen des 1967 im Alter von 41 Jahren verstorbenen Saxophonisten John Coltrane zu, einem Avantgardisten unter den Jazzmusikern und Anhänger des Free Jazz. In den 1950er Jahren war Coltrane ein Star, ein herausragender Solist des Miles-Davis-Quintetts. Später leitete er selbst verschiedene Bands, und seine Musik bewegte Millionen – bis heute, über zwei Jahrzehnte nach seinem Tod.
In San Francisco steht eine Kirche, die schon im frühen 20. Jahrhundert Sammlungsort der schwarzen nationalistischen Bewegung Marcus Garveys war. Heute heißt sie St. John Coltrane Orthodox Church, und von überall her auf der Welt kommen Pilger wie auf einer Wallfahrt und besuchen diese Kirche. Erzbischof Franzo Wayne King residiert hier, und er hat Coltrane zu einem Heiligen der afrikanisch-orthodoxen Kirchenzeremonie erklärt. Kings Wertschätzung gegenüber Coltrane zeigt sich nicht nur in seinen wortgewaltigen Predigten, sondern auch, wenn er mit seinem eigenen Saxophon das Kirchenschiff in Schwingungen versetzt und dem seligen Jazzer seine Ehrerbietung erweist. King erklärte jüngst in einem Interview, er habe 1966 mit seiner Freundin Marina in der Kneipe »The Jazz Workshop« in San Francisco in der ersten Reihe gesessen und Coltrane das erste Mal live erlebt. Was sie da hörten, hätte sie buchstäblich vom Stuhl geblasen. King nannte dieses Erlebnis später seine »Klangtaufe«.
Der afroamerikanische Revolutionär und spätere Gelehrte Muhammad Ahmad, der Mitglied des Student Nonviolant Coordinating Committee (SNCC), des Revolutionary Action Movement (RAM) und anderer Organisationen war, beschrieb in seiner 2007 erschienenen Autobiographie »We Will Return in the Whirlwind: Black Radical Organizations 1960–75« (Wir werden in einem Wirbelsturm zurückkehren: schwarze radikale Organisationen 1960–75), daß ihn die Musik offen gemacht habe für politische Ideen und Möglichkeiten: »Max Roach und Abbey Lincoln spielten auf dem Nationalkonvent der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) in Philadelphia zum ersten Mal ihre ›Freedom-Now‹-Suite. Ich bin mit Jazz aufgewachsen und habe als Schüler zu Coltranes ›Giant Steps‹ meine Hausaufgaben gemacht. Ich habe dem Newport-Jazz-Festival beigewohnt und war ein begeisterter Fan von Miles Davis und Cannonball Adderly. Aber in Philadelphia hörte ich zum ersten Mal Musik, die sich direkt mit einer Botschaft an meine Generation richtete. Die ›Freedom-Now‹-Suite sprengte augenblicklich mein politisch-kulturelles Bewußtsein.«
Ahmad beschreibt, welche machtvolle soziale Kraft Musik damals entfaltete, wie sie neue Perspektiven für den Blick auf die Welt eröffnete und neue Wege aufzeigte, die Welt zu begreifen und in ihr zu leben.
Musik ist mehr als die Ware, als die wir sie heute in der Regel erleben. Der Free Jazz damaliger Jahre stand als schlichtes Symbol für Freiheit, für ein Ausbrechen aus den Zwängen der Vergangenheit. Diese machtvolle Wirkung der Musik müssen wir uns zurückerobern. Wir müssen sie wieder zu einer Ressource für uns machen – zu einem Kraftquell in unserem Kampf um die Freiheit. Denn frei sind wir immer noch nicht.
Übersetzung: Jürgen Heiser

 
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