Kolumne 12.01.08: Präsident unter Anklage
16.01.08 (von maj) Ein korrupter, kriegerischer Staatschef landet hinter Gittern – er heißt nicht George W. Bush
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 10 - 12./13. Januar 2008
Ein Präsident ist angeklagt, gegen Gesetz und Verfassung seines Landes verstoßen zu haben. Ihm wird vorgeworfen, seinen Getreuen illegal Zugang zu den Pfründen des Landes verschafft zu haben. Ihm wird weiter vorgeworfen, im Namen des »Krieges gegen den Terror« Folter zugelassen, die Telefone unzähliger Bürger des Landes abgehört und Horden seiner übelsten Schergen auf Journalisten, Oppositionelle und Kritiker seiner nahezu imperialen Herrschaft gehetzt zu haben.
Bei dem Geschildertem kann es sich nur um Inhalte eines jüngst erschienenen Politthrillers handeln – oder wer will uns weismachen, es gehe hierbei um einen real existierenden Präsidenten, der in einem tatsächlich existierenden Land unter einer wirklichen Anklage steht? Doch trotzdem gibt es diese Vorgänge – nur daß sie sich nicht nicht hier in den USA ereignen, sondern in Peru, wo Alberto Kenya Fujimori jetzt wegen der genannten Verbrechen vor Gericht steht. In Peru kennt man ihn wegen der asiatischen Herkunft seiner Vorfahren auch unter seinem Spitznamen »El Chino« – der Chinese.
Die Anklagepunkte beziehen sich auf seine zehnjährige Amtszeit als peruanischer Präsident von 1990 bis 2000, in der er die peruanische Version eines »schmutzigen Krieges« gegen die gesamte Opposition des Landes gerichtet hat. Von Angriffen der Armee gegen den Leuchtenden Pfad (Sendero Luminoso/PCP-SL) und die Revolutionäre Bewegung Tupac Amaru (Movimiento Revolutionario Tupac Amaru/MRTA) bis hin zu Massakern an Studierenden und Linken, verübt von geheimen Todesschwadronen, hat der ehemalige Präsident dem lateinamerikanischen Land ein blutiges Vermächtnis hinterlassen. In dem viele Jahre währenden innerstaatlichen Krieg verloren schätzungsweise 70000 Menschen ihr Leben, wie eine peruanische Regierungskommission 2003 in einem Bericht feststellte.
Am 11. Dezember 2007 verurteilte ein Gericht Fujimori in einem ersten Verfahren zu sechs Jahren Haft und zu einer hohen Geldstrafe wegen Anordnung eines Einbruchs und Diebstahls. Kurz vor seinem Sturz im November 2000 soll er eine Hausdurchsuchung ohne die erforderliche Genehmigung eines Staatsanwalts angeordnet haben. Er ist weiterhin wegen Menschenrechtsverletzungen und Korruption sowie mehrfachen Mordes angeklagt. Würde Fujimori in allen ihm vorgeworfenen Punkten schuldig gesprochen, dann hätte der jetzt 69jährige eine Gesamtstrafe von 30 Jahren Gefängnis zu erwarten.
Was überrascht an diesen Vorgängen? Daß eine Anklage gegen einen Präsidenten überhaupt möglich ist. Denn hier den USA genießen Regierungsmitglieder eine derart unumstößliche Immunität, daß einem allein schon der Gedanke, den amtierenden US-Präsidenten wegen Kriegsverbrechen, Verstößen gegen das Völkerrecht oder die US-Verfassung zur Rechenschaft ziehen zu wollen, unwirklich vorkommen muß. Das einzige Mal, daß wir in die Nähe solcher Maßnahmen gekommen sind, waren die Ereignisse um den Watergate-Skandal von 1972, in dessen Folge Präsident Richard M. Nixon am 9. August 1974 zurücktrat, weil sonst seine Amtsenthebung unausweichlich gewesen wäre. Aber auch Nixon wurde nicht angeklagt. Sein Nachfolger, Präsident Gerald R. Ford, gewährte ihm einen präventiven Straferlaß – noch bevor überhaupt Anklage erhoben wurde! Keines seiner Verbrechen, die ihm für die Zeit seit 1969 vorgeworfen wurden, ist bis heute gesühnt. Aber nichts ist vergessen.
Jüngst wurde in einem per Satellit ausgestrahlten Nachrichtenprogramm des chinesischen Fernsehens berichtet, daß dem Krieg der USA gegen Irak und den Folgen bis zu eine Million Menschen zum Opfer gefallen sein sollen. Bis zu einer Million Leben ausgelöscht! Aber dennoch will hier niemand ein Verbrechen sehen. Also kommt es auch nicht zu einer Amtsenthebung. Nein, es gibt noch nicht einmal vage Erörterungen darüber. Als bei den vergangenen Kongreßwahlen im Jahr 2006 eine durch den endlosen Krieg erregte und zornige Wählerschaft der Demokratischen Partei zur Mehrheit im US-Repräsentantenhaus verholfen hatte, erklärte dessen Sprecherin, die kalifornische Demokratin Nancy Pelosi, noch in der Stunde des Sieges: »Die Amtsenthebung ist vom Tisch!« Und dabei ist es geblieben.
Was kann die einzig verbliebene Supermacht von einem kleinen, relativ armen Land an der Westküste Lateinamerikas mit einer vorwiegend indigenen Bevölkerung lernen? Offensichtlich gar nichts – solange in den USA »Immunität« das Zauberwort zur Vertuschung aller Staatsverbrechen bleibt.
Übersetzung: Jürgen Heiser
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