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Kolumne 15.12.07: »Last Exit Omaha«

15.12.07 (von maj) Kaputte Gesellschaft: Todessehnsucht wegen sinnlosen und unerträglichen Lebens

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 291 - 15./16.12.2007

Ein junger Mann schlendert ruhig in einen Einkaufstempel der Stadt Omaha, Nebraska, dem »Nabel der USA«. Er trägt einen Kampfanzug und ist mit einem Gewehr bewaffnet, was beides in den USA nicht ungewöhnlich ist. Was niemand sehen kann, ist das abgrundtiefe Gefühl der Wertlosigkeit, das er in sich trägt. Er ist depressiv und verzweifelt. Er hat gerade seinen Job in einer nahegelegenen McDonald’s-Filiale verloren, und obendrein hat ihm seine Freundin den Laufpaß gegeben. In einem der oberen Stockwerke lehnt er sich über ein Geländer der offenen Haupthalle des Einkaufszentrums, legt sein Gewehr an und feuert wahllos auf Menschen, die in den darunterliegenden Etagen ihren Besorgungen nachgehen. Panik und Entsetzen brechen aus, Menschen rennen und flüchten, werfen sich zu Boden. Noch ehe es Abend wird, sind neun Menschen tot, darunter auch der Amokläufer, der sich selbst erschossen hat.
Robert Hawkins war 19 Jahre alt. In seinem Abschiedsbrief stand nach Zeitungsberichten zu lesen, er wolle durch seine Tat berühmt werden.
Was sagt es aus über das Leben in den USA, daß sich jemand schon im Alter von 19 Jahren so bar jeder Hoffnung und so unendlich leer fühlt? Was sagt sein letzter Wunsch aus über das Streben nach Ruhm und Anerkennung in dieser Gesellschaft? Was sagen seine Gefühle aus darüber, wie man in Konzernen wie McDonald’s mit Mitarbeitern umspringt? Wie fühlen sich junge Menschen, die ohne Arbeit sind und für sich keinerlei Perspektiven mehr sehen; die sich wertlos fühlen – und ungeliebt?
Für die arbeitenden, die lohnabhängigen Menschen befindet sich die US-Wirtschaft im freien Fall, seit durch die Folgen der kapitalistischen Globalisierung weite Bereiche der industriellen Produktion verlagert oder vernichtet wurden und an ihre Stelle wenige Niedriglohnjobs im Dienstleistungsgewerbe getreten sind.
Wer aufrichtig an Antworten auf die gestellten Fragen interessiert ist, soll nur einmal einen Moment lang versuchen sich vorzustellen, was es für junge Afroamerikaner bedeutet, in der heutigen US-Gesellschaft heranzuwachsen und ein öffentliches Bildungssystem zu durchlaufen, das diesen Namen nicht mehr verdient. Welche Zukunft kann ein solcher Jugendlicher heute ernsthaft noch für sich sehen?
Beide, sowohl der Amokläufer von Omaha als auch der imaginäre junge Afroamerikaner, haben ihre Erfahrungen mit dem Bildungssystem während der Ära des George W. Bush gemacht, unter dessen Regierung 2002 ein Gesetz verabschiedet wurde, das wie die Parole eines Aktionsprogramms klingt: »No Child Left Behind (NCLB)« – Kein Kind soll zurückbleiben. Mit dem Gesetz sollte angeblich das öffentliche Schulsystem reformiert und gerade für die Unterprivilegierten verbessert werden. Angesichts der Realitäten kann man nur sagen: Mehr denn je werden gerade sie zurückgelassen.
Der eine geht in ein riesiges Einkaufszentrum, legt auf Schnäppchenjäger an und weiß, daß er diesen unwirtlichen Ort nicht mehr lebend verlassen wird. Andere vergeuden ihr Leben in sinnlosen Banden- und Drogenkriegen und sind bereit, für einen kleinen Moment des Glücks, das ihnen vorenthalten wird, zu töten oder getötet zu werden.
Es ist in der Literatur schon hinlänglich erörtert worden, daß junge Menschen sich in einem bestimmten Alter für unverwundbar und unsterblich halten. Aber wie die jüngsten Ereignisse zeigen, fühlen sich nicht eben wenige Jugendliche so entfremdet, so verloren, daß sie sich geradezu nach dem Tod sehnen und in ihm einen Ausweg aus einem Leben sehen, das für sie unerträglich geworden ist.
Übersetzung: Jürgen Heiser

 
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