Kolumne 8.12.07: Mit der Knastmentalität brechen
08.12.07 (von maj) Ein Exhäftling hat ein Buch für Gefangene geschrieben. Es weist den Weg in eine sinnvolle Zukunft
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 285 - 8./9.12.2007
Manche Bücher werden niemals in der New York Times, der New York Review of Books oder der London Literary Review besprochen werden. Der Band »Changin’ Your Game Plan« (sinngemäß: »Ändere deine Strategie«) von Randy Kearse ist ein gutes Beispiel dafür. Der Grund ist nicht etwa darin zu suchen, daß er sein Buch im Selbstverlag herausgebracht hat. Es geht vielmehr um die Zielgruppe seiner Arbeit: er hat es für Gefangene geschrieben, vor allem für afroamerikanische Männer im Knast.
Wenn Kearse die Häftlinge direkt anspricht, dann nicht, weil er ihnen wie ein Priester von der Kanzel ins Gewissen reden will, sondern weil er seine eigenen grauenvollen Lebenserfahrungen als einer der ihren mit ihnen teilen und ihnen aufzeigen will, wie er es geschafft hat, sich aus diesem Abgrund herauszuarbeiten. Abgrund steht hier nicht nur als Synonym für das Gefängnis, sondern für die geistige Haltung, die Mentalität, die ihn dorthin gebracht hat und die auch heute tagtäglich andere in die Hölle der Gefängnisse stürzen läßt.
Randy Kearse war nach einer unbeschwerten Kindheit Drogendealer geworden, und sein weiterer Lebensweg führte ihn über Ausgeflipptsein und Exzesse geradewegs in den Knast. Kearse berichtet in seinem Buch nicht nur über seinen damaligen Absturz, sondern er erzählt auch, wie er sich im Gefängnis aufgerappelt und seine Wiedergeburt erlebt hat. Er beschreibt, wie er die Fähigkeit entwickelte, seine früheren Überzeugungen in Frage zu stellen. Denn sie waren weder ihm selbst dienlich noch dem Bild, das er gern von sich, der Gesellschaft oder der jungen Generation, die diese Welt einmal übernehmen soll, gehabt hätte. In einer Reihe von Essays bearbeitet Kearse Themenkomplexe des Lebens und der Kultur im Gefängnis mit einer erfrischenden Klarheit und Offenheit. Ich habe darin Aussagen wiedergefunden, die ich gerade selbst gegenüber Freunden gemacht hatte, und mir kam es so vor, als würde ich in dem Buch meine eigenen Worte lesen.
Unter der Überschrift »Beim sogenannten Spiel mitmachen« schreibt Kearse: »Auf diesem Planeten sind wir die einzige Kultur, in der das Gefängnis als Hort der Initiation akzeptiert wird, an dem also Jugendliche ihre Schritte ins Erwachsenenleben machen. Wenn wir dann aus dem Knast nach Hause zurückkehren, glauben wir, mit uns wäre etwas Besonderes geschehen. Wir laufen herum und tun so, als hätten wir es zu etwas gebracht, das so nicht vorgesehen war. Wir signalisieren dann ›hey, ich bin wieder zurück‹, als hätten wir gerade eine abenteuerliche Weltreise absolviert.«
Als ich vor Jahren mit einem jungen Mitgefangenen sprach, der wegen Drogengeschäften eingefahren war, erzählte er mir davon, wie hart er in seinem Kiez gearbeitet und wie ihn das geschlaucht hatte, seine Leute immer wieder auf Vordermann bringen zu müssen. Offen gesagt, ich war verblüfft. Dieser Youngster hatte draußen sicher härter gearbeitet, als es die meisten »Spießer« je tun würden. Seine Schichten dauerten 20 bis 40 Stunden, er ging oft nur kurz nach Hause, um einen Happen zu essen, und manchmal nicht einmal das. Ich mußte an ihn denken, als ich las, wie Kearse in seinem Buch die unglaublich strikte Arbeitsmoral der Drogendealer beschrieb:
»Wenn wir im Kiez unseren illegalen Geschäften nachgingen, dann waren wir wie Workaholics, die ständig am Limit arbeiteten. Manchmal waren wir von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang unterwegs. Wir wollten keinen Cent auslassen. Als wir dann größer im Geschäft waren, ließen wir den Job von anderen Typen für uns erledigen. Sie mußten dann von früh bis spät ihre Runden drehen. Manchmal haben wir so hart geschuftet, daß wir völlig alle waren, das Duschen ausfallen ließen und uns nur noch in die Federn warfen. Früh klingelte wieder das Telefon, und sofort ging die Mühle wieder von vorn los. Geldmachen war uns wichtiger als alles andere.«
Kearses Schilderungen erinnern an die Feststellungen, die Huey P. Newton, der verstorbene Mitbegründer der Black Panther Party, über Kleinkriminelle und andere Ganoven traf: Für ihn waren sie »illegitime Kapitalisten«, die sich nur wenig von ihren Kollegen in den Büros der Wall Street unterscheiden. Was macht es schon aus, ob jemand illegal Drogen vertickt oder legal im Großhandel Zigaretten verkauft? Es gibt eigentlich nur einen wesentlichen Unterschied: Der eine steht ständig mit einem Fuß im Knast, der andere weiß, daß er jeden Abend beruhigt in seine Penthouse-Wohnung zurückkehren kann.
Randy Kearse versucht nicht, den Eindruck zu vermitteln, er habe ein ausgesprochen politisches Buch geschrieben. Ihm geht es vielmehr darum, gezielt Männer und Frauen in den Gefängnissen anzusprechen, an die sich sonst niemand direkt und mit solcher Zuneigung und Empathie wendet. Vor allem unter jenen Youngsters, die ihren ersten Knast schieben, werden sicher etliche Kearses Worte begierig aufsaugen, weil sie ihnen helfen können, sich dem Wahnsinn, in den sie hineingeraten sind, wieder zu entziehen und einen Weg zu beschreiten, der ihnen bislang unbekannt war. Jenen Weg, auf dem ihre Familien und die Gemeinschaft sich um sie kümmern, ihnen Schutz bieten; wo sie Liebe erfahren. Kearse hat sich vom »alten Spiel« verabschiedet, und er hofft, andere zu ermutigen, es ihm gleichzutun. Dazu weist er aufrichtig und mutig den Weg, wie mit der Gefängnismentalität zu brechen ist.
Übersetzung: Jürgen Heiser
* Anmerkung der Red.: Am 9. Dezember beginnt Mumia Abu-Jamals 27. Jahr in Haft, fast 26 davon im Todestrakt.
* Info: freedom-now.de
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