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Kolumne 22.09.07: Aufstand der Sklaven

22.09.07 (von maj) Ein Lehrbeispiel aus der Geschichte des Kolonialismus: Nachdem die Revolution auf Haiti siegte, platzte der Pariser Traum von einem franko-amerikanischen Imperium

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 221 - 22./23.09.2007

Aktuelle weltpolitische Entwicklungen und Ereignisse sind nur wirklich zu begreifen, wenn wir uns einen tieferen Einblick in ihre Vorgeschichte verschaffen. Der 1901 in der damals britischen Kronkolonie Trinidad und Tobago geborene und 1989 im Londoner Stadtteil Brixton verstorbene Journalist und Autor Cyril Lionel Robert James war ein Gelehrter von bemerkenswerter Brillanz, der in vielen Disziplinen zu Hause war und sie meisterhaft beherrschte. Ein Teil seiner Veröffentlichungen steht im engen Zusammenhang mit seinem Wirken als radikaler antikolonialer Aktivist für die Befreiung der Westindischen Inseln.
Eines seiner bedeutendsten Werke ist die 1938 erstveröffentlichte Studie »The Black Jacobins: Toussaint L'Ouverture and the San Domingo Revolution«. Es ist wahrscheinlich das beste Buch (zumindest in englischer Sprache) über Verlauf und Bedeutung der Haitischen Revolution gegen die französische Kolonialmacht, und es wurde zu einem Standardwerk für alle, die sich näher mit der Geschichte der afrikanischen Diaspora befassen. C.L.R. James legte mit ihm eine Analyse vor, die nicht nur ein tiefes Verständnis der Haitischen Revolution von 1791, die schließlich zur Gründung der ersten unabhängigen Republik von Schwarzen und Mulatten führte, sondern auch der Französischen Revolution von 1789 vermittelte.
Einer der Faktoren der damaligen Umwälzungen auf Haiti war die erbarmungslose Brutalität des Systems der Sklaverei, das die französische Kolo­nialmacht errichtet hatte. Die aus Afrika stammenden Sklaven wurden in den französischen Zuckerfabriken bis aufs Blut ausgebeutet, so daß niemand von ihnen unter diesen Bedingungen Gefangenschaft und Zwangsarbeit länger als sieben Jahre überlebte. Um die so ständig dezimierten Reihen der Sklavenarbeiter wieder aufzufüllen, wurden mehr und mehr Afrikaner von der westafrikanischen Küste in die Zuckerfabriken Haitis verschleppt. Dieses unendliche Leid Tausender schwarzer Afrikaner brachte den weißen Franzosen große Profite. Eine bekannte Redensart aus der Zeit der Französischen Revolu­tion hieß: »Die Elfenbeinküste ist eine nährende Mutter.« Sklaverei und Kolonialherrschaft bildeten eine der wesentlichen Grundlagen der raschen Kapitalakkumulation in Frankreich.
Der Autor erläutert weiter, daß es ohne den immensen Reichtum, den Paris damals durch die Sklavenarbeit in Haiti erreichte, nie zur Revolution von 1789 gekommen wäre. »Sklavenhandel und Sklavenarbeit (waren) die ökonomische Basis der Französischen Revolution«, zitiert James den 1914 in Paris ermordeten sozialistischen Historiker Jean Jaurès. »Es ist eine traurige Ironie der Geschichte«, so Jaurès weiter, »daß der Wohlstand, der in Bordeaux, in Nantes durch den Sklavenhandel geschaffen wurde, die Bourgeoisie mit jenem Stolz erfüllte, der nach mehr Freiheit verlangte und so zur Emanzipation der Menschheit beitrug.«
Nantes war das Zentrum des französischen Sklavenhandels. Bereits 1666 stachen von hier aus 108 Schiffe in See und steuerten die Küsten des westafrikanischen Guinea an, wo sie 37430 Sklaven an Bord nahmen. Diese »Menschenware« hatte damals einen statistischen Wert von mehr als 37 Millionen Livre, dem Vorläufer des Franc – das machte für die Bourgeoisie von Nantes 15 bis 20 Prozent ihrer Einnahmen aus.
Die Haitische Revolution läutete das Ende auch des Pariser Vorhabens ein, ein franko-amerikanisches Imperium zu schaffen. Nachdem in Folge des Siegs der haitanischen Revolution keine Profite mehr von dort nach Frankreich flossen, verständigte sich Napoleon I. mit Thomas Jefferson, dem dritten Präsidenten der USA und »Vater der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung«, darüber, ihm das in französischem Besitz befindliche Louisiana zu verkaufen. Am 30. April 1803 bezahlte der US-Präsident für Louisiana 15 Millionen US-Dollar und verdoppelte durch den Ankauf des eigentlich den Ureinwohnern gehörenden Landes über Nacht die territoriale Größe der USA. Ein kurzer Blick in die Zusammenhänge der europäischen Kolonialpolitik des 18. und 19. Jahrhunderts zeigt also schon, wie wichtig das Studium der Geschichte ist, um zu verstehen, warum die Verhältnisse heute so sind, wie sie sind. Ein Blick in die Geschichte zeigt uns letztlich, wie die aus ihr gewonnenen Erkenntnisse für uns zu geistigen Waffen werden können in den Kämpfen, die wir heute führen.

Übersetzung: Jürgen Heiser

 
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