Kolumne 11.08.07: Der »weiße Baum« von Jena
11.08.07 Rassismus gehört in den USA auch zu Beginn des neuen Jahrhunderts immer noch zum Alltag
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 185 - 11./12.08.2007
Kürzlich machten Nachrichten über einen kleinen Ort namens Jena im US-Bundesstaat Louisiana die Runde. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gibt es dort noch einen »weißen Baum«, der nicht so heißt, weil er weiße Blätter hätte, sondern weil er nur weißen Schülern Schatten spendet.
Im September 2006 suchte der Schüler Kenneth Purvis den Schuldirektor der Jena High School auf und bat ihn um Erlaubnis, sich unter den »weißen Baum« setzen zu dürfen. Der Rektor antwortete, er könne sich hinsetzen, wo immer es ihm gefiele. Also setzten sich Kenneth und weitere schwarze Mitschüler in den Schatten des großen Baumes. Am nächsten Morgen zierten den Baum drei Schlingen in den Traditionsfarben der Schule. Im Süden, aber auch im Norden der USA vermitteln Schlingen eine sehr deutliche Botschaft: Derjenige, für den sie aufgehängt werden, wird mit dem Tode bedroht. Viele nichtweiße Schüler werteten die drei Schlingen genau so und reagierten aufgebracht, wütend oder verängstigt. Auch der Rektor nahm die Sache ernst, stellte eine Untersuchung an und fand heraus, daß weiße Schüler die symbolträchtigen Schlingen am Baum angebracht hatten. Drei Schüler wurden mit sofortiger Wirkung der Schule verwiesen. Der zuständige Schulrat war allerdings anderer Meinung. Er hob den Schulverweis wieder auf und verhängte über die drei Schüler nur einen dreitägigen Ausschluß vom Unterricht. Gegenüber der Chicago Tribune erklärte der Beamte jovial: »Pubertierende Jugendliche spielen anderen gern mal einen Streich. Ich glaube nicht, daß sie irgendwen bedrohen wollten.«
Für Jenas schwarze Gemeinde war das ein Schlag ins Gesicht, den sie nicht hinnehmen wollte. Die schwarzen Schüler der Highschool beschlossen, unter dem »weißen Baum« ein Sit-in abzuhalten, um gegen die lasche Behandlung der drei rassistischen Mitschüler zu protestieren. Als die Nachricht sich wie ein Lauffeuer im Ort verbreitete, besuchte der leitende Bezirksstaatsanwalt eine Schulversammlung, auf der die aktuelle Lage besprochen wurde. Er hatte gleich ein paar Polizisten mitgebracht, um die Schüler einzuschüchtern, die jetzt zu Protestformen griffen, mit denen die schwarze Bürgerrechtsbewegung vor vierzig Jahren überall in den Südstaaten für gleiche Rechte kämpfte. Der Staatsanwalt baute sich vor den Schülern auf und drohte ihnen, wenn sie nicht aufhörten, wegen dieses »Streiches« so einen Wirbel zu machen, dann würden sie sich ihn zum »schlimmsten Feind« machen. Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, was er meinte, hängte er noch dran: »Ein Wink von mir genügt, und euer Leben ist keinen Pfifferling mehr wert!«
Wenige Tage später wurde ein weißer Schüler der Jena Highschool, der für seine rassistischen Sprüche und Beleidigungen bekannt war, niedergeschlagen und mit Fußtritten traktiert. Er wurde ins Krankenhaus gebracht, untersucht und nach Behandlung seiner Blessuren nach Hause geschickt.
Schon nach wenigen Tagen wurden sechs schwarze Schüler verhaftet und wegen versuchten Totschlags angeklagt. Alle sechs erhielten einen sofortigen Schulverweis, den der Schulrat nicht wieder aufhob. Ihre Kautionen wurden mit Beträgen zwischen 70000 und 139000 US-Dollar ungewöhnlich hoch angesetzt. Für Eltern aus der schwarzen Gemeinde unbezahlbar. Das bedeutete natürlich, daß die sechs Jugendlichen die Monate bis zu ihren Prozessen im Gefängnis verbringen mußten. Und wenn die Eltern schon kein Geld für die Kaution hatten, war erst recht nichts da, um Anwälte ihres Vertrauens bezahlen zu können. Folglich bestellte das Gericht vom Staat bezahlte Pflichtverteidiger.
Für Michael Bell, gegen den zuerst verhandelt wurde, war das so, als wäre er ohne Verteidiger vor die nur aus Weißen bestehende Jury getreten. Diese sprach ihn auch prompt des versuchten schweren Totschlags in Tateinheit mit Körperverletzung und Verschwörung zu einer Straftat schuldig. Das kann zur Folge haben, daß der Teenager demnächst zu einer Gefängnisstrafe von bis zu 22 Jahren verurteilt wird. Der Pflichtverteidiger hatte weder die Zusammensetzung der rein weißen Jury gerügt, noch irgendeinen Beweisantrag gestellt. Er hatte auch keine Entlastungszeugen präsentiert. Der Vorwurf des schweren Totschlags setzt eigentlich voraus, daß man sein Opfer mit einer Waffe angegriffen hat. Welche Waffe sollen die sechs Schüler nach Meinung der Staatsanwaltschaft eingesetzt haben? Ihre Tennisschuhe!
Die Familien und Freunde der »Jena 6« organisieren öffentliche Proteste und Solidarität für die Angeklagten und werden dafür selbst vom weißen Establishment des Ortes angegriffen. Gegenüber Tory Pegram von der Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union erklärte eine der Frauen, die den Widerstand mit organisiert: »Wir müssen mehr Leute davon überzeugen, daß sie sich an unseren Aktionen beteiligen sollen. Was kann uns schon passieren? Daß wir unsere Jobs verlieren? Wir haben eh' die schlechtesten Jobs im Ort. Oder daß sie brennende Kreuze in unsere Vorgärten stellen oder mein Haus niederbrennen? Das hatten wir alles schon! Deswegen müssen wir die Wahrheit herausschreien und dafür sorgen, daß das alles nie wieder passieren kann, weil unsere Kinder sonst niemals sicher sein werden vor diesen Rassisten!«
Übersetzung: Jürgen Heiser
Kontakt per E-Mail: jena6defense@gmail.com
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