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Sozialistische Alternativen in den Amerikas

14.01.06 (von ivk) Die 11. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz am 14. Januar 2006 in der Berliner Humboldt Universität hatte als zentrales Thema: "Mit dem Sozialismus rechnen" (siehe auch junge Welt). In seinem Beitrag, der im Originalton auch im Saal abgespielt wurde, setzt sich Mumia Abu-Jamal mit sozialistischen Perspektiven in der amerikanischen Hemisphäre auseinander

Es spricht Mumia Abu-Jamal:

Wie geht's? - Grüße an unsere Freunde auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin

Bewegung - On a move!

Ich danke euch, daß ihr mir Gelegenheit gebt, heute bei euch zu sein.

Wenn wir über die Aussichten des Sozialismus in der amerikanischen Region nachdenken, dann gibt es sowohl positive als auch negative Tendenzen. Die positiven lassen sich in den Begriffen Krieg und Ökonomie zusammenfassen. Beide richten schwere Verwüstungen in den afroamerikanischen Gemeinden der Arbeiterklasse an. In solchen Zeiten sozialer und ökonomischer Krise halten die Menschen Ausschau nach Alternativen zu den Kräften, die diese Probleme verursachen.
Krieg und Ökonomie stehen jedoch auch für die negativen Tendenzen:
In Kriegszeiten werden reaktionäre und nationalistische Kräfte gestärkt, und der Staat arbeitet mit dem Mittel der Angst und zwingt so bestimmte Segmente der Bevölkerung, seine Hegemonie zu akzeptieren.
Das andere negative Element - die Ökonomie - führt einen Angriff bislang ungekannten Ausmaßes gegen die Armen, die Arbeiterklasse und sogar den Mittelstand. Vor kurzem hat der vormals als Bell of Pennsylvania bekannte Telekommunikationskonzern Verizon angekündigt, die Pensionen von 50.000 seiner Manager einzufrieren. Der gigantische Automobilkonzern General Motors ließ verlauten, er werde die Betriebsrenten von Tausenden seiner Arbeiter kürzen.
In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit fürchten sich die Menschen davor, die Herrschenden herauszufordern. Unter schwarzen Amerikanern ist das eigentliche Hindernis für eine sozialistische oder auch nur antikapitalistische Organisierung im Bereich der Kultur zu suchen. Beispielsweise hat die Massenpopularität des Gangsta-Rap bewirkt, daß sich in unseren Gemeinden niedere soziale Instinkte ausbreiten. Es wird populär, seinen Reichtum unter Einsatz aller Mittel zu mehren, Frauenfeindlichkeit oder Frauenhaß greifen um sich und das Dealen mit Drogen wird zum akzeptablen Lebensstil erklärt. Natürlich ist eine der Ursachen dafür die massenhafte Vernichtung von Arbeitsplätzen im produzierenden Sektor der US-Wirtschaft. Eine andere ist die kontinuierliche Klassenspaltung der Generation der Bürgerrechtsbewegung und der Generation, die auf sie folgte. Was die Ursache auch sein mag, das von der Rap-Musik propagierte gesellschaftliche Bewußtsein war kaum je unterentwickelter.
Aber wenn das schwarze Amerika derzeit auch in einem Zustand der Lähmung verharren mag, so kann man von den Völkern in América del Sur nicht das gleiche sagen. Lateinamerika ist in Bewegung: Da ist Kubas kontinuierlicher Widerstand gegen das US-Embargo und andere Formen der Sabotage durch Politik, Ökonomie und Medien. Und da sind natürlich die Menschen in Venezuela, die in Gang gesetzt haben, was sie nach dem Befreier Simon Bolivar ihre »Bolivarianische Revolution« nennen. Und jüngst erst brachte die gegen den Neoliberalismus gerichtete Bewegung in Bolivien Evo Morales in das Präsidentenamt und machte ihn somit zum ersten indigenen Regierungschef in der Geschichte dieser Republik.
Eine Welle aus linker Politik, Antiimperialismus und Sozialismus überflutet also den Kontinent. Das konnten wir sehr gut verfolgen, als George W. Bush seine letzte Rundreise durch Lateinamerika unternahm und massenhafte anti-amerikanische Demonstrationen hervorrrief, wie es sie seit langer Zeit nicht mehr gegeben hatte. Ich glaube, daß dies auch eine Folge des Krieges und seiner unerwarteten Konsequenzen ist. Das neoliberale Abenteuer in Irak hat Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen verbittert, weil sie den nackten Eigennutz erkennen, der hinter der Militäraktion am Golf steckt. Sie wissen, daß dieser ungezügelte Nationalismus eine globale Bedrohung darstellt und setzen ihm Tag für Tag einen stärkeren Widerstand entgegen. Sie wissen, daß Demokratie nur ein Wort ist, ein Code, der dazu benutzt wird, andere Länder aufzuknacken und ihre natürlichen und menschlichen Ressourcen zu verschlingen. Irak erteilt deshalb nicht weniger als Vietnam weltweit vielen Menschen unter den Armen, den Angehörigen der Arbeiterklasse und sogar einigen aus dem Mittelstand die Lektion, daß Imperien das Ende der Nation bedeuten - sowohl der Nation, die überfallen wird, als auch der, die den Überfall durchführt. Deshalb trägt imperiale Politik die Möglichkeit in sich, daß Menschen im Widerstand gegen sie Volksbewegungen aufbauen, die Volksmacht errichten und ein allgemeines Bewußtsein erlangen, daß Menschen vor Profit gehen.
Ihr in Europa erfahrt jetzt von der verhängnisvollen Ausbreitung geheimer CIA-Gefängnisse in Osteuropa und Nordafrika. Hier in den Vereinigten Staaten läßt die Regierung Telefone abhören, legt Geheimakten über Oppositionelle an, und die Bürgerrechte sind durch sie so stark bedroht wie seit dreißig Jahren nicht mehr.
Es ist Zeit für eine sozialistische, eine humanistische, eine ökologische Alternative. Eure Bestrebungen sind Teil der Welle, die kommen wird. Dafür danke ich euch.

On a move - Bewegung!
From death row - hier spricht Mumia Abu-Jamal aus der Todeszelle.

Übersetzung: Jürgen Heiser

(Aufgenommen am 2. Januar 2006 von Noelle Hanrahan, Prison Radio Project, San Francisco)

[Transkript von der Audio-CD; Dauer 4"35']

 
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