»Die größte Kundgebung gegen eine Hinrichtung«19.12.05 (von jW) Nach der Exekution von Stanley »Tookie« Williams: Die Bewegung gegen die Todesstrafe in den USA wird stärker. Ein Gespräch mit Angela Davis – geführt von Amy Goodman
junge Welt Nr. 298 vom 22. Dezember 2005 F: Sie waren am 13. Dezember die ganze Nacht vor dem Gefängnis von San Quentin, als Stanley »Tookie« Williams hingerichtet wurde. Was ist dort passiert? Das war die größte Kundgebung, die ich je gegen eine Hinrichtung erlebt habe. Tausende, die entschlossen waren, »Tookie« Williams' Geist lebendig zu halten. Junge Leute lasen bwechselnd aus seinem Buch und legten damit ein beeindruckendes Zeugnis ab, welche Lehren er uns über die Abkehr von Gewalt und Gangleben zurückgelassen hat. Als ich dort stand und mir vorstellte, was gerade in der Hinrichtungskammer passierte, wurde mir klar, daß wir am Beginn einer neuen Entwicklung stehen. Die Kampagne gegen die Todesstrafe wächst, denn der Kreis derjenigen, die Mahnwachen vor Hinrichtungen durchführten, war bislang recht klein. Aber dort in San Quentin war eine sehr große Zahl unterschiedlicher Menschen aus allen Altersgruppen versammelt. Trotz ihrer Trauer wirkten sie entschlossen, die Kampagne gegen die Todesstrafe, gegen das Gefängnissystem und den Rassismus fortzuführen und für Frieden, Gerechtigkeit und Gleichheit zu kämpfen. F: In seiner Ablehnung des Gnadengesuchs hatte Gouverneur Arnold Schwarzenegger als einen der Gründe für die Zweifel an Williams' Umkehr die Widmung in dessen Buch »Life in Prison« zitiert: »Für Nelson Mandela, Angela Davis, Malcolm X, Assata Shakur, Geronimo ji Jaga Pratt, Ramona Africa, John Africa, Leonard Peltier, Dhoruba al-Mujahid, George Jackson, Mumia Abu-Jamal und die unzähligen anderen Männer, Frauen und Jugendlichen, die ein Leben hinter Gittern erleiden müssen.« Schwarzeneggers Vorwurf: »Die meisten Personen auf dieser Liste haben Gewalt angewendet, einige sind wegen abscheulicher Morde verurteilt worden, auch wegen Polizistenmordes.« Er hob vor allem den Black Panther George Jackson hervor, der 1971 in San Quentin von Wärtern erschossen wurde. Sie selbst sind wegen einer Befreiungsaktion für Jackson verhaftet und angeklagt, aber freigesprochen worden. Was sagen Sie zu dieser Begründung? Der Entscheidungsprozeß ist bewußt politisiert worden, vor allem, indem Schwarzenegger das, was er Gesetzlosigkeit und Kriminalität nennt, mit radikalem politischen Handeln gleichsetzt. Es klingt zynisch, wenn Schwarzenegger anführt, Williams sei nicht geläutert, weil er Gesetzlosigkeit und Gewalt immer noch als ein legitimes Mittel zur Lösung gesellschaftlicher Probleme ansehe. Zynisch deshalb, weil sich »Tookie« Williams öffentlich zur Gewaltlosigkeit bekannt hat, diese Hinrichtung aber der schlimmste Beweis dafür ist, wie Gewalt als legitimes Mittel zur Lösung gesellschaftlicher Probleme eingesetzt wird. F: Was sagen Sie dazu, daß Schwarzenegger »Tookie« Williams vorgeworfen hat, er habe keine Reue gezeigt? »Tookie« Williams hat immer wieder gesagt, er bereue, was er in seiner Jugend angerichtet hat. Er hat aber auch immer wieder betont, daß er die vier Morde, für die er zum Tode verurteilt wurde, nicht begangen hat. Er hätte sich schuldig bekennen und um Verzeihung bitten können, um damit die Begnadigung zu erreichen. Aber er hat seine Unschuld bis zum Schluß beteuert. In der öffentlichen Debatte ist die Frage der Tatbeweise in seinem Prozeß kaum berührt worden. Niemand hat die belastenden Aussagen gegen Williams diskutiert, zum Beispiel die des Polizeispitzels, dem er die Morde gestanden haben soll. Es gab keine DNA-Tests, aber ich halte es auch für sehr gefährlich, wenn der einzige Unschuldsbeweis nur durch DNA erbracht werden kann. Das bedeutet nämlich, daß der sogenannte wissenschaftliche Nachweis der Unschuld sich als Bumerang für all jene erweisen kann, die solche Beweise nicht erbringen können. Das kann sich gegen unser Bestreben richten, die Todesstrafe abzuschaffen. Es soll niemand mehr vom Staat getötet werden, unabhängig von Schuld oder Unschuld. F: Sie sprechen in diesen Tagen in Paris. Worüber? Ich werde die Notwendigkeit einer verstärkten globalen Solidarität betonen. In Frankreich und überall in Europa ist die Ablehnung der Todesstrafe weit verbreitet, zunehmend in weiten Teilen der Welt. Senegal und die Elfenbeinküste haben die Todesstrafe erst kürzlich abgeschafft. Meine Botschaft ist also, daß der Staat Kalifornien »Tookie« Williams umgebracht hat, daß es ihm aber nicht gelingen wird, die Hoffnung auf eine bessere Welt auszulöschen. Angela Davis ist Professorin in Santa Cruz, Kalifornien, und Sprecherin der US-Kampagne gegen die Todesstrafe (Übersetzung: Jürgen Heiser) |
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