Grußbotschaft und Beitrag für die 9. Rosa Luxemburg Konferenz
12.01.04 (von maj) Am Samstag, dem 10. Januar 2004, war Mumia Abu-Jamal zum siebten Mal als Redner zur Berliner Konferenz eingeladen und konnte nur durch einen verlesenen Redebeitrag anwesend sein. Diesmal allerdings war seine Stimme auch über die Saallautsprecher der Fachhochscule für Wirtschaft und Technik zu hören. Mumia hatte seine Worte per Telefon an das Washingtoner Prison Radio Project übermittelt, wo sein Beitrag auf CD gebrannt und nach Deutschland geschickt wurde. Die Beiträge der gesamten Konferenz erscheinen am 28. Januar 2004 in einer Beilage der Tageszeitung junge Welt
[Der Beitrag gliedert sich in zwei Teile: die Grußbotschaft an die Konferenz, in der er sich auf Rosa Luxemburg bezieht, und den politischen Essay zum aktuellen Thema des Irak-Krieges. Er wurde übersetzt und verlesen von Jürgen Heiser]
[Teil 1]
Meine Freundinnen und Freunde!
Lang lebe John Africa! Bewegung! Ona Move!
Ich grüße die Versammlung der jüngsten Konferenz über das außerordentliche Leben von Rosa Luxemburg!
Ich danke euch für eure freundliche Einladung.
Wir alle sind beeindruckt und bewegt vom Mut und von der Entschlossenheit Rosa Luxemburgs, und wenn wir uns ihres Beitrages zum Kampf erinnern, fühlen wir uns erneuert und beseelt von ihrer Militanz. Noch Generationen nach ihrem Tod fährt sie fort, uns zu inspirieren.
Wenn sie mir in den Sinn kommt, dann greife ich immer wieder auf ihre Briefe zurück, die sie an Sophie Liebknecht geschrieben hat, die junge Frau ihres Genossen Karl Liebknecht. Dort finde ich nicht Rosa, die Militante, nicht einmal Rosa, die Märtyrerin. Wir finden Rosa, die Humanistin, Rosa, die Umweltschützerin, und Rosa, den Menschen, der nach Freiheit verlangt, Befreiung aus den Kerkern jener Zeit.
Ich bin oft selbst überrascht, wenn ich eine Passage finde, die mich tief berührt, und oft ist es eine Stelle, von der ich es gar nicht erwartet hätte.
Es war Ende Mai 1917, als sie im Gefängnis von Wronke [ in »Schutzhaft«] interniert war. Als ich im letzten Jahr zu euch sprach, zitierte ich aus einem anderen Brief von ihr, in dem sie sich mehr den Tieren als den Menschen zugewandt fühlte. Angesichts ihrer Gefangenschaft in einem Käfig verwundert das nicht.
Es hat mich bewegt, wie sie ihre Erfahrung beschrieb, einen Schmetterling zu finden, der in ihrer Zelle in der Falle saß. Sie schrieb folgendes an Sophie, die sie zärtlich auch Sonia oder Sonjuscha nannte:
»Was habe ich alles gestern erlebt!! Das muß ich Ihnen erzählen. Vormittags fand ich im Baderaum am Fenster ein großes Pfauenauge. Es war wohl schon ein paar Tage drin und hatte sich an der harten Scheibe zu Tode mattgeflattert; es gab nur noch schwache Lebenszeichen mit den Flügeln. Als ich es bemerkte, zog ich mich zitternd vor Ungeduld wieder an, kletterte aufs Fenster und nahm es behutsam in die Hände, - es wehrte sich nicht mehr und ich dachte, es sei wohl schon tot. Ich setzte es bei mir auf das Gesims vor dem Fenster, damit es zu sich käme, und da regte sich noch schwach das Lebensflämmchen, aber es blieb still sitzen; dann legte ich ihm vor die Fühler ein paar offene Blüten, damit es was zu essen habe; gerade sang vor dem Fenster hell und übermütig der Gartenspötter, daß es hallte; ich sagte unwillkürlich laut: hör zu, wie das Vöglein lustig singt, da muß dir doch auch das bißchen Leben zurückkehren! Ich mußte selbst lachen über diese Ansprache an das halbtote Pfauenauge und dachte mir: verlorene Worte! Aber nein - nach einer halben Stunde erholte sich das Tierchen, rutschte erst ein bißchen hin und her und flog endlich langsam fort!«
(Rosa Luxemburg: Briefe aus dem Gefängnis, Berlin 1920, S. 22-23)
Zeigt sich hier nicht das Wesen ihrer Liebe zum Leben? Wenn diese Gedanken mit den Menschen in der Umweltschutzbewegung geteilt würden, wieviele würden dann wohl von sozialistischen Ideen angezogen werden? Durch diesen Austausch lernen wir viel über die wahre Rosa Luxemburg. Und wir lernen auch viel über die Haftbedingungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In Wronke verbrachte Rosa - täglich! - über sechs Stunden draußen an der frischen Luft. Wie weit haben wir es gebracht, wenn die Gefängnisverwaltungen heute widerwillig nur noch ein bis zwei Stunden pro Tag zulassen?
Was uns alle auch nach fast einem Jahrhundert noch berührt, ist Rosa Luxemburgs starker Humanismus, ihre Freude am Leben, ihre Liebe zur Natur. Sie lehrt uns, wie wir unsere Gefühle für andere vertiefen und ausweiten können. Und wir lernen, daß dies der Urquell unserer politischen Ansichten ist.
Am Beginn des 21. Jahrhunderts sind wir alle gefangen, sehnen uns nach Befreiung aus dem Käfig des Kapitalismus und Neoliberalismus.
Wie das irakische Volk sind auch wir einer Besatzung unterworfen. Unsere Medien sind besetztes Territorium, unser Schulen sind besetztes Territorium. Es soll Ruhe herrschen im Land, hergestellt durch das Kriegsrecht und das Gesetz des Neoliberalimus und der kapitalistischen Globalisierung.
Wir alle brauchen eine Hand, die uns hilft, frische Luft zu bekommen.
Laßt uns von Rosa lernen und alle solidarisch zueinander stehen!
Bewegung! Ona Move!
Aus der Todeszelle,
hier spricht Mumia Abu-Jamal,
aufgenommen am 20. Dezember 2003
[Teil 2]]
»Ist die Welt ›sicherer‹ geworden?«
Im Mittleren Osten entscheidet sich die Frage, ob die derzeitige neokoloniale US-Strategie zum Durchbruch kommt oder am Widerstand bricht
Es ist jetzt acht Monate her, daß die US-Armee in die irakische Wüste einmarschiert ist - als Teil des Triumpfzuges des Westens im schon legendären »Zusammenstoß der Zivilisationen«.
Seither haben die Irakis einen Widerstand entwickelt, der Hunderte von US-Amerikanern das Leben kostete, die Vereinten Nationen zum Rückzug zwang und einige Länder davon Abstand nehmen ließ, eine Intervention in die Region auch nur zu versuchen.
Die USA begannen den Krieg unter Vorspiegelung verschiedener falscher Tatsachen:
a) dem »Krieg gegen den Terrorismus«;
b) Iraks Rolle bei der Unterstützung der Heiligen Krieger des 11. September; und
c) der »drohenden Gefahr« durch die irakischen Massenvernichtungswaffen.
Die Gefangennahme des irakischen Präsidenten Saddam Hussein hat die Medien und Politiker der USA zu wahren Freudentänzen veranlaßt. Das war wie ein zweiter Einmarsch in dieses Land. Die Gefangennahme Husseins macht deutlich, was es heißt, wenn die USA versuchen, eine neue Nation zu errichten.
Einer der amerikanischen Chef-Architekten des Kalten Krieges findet Bushs Doktrin der »vorbeugenden Schläge« [»preemptive strikes«] verbohrt. George Kennan nannte sie »vom Grundsatz her einen großen Fehler«. In einem wenig zur Kenntnis genommenen Artikel in dem Kongreß-Mitteilungsblatt »The Hill« erklärte Kennan, die Geschichte lehre uns, »daß man zu Beginn eines Krieges eine bestimmte Sicht auf die Dinge haben mag«, daß sich [kriegführende] Länder dann aber zwangsläufig Zielen zuwandten, »die ihnen zuvor niemals in den Sinn gekommen waren«. Der zweite Irak-Krieg, so Kennan, »hatte nichts mehr mit dem anfänglichen Krieg gegen den Terrorismus zu tun«.
Im weiteren unterzog Kennan den Konkreß einer harschen Kritik, weil diesem die schreckliche Verantwortung für die Kriegserklärung zufalle, den Kongreßmitgliedern der Demokraten gegenüber äußerte er sich aber besonders abweisend und nannte sie wegen ihres Verhaltens gegenüber Bushs Kriegsplänen »unanständig«, »schäbig« und »verzagt«. Kennan, zur Zeit des Interviews 98 Jahre alt, hat die US-Politik der »Eindämmung« [»containment«] der letzten fünfzig Jahre formuliert und war um 1952 US-Botschafter in Moskau und in den frühren sechziger Jahren US-Botschafter in Jugoslawien. Daß dieser unverfrorene Nationalist und konservative Denker sich derart
kritisch über den gegenwärtigen Kurs der USA äußert, spricht für sich. Ganz klar sieht Kennan, daß vom Handeln der US-Regierung eine »drohende Gefahr« ausgeht.
Glaubt angesichts der Gefangennahme Husseins wirklich jemand ernsthaft, daß der bewaffnete Widerstand gegen die US-Besatzung abnehmen wird? Saddam Hussein, Präsident des irakischen Staates für die Dauer einer Generation, war nicht der Motor des irakischen Widerstandes; er war nicht einmal der Anlasser. Dieser Widerstand wird angetrieben von der Präsenz und dem Verhalten der US-Besatzer in einem fremden Land. Der Widerstand wird angetrieben vom irakischen Nationalismus, nicht von der Liebe zur Herrscherfamilie der Husseins.
Nach Einschätzung eines Wissenschaftlers, der die gegenwärtige Lage im Irak analysiert hat, haben die Vereinigten Staaten dort so ziemlich alles falsch gemacht. Alan Sorensen, stellvertretender Chefredakteur des Magazins »Current History« erklärt:
»Das US-Militär hat es versäumt, genug Streitkräfte aufmarschieren zu lassen, für öffentliche Sicherheit zu sorgen, Plünderungen zu verhindern und die laufende Gesetzlosigkeit einzudämmen. Anfänglich hat das US-Militär einen unauffälligen und zurückhaltenden Koordinator ernannt (und später wieder entlassen), der den Wiederaufbau beaufsichtigen sollte. Es hat die Kosten der Wiederherstellung staatlicher Dienste und der Infrastruktur sträflich unterschätzt. Es versuchte, eine politische Leitfigur aus der Emigration, die über wenig Erfahrung in ihrem Geburtsland verfügte, einzusetzen. Das US-Militär hat es versäumt, wichtige Einrichtungen zu sichern, wie zum Beispiel Waffenlager, von denen viele immer noch unbewacht sind. Es hat wichtige Rohstoffe und Menschenpotentiale bei dem vergeblichen Versuch zerstört, Massenvernichtungswaffen zu finden. Es hat großen Unmut erzeugt, indem es die irakische Armee auflöste und die Soldaten in die Arbeitslosigkeit entließ. Es hat der irakischen Regierung kenntnisreiche Technokraten entzogen. Es hat die Türkei, den früheren imperialen Herrscher über Irak, dazu eingeladen, sich an der Besatzung zu beteiligen. Das US-Militär hat handverlesene US-Unternehmen bei der Vergabe nicht ausgeschriebener Aufträge bevorzugt. Es hat kläglich dabei versagt, eine effektive Diplomatie zu entwickeln. Es hat einen vor dem Einmarsch verfaßten Bericht des [US-]Außenministeriums ignoriert, der bereits damals mit bestürzender Genauigkeit viele der Herausforderungen darlegte, die jetzt die Behörden in große Bedrängnis bringen.«
(A.Sorensen: »The Reluctant Nation Builders«, in: »Current History«, Dec. 2003, S. 409)
Und in den USA wundert man sich, warum im Irak alles schiefläuft.
Der Grund dafür, warum dort alles schiefläuft, ist der, daß die ganze Sache von Beginn an schlecht überlegt war. Öffentlich verkauft als der »nächste Schritt« im »Krieg gegen den Terrorismus«, hat sich gezeigt, daß das Irak-Abenteuer weder damit etwas zu tun hat noch mit der Errichtung einer neuen Nation. Es geht vielmehr um die Errichtung des Imperiums, und Irak dient dabei als modellhaftes Demonstrationsobjekt. Die Unterwerfung dieses Landes soll andere Regime in der Region lehren, wozu die imperiale Macht der USA fähig ist.
Das ist es, worum es in Irak geht.
[Jürgen Heiser: Und ich ergänze an dieser Stelle, was Mumia Abu-Jamal am Ende seiner Kolumne in der jungen Welt vom 1. November 2003 zur Lösung dieses Problems gesagt hat:]
Man kann nicht an das Selbstbestimmungsrecht der Völker und an den Imperialismus gleichzeitig glauben. Diese beiden Sichtweisen sind nicht kompatibel.
Wahrhaft anti-imperialistisch zu sein bedeutet, zu organisieren, aber nicht Demonstrationen, sondern Massenbewegungen, die eine Alternative darstellen gegenüber dem tödlichen Status quo.
Es bedeutet, daran zu glauben und dafür zu kämpfen, daß eine andere Welt möglich ist.
Es bedeutet, die anderen Völker dieser Welt als uns ebenbürtig anzusehen.
Es bedeutet die Zurückweisung der Ideologie der weißen Vorherrschaft.
Es bedeutet eine Außenpolitik, die sich auf Demut statt auf Dominanz gründet.
Es bedeutet eine grundlegende Veränderung der Politik, die in den USA praktiziert wird.
Und das bedeutet Veränderung, Revolution.
Es bedeutet genau das, oder es bedeutet nichts.
Denn wenn diese Schritte nicht gemacht werden, dann werden noch Generationen in blutige und sinnlose Kriege gestürzt werden. Kriege, die auf der Basis von Lügen, Angst und Habgier im Interesse der wohlhabenden Eliten geführt werden.
Das bedeutet, unsere Kinder und Enkelkinder für Kriege der Ignoranz herzugeben. Es bedeutet in letzter Konsequenz endlosen Krieg!
Nein zum imperialistischen Krieg!
[Teil 2 erschien unter der Überschrift »Wanderung auf dem Grat« am 17. Januar 2004 in der jungen Welt]
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