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Kolumne 25.10.03: Erinnerungen an die Panthers

26.10.03 (von maj) In seinr 150. Kolumne in der jungen Welt erklärt Mumia Abu-Jamal einem jungen Mitgefangenen die Bedeutung der Black Panther Party

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 249, 25./26. Oktober 2003

In der Art und Weise, wie sich der junge Mann dem älteren näherte, ließ er den Rhythmus des Straßenlebens erkennen, der ihn gepägt hatte; dann legte er los:
»Hey, Alter, sach ma', stimmt's, daß du bei den Black Panthers wars'?«
»Jo.«
»Na und? Was war denn so los mit euch? Wart ihr 'ne Gang oder sowas? Spuck's aus!«
»Was? Meinste das erst? Wer bist'n eigentlich?«
»Die Mama von meiner Braut sacht, sie kennt dich von früher, und du hast bei denen mitgemacht. Was is'n dran an der Sache?«
»Also, junger Freund, es stimmt. Aber wir war'n keine Gang. Wir waren ' ne revolutionäre Organisation, die für die Befreiung des schwarzen Volkes eintrat und für Selbstverteidigung.«

Das Gespräch kam mir unwirklich vor. Es war die unerwartete Widerspiegelung der Auflösungserscheinungen des kollektiven Gedächtnisses im Kopf eines Mitglieds der neuen Generation. Er war ernsthaft interessiert, ein intelligenter, forscher, aber erbärmlich unwissender junger Mann. Ich fragte ihn: »Sag mal, hat die Mutter deiner Frau dir nichts über die Black Panther Party erzählt?«
»Doch, aber ich hab' ihr nich richtich zugehört. Ich hab sie labern lassen, bis se still war.«
Der junge Mann, der keinen wirklichen Bezug zur jüngsten Vergangenheit unserer Geschichte hatte, wollte nichts wissen von dem, was ihm ein früheres Mitglied der Panthers, die damals mitten drin war im Geschehen, zu erzählen hatte. Deshalb wußte er so gut wie gar nichts über diese Basisorganisation, die sich über das ganze Land ausgebreitet und radikalen Einfluß auf internationaler Ebene hatte.
Seine Schwiegermutter, die eng mit der Black Panther Party (BPP) zusammengearbeitet hatte und die viele ehemalige Panthers kannte, hatte versucht, mit dem Youngster zu reden, aber wie so oft, wenn Erwachsene etwas erzählen, kam es als trockenes, statisches Zeug einer vergangenen Generation rüber und stieß auf taube Ohren. Die Schulen, im festen Griff einer Generation, die die Bürgerrechtsbewegung pries, während sie die militante schwarze Bewegung verunglimpfte oder ignorierte, stellten auch keine Alternative dar. Deshalb war es diesem jungen Schwarzen, den eine natürliche Intelligenz und Wissbegier auszeichnete, nicht vergönnt, etwas über die Black Panther Party zu erfahren - bis er als Gefangener im Todestrakt landete.
Erst hier, eingesperrt in ein Schließfach aus Stahl und Beton, bekam er eine Idee von unserer vergessenen Geschichte und fing an, etwas über seine Herkunft zu lernen. Er las von der Geburt der Partei, ihrer berauschenden Blüte und ihrem tragischen Niedergang. Er lernte etwas von der Geschichte, die seine eigene ist, die Geschichte der in die Neue Welt verschleppten afrikanischen Sklaven, die sich der Unterdrückung in den USA widersetzen.
In einem der Bücher, die er hier las, beschrieben die beiden Wissenschaftler Jones und Jeffries 1998 unter dem Titel »The Black Panther Party« den Einfluß der Partei:
»Man kann mit Fug und Recht behaupten, daß die BPP als führende linke Organisation im afroamerikanischen Befreiungskampf das Interesse der unterdrückten Völker der ganzen Welt fesselte. Sie existierte als Organisation von 1966 bis 1982. Obwohl das nicht überall anerkannt wird, hinterließ die Partei ein reichhaltiges und facettenreiches Erbe, das spürbaren Einfluß auf den schwarzen Befreiungskampf ausübte. Das politische Vermächtnis der BPP besteht aus vier Komponenten: (1) das Recht zur bewaffneten Selbstverteidigung, (2) eine Tradition selbstorganisierter Versorgungsdienste in den schwarzen Gemeinden, (3) das Eintreten für das Selbstbestimmungsrecht aller Völker und (4) ein Modell politischer Aktion für unterdrückte Völker.«
Wie kann sich die so beschriebene Realität in eine verwandeln, in der ein junger Schwarzer bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr ahnungslos bleibt und fragt: »Wart ihr 'ne Gang oder sowas?«
Wenn es nach dem System ginge, dann ist das die einzige Frage, die jungen Leuten bezüglich der BPP in den Sinn kommen soll, denn die radikale und revolutionäre Geschichte der Partei, die zur gemeinsamen Geschichte aller Schwarzen und Radikalen gehört, kommt nur tröpfchenweise und zerstückelt an die Öffentlichkeit, vermittelt durch ein Mediensystem, das die Geschichte der Schwarzen in den USA bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Welche Bedeutung mißt man wohl den revolutionären Bewegungen der 60er Jahre in einer Zeit bei, in der eine der großen US-Fernsehanstalten eine Comedy über die furchtbare Zeit der Sklaverei ausstrahlt? Das Lernen aus der Geschichte ist deshalb ein wichtiges Mittel für unterdrückte Völker, weil es die Menschen mit Hoffnung erfüllen kann. Der iranische Wissenschaftler Farideh Farhi schrieb 1990 in seinem Buch »States and Urban-Based Revolutions: Iran and Nicaragua«:
»Konkrete historische Formen ideologischer Mobilisierung haben uns Anhaltspunkte für verschiedene Ressourcen gegeben, die Revolutionäre zur Mobilisierung einsetzen können. Die wichtigste Ressource ist die scheinbar ›gefährliche Erinnerung‹ an Konflikte und gesellschaftliche Ausschließung. Die Leiden der Vergangenheit werden so zu einer Anklage bestehender ökonomischer und politischer Systeme. Denn die Erinnerung an Widerstand und Hoffnung weist gleichzeitig auf aktuelle oder künftige Akte des Widerstandes und der Befreiung hin. Darin manifestiert sich die Möglichkeit zur Veränderung, und durch ihre kontinuierliche Erforschung lernt man besser zu verstehen, was den Widerstand in bestimmten historischen Situationen möglich macht.«
Nein, junger Freund, die Black Panthers waren keine Gang. Das ist es, was sie dich glauben machen wollen. Sie war eine aktive Gruppe schwarzer Brüder und Schwestern, die in den 6oer Jahren für ein menschenwürdiges Leben unseres Volkes gekämpft haben. Lerne unsere Geschichte, junger Freund. Lerne sie, damit du anderen jungen Männern und Frauen etwas beibringen kannst und diese Frage niemals zu hören bekommst.

Übersetzung: Jürgen Heiser

Mehr über die Geschichte der Panthers: Terry Bisson, On A Move - Die Lebensgeschichte von Mumia Abu-Jamal

 
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