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Kolumne 4.10.03: Die Qual der Wahl überwinden

06.10.03 (von maj) was hat die schwarze Bevölkerung in den USA von den kommenden Wahlen zu erwarten?

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 231, 4./5. Oktober 2003

»Für die Demokraten sind wir nicht, und die Republikaner wollen uns nicht. Können wir etwas anderes tun als ohnmächtig dazustehen und unsere leeren Hände zu ringen?«
Dr. W.E.B. DuBois in »An Act of Color« (1969)

Schaut man sich das Treiben des begonnenen Präsidentschaftswahlkampfs in den USA an, dann wird oft die Schmerzgrenze erreicht, insbesondere wenn man sich die Belange und Probleme der afroamerikanischen Bevölkerung und der Arbeiterklasse vor Augen hält. Beide gesellschaftlichen Gruppen werden ignoriert oder, wenn sie überhaupt wahrgenommen werden, dann spricht man mit ihnen als seien sie Idioten. Es gibt nur wenige in der politischen Elite, die den Status quo des schwarzen Amerika oder der Arbeiterinnen und Arbeiter in den USA verändern wollen.
Das hängt damit zusammen, daß in dieser Welt der politischen Gefälligkeiten niemand eine bestimmte Gruppe dadurch verprellen möchte, daß er einer anderen Versprechungen macht. Und was die Lage der Werktätigen betrifft, hat die Mehrheit der Politiker das Feld denjenigen überlassen, die den meisten Mammon anhäufen - der Kapitalistenklasse. Mit Ausnahme von Dennis Kucinich, der früher als »Bimbo-Bürgermeister« verhöhnt wurde und heute Senator der Demokraten für Ohio ist, ist NAFTA kein Thema. Das North American Free Trade Agreement hat mehr Arbeitsplätze in den USA vernichtet als die Flugzeuge, die am 11. September 2001 in die Türme des World Trade Centers gestürzt sind.
Wegen des NAFTA-Freihandelsabkommens und vergleichbarer Pakte, die der US-Wirtschaft Vorteile verschaffen, werden die Produktionsbereiche, in denen es am ehesten noch gutbezahlte Jobs gibt, in Billiglohnländer ausgelagert, wo Arbeitskräfte nur ein Zehntel, manchmal sogar nur ein Hundertstel von dem kosten, was in den USA gezahlt werden müßte. Die meisten Kandidaten, egal ob Demokraten oder Republikaner, verdanken die Finanzierung ihres Wahlkampfs den Spenden von Konzernen, die ihre Interessen wie geschildert durchsetzen. Den lukrativen Fluß dieser Gelder wollen die Kandidaten natürlich nicht selbst stoppen. Sie sind gekauft und sind sehr zufrieden damit. Jeder Hinweis auf diese Problematik wird als »Klassenkampfparole« abgetan.
Für Afroamerikaner, die überproportional in der Arbeiterklasse vertreten sind, bedeutet die momentane wirtschaftliche Lage, daß sie sich im freien Fall befinden. Vorausgesetzt, sie haben überhaupt einen Job, sind Millionen permanent nur eine Lohnzahlung von der persönlichen ökonomischen Katastrophe entfernt. Für sie ist die Rezession in den USA die reine Depression. Und das in einer Zeit, in der die Schulen einen schlechten Ruf haben wie seit Generationen nicht mehr. Das sind unheilvolle Vorzeichen für die kommenden Generationen, denn wenn es in der Bildung schiefläuft, welche Zukunftsaussichten hat jemand dann noch?
In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts hat der große Wissenschaftler und Aktivist W.E.B. Du Bois kein gutes Haar an den beiden Parteien gelassen. Er fand, daß sie es nicht wert waren, von Schwarzen unterstützt zu werden. In der Zeitschrift »Crisis« schrieb Du Bois:
»Ich halte es nicht für angebracht, eine der beiden alten, diskreditierten und bankrotten politischen Parteien zu unterstützen. Mit anderen Worten, wir sind gezwungen, das zu tun, was jeder ehrbare Amerikaner tun möchte - wir müssen unsere Unterstützung einer dritten Partei zukommen lassen, einer, die Charakterstärke und Anstand hat und über Ideale verfügt. Auf die gleiche Weise wie die beiden alten Parteien sich gegen uns zusammengeschlossen haben, um uns durch ihr ›gentleman's agreement‹ der Nichtbeachtung unserer politischen Macht zu berauben, egal wie wir wählen, haben sie sich auch darauf geeinigt, jede Stimme eines vorwärtsschauenden, denkenden und ehrbaren Amerikaners null und nichtig zu machen. Gegen diese selbstgefällige und idiotische Mißachtung der Forderung nach gesellschaftlichem Fortschritt ist im Land ein Aufbegehren zu spüren, das immer stärker um sich greift. Gott soll uns Dummköpfe schelten, wenn wir jemals wieder auf die Demokratische oder die Republikanische Partei vertrauen sollten.« (Du Bois, »An ABC od Color«, USA 1969, S. 124-25)
Du Bois schrieb diese Worte vor über 80 Jahren nieder. Wie wahr sie heute noch sind! Was die wichtigsten Themen dieses Landes angeht - Krieg, Frieden, soziale Gerechtigkeit, Todesstrafe, NAFTA usw. - , so klingen die Argumente der Kandidaten alle gleich, egal zu welcher Partei sie gehören. Denn in Wirklichkeit sind sie alle Mitglieder von ein und derselben Partei, der »Konzern-Partei«, denn es sind die Interessen der Großkonzerne, die sie vertreten. Die Armen, die Arbeiterklasse, die Großstadtjugend, die Senioren in den Städten und auf dem Land - sie alle sind auf sich selbt gestellt. Ökonomische Fragen sind nicht nur das Zeug, das auf den Wirtschftsseiten der Zeitungen steht. Es geht dabei immer um unser Leben, vor allem in Zeiten einer ökonomischen Rezession und wenn die Wirtschaftspresse den »Aufschwung« propagiert, ohne daß es wieder Arbeit für alle gibt.
Ist es nicht wirklich Zeit für eine dritte Partei? Eine, die nicht mit ihrer Nabelschnur an der Wall Street hängt? Ist nicht die Zeit für eine authentische Partei der Arbeiterinnen und Arbeiter gekommen, die wirklich die materiellen Grundprobleme im Interesse der arbeitenden Bevölkerung anpackt?
Wir sollten endlich über Lösungen nachdenken, oder wir werden in achtzig Jahren immer noch die Erkenntnisse von Dr. Du Bois zitieren.

Übersetzung: Jürgen Heiser

 
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