Interview mit Rechtsanwalt Robert R. Bryan24.10.03 (von ivk) Am 18. Oktober gab Rechtsanwalt Robert R. Bryan das folgende Interview, das am 24.10.03 stark gekürzt in der jungen Welt veröffentlicht wurde
Rechtsanwalt Robert R. Ryan vertritt Mumia Abu-Jamal seit dem Frühjahr als Hauptanwalt bei der Durchsetzung des Wiederaufnahmeverfahrens vor den Bundesgerichten. Ein ausführlicher Redebeitrag von Bryan, gehalten in Paris nach der Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Mumia Abu-Jamal, ist neben Beiträgen von Angela Davis, Pam Africa und anderen unter der Überschrift »Mumias Leben liegt in unseren Händen« (Teil I und II) auf www.freedom-now.de nachzulesen. Der Oberste Gerichtshof von Pennsylvania hat am 8. Oktober alle neuen Beweisanträge der Verteidigung abgelehnt und damit Mumia Abu-Jamals Begehren nach einem neuen Verfahren auf höchster staatsgerichtlicher Ebene zurückgewiesen. Hat diese Entscheidung Sie und Ihren Mandanten überrascht? Diese Entscheidung war keine Überraschung. Das liegt am politischen Charakter des Falles und der Voreingenommenheit des Gerichts. Ich habe mit Mumia bereits mehrfach über dien Gerichtsbeschluß gesprochen und ihn anfangs selbst gefragt, was er davon hielte. Er sagte, er sei nicht überrascht, aber natürlich sehr enttäuscht darüber. Man muß dazu wissen, daß Richter Castille, der an dieser höchstrichterlichen Entscheidung beteiligt war, bereits in einem früheren Stadium der Auseinandersetzung vor den Staatsgerichten von der Verteidigung wegen Befangenheit abgelehnt worden war. Er war vor seiner Wahl zum Richter als Bezirksstaatsanwalt tätig und war verantwortlich für einen Videolehrfilm, mit dem junge Staatsanwälte darin geschult wurden, wie man auf die Auswahl der Geschworenen Einfluß nimmt, um seinen jeweiligen Fall zu gewinnen. Es wurden darin auch Methoden empfohlen, wie man rassistische Vorurteile nutzt, um schwarze Kandidaten für die Jury abzulehnen. Damit ist ein Herzstück von Mumias Fall berührt. Deshalb hatte die Verteidigung versucht, Castille durch einen Antrag dazu zu bewegen, sich selbst für befangen zu erklären. Aber dieser Richter, der jahrelang für die Hinrichtung von Mumia eingetreten ist, entschied selbst, er sei nicht befangen. Hier trifft wieder das alte amerikanische Sprichwort zu, daß der Fuchs zum Hüter des Hühnerstalls gemacht wurde. Und nun zeichnet dieser Fuchs Castille auch für die letzte Entscheidung mitverantwortlich. Das ist absolut unfair und empörend. Das sagt eigentlich alles über die politische Ausrichtung des Obersten Gerichtshofs von Pennsylvania. Also keine Chance, Fairneß zu erreichen? Die jetzt abgelehnten Beweisanträge hatten zum Ziel, wenigstens eine Chance zur Fairneß zu erhalten, aber der Beschluß zeigt, daß das Gericht nicht bereit ist, auch nur einen Hauch von Fairneß zuzulassen. Ich hatte bei Gericht beantragt, meinem Mandanten wenigstens einen Tag einer fairen gerichtlichen Anhörung einzuräumen. Das wurde abgelehnt. Was macht die besondere Bedeutung von Sabos Äußerung aus? Die Zeugin hat sich bereits vor Jahren der Verteidigung offenbart. Wir wissen, daß Rassismus in diesem Verfahren eine große Rolle spielt, und ich weiß aus Hunderten von Todesstrafenverfahren, daß Rassismus dabei immer eine Rolle spielt. Aber es ist mir kein Fall bekannt, in dem ein Richter derart offen seinen Rassismus zu erkennen gegeben hätte. Deshalb ist die Äußerung von Sabo meiner Meinung nach einer der ganz zentralen Punkte dieses Verfahrens, der an die Essenz des Ganzen geht und zeigt, warum es überhaupt zu diesem Fehlurteil kommen konnte. Der vorsitzende Richter hat bereits vor der Entscheidung der Geschworenen klar seine Motivation zu erkennen gegeben und gesagt: Ich werde persönlich dafür sorgen, daß Mumia Abu-Jamal verurteilt und hingerichtet wird. Die Zeugin soll also auf keinen Fall gehört werden? Nein, weil ihre Aussage nicht nur den rassistischen Charakter des Verfahrens gegen meinen Mandanten entlarvt, sondern das ganze Justizsystem angeklagt. Also nicht nur dieser eine Richter, nicht nur Philadelphia und Pennsylvania, sondern das gesamte Justizsystem der USA wird durch diese Aussage angeklagt, denn die Justiz in Philadelphia unterscheidet sich nicht wesentlich von der in anderen Bundesstaaten. Wir wissen, daß das Justizsystem so funktioniert, und durch die Aussage der Zeugin haben wir dafür einen klaren Beweis. Und das wollen sie unter den Teppich kehren. Und der bereits erwähnte Richter Castille hatte in seiner Amtszeit als Staatsanwalt ein enges kollegiales Verhältnis zu Richter Sabo und will natürlich heute nicht, daß dieser Richter vor aller Welt als Rassist entlarvt wird. Vor Jahren wurde in den USA ein Gesetz erlassen, das es Gouverneuren zur Pflicht macht, nach höchstrichterlichen Entscheidungen in Todesstrafenverfahren vor den Staatsgerichten innerhalb von 90 Tagen einen Hinrichtungsbefehl zu unterzeichnen. Ist Mumia Abu-Jamal also jetzt wieder in unmittelbarer Gefahr, hingerichtet zu werden, oder wird das derzeit noch durch das vor den Bundesgerichten anhängige Berufungsverfahren gestoppt? Letzteres trifft zu. Das Berufungsverfahren vor dem Bundesgericht wird noch einige Zeit dauern, wenngleich auch das Verfahren durch den Beschluß des Obersten Gerichtshofs von Pennsylvania beschleunigt wird. Diese Entscheidung hat die Wahrscheinlichkeit, daß Mumia hingerichtet wird, erhöht. Man kann sagen, damit ist der Schnellzug wieder auf die Gleise gesetzt, die nach dem Willen des Staates in der Todeskammer enden sollen. Wie sieht nun die Perspektive auf der Ebene der Bundesgerichte aus und wo sehen Sie Chancen, die Verurteilung ihres Mandanten aufzuheben? Die Chancen stehen eigentlich nicht schlecht. Der Grund, warum ich mich ermutigt fühle, ist der, daß Bundesrichter Yohn im Dezember 2001 zwar nur einen Grund, nämlich die rassistische Voreingenommenheit bei der Geschworenenauswahl, zur Berufung zugelassen hat, daß es aber weitere gibt, die wir jetzt erneut vorbringen werden. Es geht dabei zum Beispiel um die Tatsache, daß Mumia die Hälfte der Zeit vom Verfahren ausgeschlossen war. Der wichtigste und für unser Vorgehen entscheidende Punkt ist und bleibt aber das gerügte rassistische Vorgehen der Anklagevertreter bei der Geschworenenauswahl. Mich macht dabei nur nervös, daß wir nur ein Ei im Korb haben. Wenn es zerschlagen wird, haben wir nichts mehr in der Hand und Mumia wird hingerichtet. Also müssen wir zusehen, mehr Eier in den Korb zu bekommen, das heißt, es müssen weitere Verfahrensrügen zur Berufung zugelassen werden. Was kann getan werden, das Erlangen eines juristischen Sieges im Berufungsverfahren zu unterstützen? Wenn es eine vernünftige öffentliche Unterstützung gibt, das heißt, wenn es uns also gelingt, die Unterstützung sowohl in Deutschland und Europa als auch in den USA zu intensivieren, dann ist damit zwar noch nicht der Sieg erreicht, aber die Gerichte fühlen sich eher zur Aufhebung eines Urteils gedrängt, wenn es ein Klima gibt, das eine solche Entscheidung zwingend macht. Wenn also die Öffentlichkeit ihre Forderung deutlich macht, daß endlich Gerechtigkeit in diesem Verfahren walten soll, dann erhöht das die Wahrscheinlichkeit, daß die Argumente des Verteidigers ernst genommen werden. Deshalb war ich so ermutigt, als ich vor zwei Wochen aus Paris zurückkam, wo Mumia zum Ehrenbüger ernannt worden war. Es war großartig, daß Menschen wie Angela Davis und Bürgermeister Delanoë öffentlich die Forderung aufstellten, daß sie endlich Fairneß in diesem Verfahren sehen wollen. Wichtig war auch die Teilnahme der deutschen Delegation, die extra angereist war, um diesem Festakt und der für den Nachmittag anberaumten Podiumsdiskussion beizuwohnen. Das zeigt, daß die Solidaritätsbewegung nicht auf Paris und Frankreich beschränkt ist, sondern in vielen Ländern der Welt wie in Deutschland lebendig ist. Die USA und die Gerichte haben großen Respekt gerade vor dem, was in Deutschland geschieht. Die Reputation der öffentlichen Meinung in Deutschland hat verschiedene Gründe. In diesem Zusammenhang hat Angela Davis es in Paris ganz gut erklärt, als sie nach meinem Hinweis, wie wichtig für uns Verteidiger eine starke Solidaritätsbewegung ist, erklärte, daß es die internationale Bewegung war, die ihre Freiheit erkämpft hat, und nicht allein ihre exzellenten Anwälte. Die Solidaritätsbewegung habe damals die Atmosphäre erzeugt, in der eine faire Jury gewählt werden konnte und auch der Richter sich zu fairem Verhalten genötigt sah. Das ist genau das, was wir auch in Mumias Fall brauchen. Das ermutigt mich, und ich sehe, daß die Solidaritätsbewegung gerade in diesem Jahr wieder zu wachsen begonnen hat. Das haucht auch dem neues Leben ein, was ich als Anwalt zu tun habe, um das Leben dieses Mannes zu retten, der jetzt, während wir hier sprechen, unschuldig in der Todeszelle sitzt. Interview und Übersetzung: Jürgen Heiser |
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