Flucht vor Protesten
08.07.03 (von jh) US-Präsident sprach am Unabhägigkeitstag nur vor Militärs. Mobilisierung gegen die Wahingtoner Politik und Solidarität mit Mumia Abu-Jamal
junge Welt Nr. 156, 8. Juli 2003
Der 4. Juli ist seit 1776 US-amerikanischer Unabhängigkeitstag und als »Fourth of July« ein stehender Begriff für den Nationalfeiertag der USA. Fähnchen, Paraden, pathetische Reden gab es schon immer reichlich, aber jetzt, in Zeiten des Krieges und »weltweiter Bedrohung der amerikanischen Lebensart«, geht es um mehr. Vergangenen Freitag sollte das neue National Constitution Center in Philadelphia am Nationalfeiertag eingeweiht werden und George W. Bush sollte zur Eröffnung feierlich das Band durchschneiden. Er wollte es sich eigentlich nicht nehmen lassen, bei diesem Anlaß ein paar passende Worte an die Nation und die Welt zu richten. Die Gelegenheit schien günstig. Denn Philadelphia soll zu einem neuen Symbol gemacht werden: Mit der Einweihung des National Constitution Centers soll daran erinnert werden, daß hier, in der »Stadt der brüderlichen Liebe« die erste Verfassung, die Bill of Rights, verkündet wurde. Für ein Imperium, das über keine Schlösser und andere geschichtsträchtige Herrschaftsdenkmäler verfügt, gleichzeitig der Welt aber sein Rechtsverständnis als Blaupause aufoktroieren möchte, eine scheinbar segensreiche Alternative.
Die Vorfreude wurde bereits getrübt, als Kritiker des neuen Verfassungszentrums darauf hinwiesen, seine Mauern seien auf den Grabstätten von Sklaven errichtet worden.
Doch damit nicht genug: Seit Wochen mobilisierte ein breites Bündnis aus Antikriegs- und Umweltschutzbewegung, Gewerkschaften gegen Sozialabbau und Ausdehnung der 40-Stunden-Woche und Todesstrafengegnern dafür, diesen 4. Juli in eine machtvolle Demonstration gegen die Bush-Regierung zu verwandeln. Man sei nicht gegen die in der Bill of Rights festgeschriebenen Bürgerrechte, so ein Sprecher des Bündnisses, sondern dagegen, die Verfassung »zu einer Disney-Attraktion zu machen und gleichzeitig die von den Gewerkschaften und der Bürgerrechtsbewegung erkämpften Rechte abzuschaffen«.
Bereits am 15. Februar 2003 waren anläßlich des Internationalen Aktionstag gegen den drohenden Irak-Krieg 15.000 Menschen in Philadelphia auf die Straße gegangen. Robert Smith, Sprecher der Brandywine Peace Community: »Wer sich am 4. Juli wirklich für die Freiheit engagiert, ist unter jenen zu finden, die sich weiterhin Bushs Politik widersetzen. Wir haben genug von Gesetzesveränderungen wie dem USA Patriot Act, der eine Lunte an unsere Grundrechte legt!«
Bei der Auftaktkundgebung begrüßte Babette Joseph, Abgeordnete der Republikaner in Pennsylvania, die über zehntausend Demonstrationsteilnehmer mit den Worten: »Anders als die Person im Weißen Haus bin ich tatsächlich in das Amt gewählt worden, das ich ausübe!«
Sie erntete großes Gelächter der Menge und erklärte weiter, es fiele ihr schwer, die Wörter »Bush« und »Präsident« in einem Atemzug zu nennen.
Die New Yorker Rechtsanwätin Lynn Stewart, gegen die Justizminister Ashcroft im letzten Jahr ein Verfahren wegen »Terrorismus« angestrengt hat, weil sie muslimische Gefangene verteidigt, sagte auf der Kundgebung mit Bezug auf die Unabhängigkeitserklärung der USA von der britischen Krone, daß der Kampf heute darum gehe, die Besatzungsregimes in Palästina und Irak zu beenden. Lynn weiter unter großem Beifall : »Und bei allem dürfen wir Mumia Abu-Jamal nicht vergessen. Er ist unschuldig und gefangen im Todestrakt. Gefangen hinter Betonmauern, während seiner Kinder erwachsen wurden. Freiheit für Mumia! No Justice, no Peace!«
Auf dem Marsch hielt der Demonstrationszug vor dem Amtssitz von Gouverneur Ed Rendell, der für die Hinrichtung von Mumia Abu-Jamal eintritt. Dort wiesen Rednerinnen der Kampagne für die Freiheit von Abu-Jamal auf seine Geschichte als Journalist der Black Panther Zeitung hin und daß er trotz seiner Gefangenschaft zu einer weltweit gehörten Stimme gegen den Kriegskurs der USA geworden sei.
Als Erfolg der Mobilisierung wurde gewertet, daß derUS-Präsident seine Teilnahme an der Jubelveranstaltung kurzfristig absagte und sich stattdessen auf das sichere Terrain einer Kaserne begab, um seine Ansprache zum Unabhängigkeitstag nur vor Armeeangehörigen zu halten. »Eine Kaserne scheint der einzige Ort zu sein, an den sich Bush seiner Meinung nach begeben kann, um massiven Protesten aus dem Weg zu gehen«, sagte Phoebe Jones Schellenberg von Global Women's Strike. »Aber es muß ihm klar sein, daß Veteranen und Angehörige von Soldaten an den Protesten hier beteiligt sind und sich damit den Reihen tausender Demonstranten anschließen, die sich in Opposition befinden zu Bushs Plänen von endlosem Krieg, Besetzung und andere Aspekte seiner Innen- und Außenpolitik. Wir sagen neín zu Bushs Prioritätensetzung auf die Finanzierung von Bombenkriegen gegen Menschen in anderen Ländern, während hier in Philadelphia, überall in den USA und auf der Welt Menschen nicht nur ihre Bürgerrechte, sondern alle Ressourcen vorenthalten werden, die sie zum Überleben, zu einer angemessenen Lebensführung und zur persönlichen Entwicklung brauchen.«
Auf der Abschlußkundgebung wurde zu weiteren Großdemonstrationen in Washington DC vom 25-28. September und vor dem Pentagon am 25. Oktober aufgerufen.
Jürgen Heiser
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