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Planvoll plündern

11.05.20 (von ivk-jw) Puerto Rico wird wie eine US-Kolonie behandelt und ökonomisch ausgebeutet. Das zeigt sich auch an dem von Washington in der 1980er Jahren entworfenen »Plan 2020«. Doch gegen soziale und ökologische Notlagen regt sich Widerstand

Link zum Artikel in junge Welt Nr. 109 vom 11. Mai 2020: Bitte HIER klicken!


Planvoll plündern


Die Bevölkerung der Karibikinsel Puerto Rico ist durch Naturkatas­trophen leidgeprüft. Im Herbst 2017 zerstörte Hurrikan »Maria« weite Teile der Insel und ihrer Infrastruktur, und im Januar 2020 verwüstete ein heftiges Erdbeben Gebiete im Süden des Landes. Kaum waren die Schäden beseitigt, wurden erste Coronavirusinfektionen gemeldet. Aktuell protestieren seit Wochen besorgte Bürger und Beschäftigte mit Onlineaktionen und Autokorsos gegen die Politik der Gouverneurin Wanda Vázquez und wegen der nur unzureichend ausgerüsteten und von den USA abhängigen Krankenhäuser und Notfallambulanzen.

Ironischerweise war Puerto Ricos ehemalige Justizministerin Vázquez im vorigen Sommer trotz des gegen sie geäußerten Korruptionsverdachts in das höchste Amt des Landes aufgerückt, weil ihr Vorgänger Ricardo Rosselló ausgerechnet wegen dieses Vergehens geschasst worden war. Seine Regierung soll mehr als 15 Millionen US-Dollar aus Subventionszahlungen der US-Regierung veruntreut zu haben. Die magere Finanzspritze sollte die Notlage von Bildungs- und Gesundheitsinstitutionen Puerto Ricos lindern. Ausgerechnet diesen Bereichen in prekärer Lage dringend benötigte Gelder vorenthalten zu haben, brachte die Volksseele zum Kochen. Hunderttausende demonstrierten im vergangenen Juli so lange gegen Rosselló, den Statthalter Washingtons in San Juan, bis er sein Amt als Gouverneur niederlegte.

Status als US-Außengebiet
Anders als Naturkatastrophen sind die politischen und sozialen Verhältnisse, mit denen sich die puertoricanische Bevölkerung auseinandersetzen muss, menschengemacht. Die sind so, seit Puerto Rico den neuen Herren in die Hände fiel, nachdem Washingtons Armee das Land der spanischen Krone 1898 als Kriegsbeute abgenommen hatte. In den folgenden 122 Jahren passten die USA die Form der kolonialen Abhängigkeit immer wieder den Gegebenheiten und der Stärke der Unabhängigkeitsbewegung an. Heute gilt Puerto Rico offiziell als »frei assoziiertes Außengebiet« der USA, aber fortschrittliche Länder wie Kuba sorgen in den Vereinten Nationen seit Jahrzehnten dafür, dass in regelmäßig verabschiedeten Resolutionen die Unabhängigkeit der De-facto-Kolonie der Vereinigten Staaten gefordert wird.

Die Brisanz des Kampfes um die nationale Souveränität zeigte sich mit erschreckender Deutlichkeit in den 1980er Jahren, als Informationen über eine weitere aus den USA drohende Zumutung öffentlich wurden. Damals wandte sich eine Basisinitiative namens »Taller de Arte y Cultura« aus dem kleinen Ort Adjuntas an die puertoricanische Bevölkerung der Region.¹ Diese »Kunst- und Kulturwerkstatt« aus der Bergregion der Kordilleren im Zen­trum der Insel warnte vor einem staatlichen Projekt, durch das sie die Zukunft des Landes gefährdet sah. Angefangen habe es, als Pläne durchsickerten, US-Konzerne wollten »siebzehn Tagebaue zum Abbau von Gold-, Silber- und Kupfervorkommen in den Gemeindegebieten der Ortschaften Adjuntas, Utuado Lares und Jayuya« errichten. Würde das verwirklicht, so die Aktivisten der Kulturwerkstatt, sei das für sich genommen schon »eine ökologische Katastrophe« und die konsequente Fortführung all dessen, was seit »1898 mit der militärischen Invasion und Besetzung Puerto Ricos durch die USA bis in die Gegenwart« eine Bedrohung »unserer nationalen und kulturellen Identität« gewesen sei, so Alexis Massol, Sprecher der Kulturwerkstatt. Doch es sei »etwas viel Größeres in Planung, was bislang der Geheimhaltung unterlag – der ›Plan 2020‹«. Dazu legte die Kulturwerkstatt eine Broschüre mit dem Titel »Der Plan 2020 und die Ausbeutung der Minen – Risiko für das Überleben Puerto Ricos« vor. Die darin enthaltenen Dokumente bewiesen, dass die Tagebaue, mit denen nach Angaben des Gouverneursamtes angeblich »viele Menschen in Arbeit kämen«, nur Teil eines umfassenderen Projektes waren, mit dem letztlich »die physische Zerstörung unseres nationalen Territoriums und aller Quellen unseres Lebens« bewirkt würde, so die Verfasser der Broschüre.

Der »Plan 2020«
Was die Kulturwerkstatt durch eigene Recherchen herausgefunden hatte, mutete auf den ersten Blick wie die Geschichte aus einem Science-Fiction-Roman an, erwies sich jedoch als todernst. Nach Einschätzung der Kulturwerkstatt war der »Plan 2020« zum einen in die Vorbereitung der »Caribbean Basin Initiative« (CBI) eingebettet, ein unter US-Präsident Ronald Reagan initiiertes Strategiekonzept für Handels- und Wirtschaftsbeziehungen mit den Ländern des Karibikraums, das am 1. Januar 1984 in Kraft trat.² Zum anderen sei der »Plan 2020« Ausdruck der Militärstrategie des für die Koordinierung und Führung aller militärischen Operationen der USA in Mittelamerika und der Karibik zuständigen Südkommandos der US-Streitkräfte (Southcom). Das Hauptquartier befand sich bis 1999 auf der Howard Air Force Base in Panama, aber einer der wichtigsten maritimen Kommandoposten befand sich auf dem US-Marinestützpunkt Roosevelt Roads Naval Station an der südöstlichen Küste Puerto Ricos.³

Offiziell sollte die Umsetzung des »Plans 2020« im Jahr 1985 beginnen, seine Erfüllung war, wie der Name angibt, für das Jahr 2020 vorgesehen. Die Vorplanungen und Vorarbeiten liefen schon seit Jahren. Ohne Kenntnis der Öffentlichkeit wurden Studien zur konkreten Umsetzung der Vorhaben erstellt und Maßnahmen zur Veränderung wichtiger Bereiche der Infrastruktur ergriffen. In enger Kooperation mit dem gegenüber Washington traditionell willfährigen Gouverneursamt in der Hauptstadt San Juan wurden zudem notwendige gesetzliche Grundlagen geplant und verabschiedet. Vor dem Hintergrund der militärstrategischen Bedeutung Puerto Ricos für die Karibik und für Mittelamerika war Southcom eng in alle Maßnahmen eingebunden.⁴

Im einzelnen ging es um die folgenden Schritte: den Ausbau der in den 1980er Jahren bestehenden 17 Marinestützpunkte auf Puerto Rico und der benachbarten Karibikinsel Vieques, wodurch damals bereits 13 Prozent des kultivierbaren Landes in militärische Sicherheitszonen verwandelt worden waren; die Errichtung von elf Industrieparks in Küstenregionen, in denen strategisch wichtige Industrien eng um die US-Militärbasen herum angesiedelt werden sollten; die forcierte Ausbeutung von Bodenschätzen wie Kupfer, Nickel, Kobalt, Mangan, Titan, Gold und Silber, die Förderung von Erdöl sowie den Abbau von Uranvorkommen; den beschleunigten Bau von 24 Staudämmen, um die Tagebaue, Minen, Industrie- und Förderanlagen mit ausreichenden Wassermengen versorgen zu können (wobei die Kulturwerkstatt betonte, dass die wahrscheinliche Verseuchung von 80 Prozent des Trinkwassers für die Versorgung der Bevölkerung nicht berücksichtigt wurde).

Kontrolle durch Sterilisation
Für die Großprojekte waren Ortschaften und ihre Bewohner im Weg. Also sollte die Migration, viele Menschen trieb es wegen der desolaten wirtschaftlichen Lage ohnehin auf das US-Festland, noch ausgeweitet werden: Die etwa fünf Millionen Menschen, die laut Anfang der 1980er Jahre erstellten statistischen Schätzungen bis zum Jahr 2000 auf der Insel leben würden, sollten um rund 3,5 Millionen »überflüssige Bewohner auf 1,5 Millionen im Jahr 2020« reduziert werden. Der »Plan 2020« sah deshalb auch eine verstärkte Fortsetzung der Massensterilisationen vor, in deren Folge seit den 1930er Jahren 40 Prozent der Frauen und 25 Prozent der Männer sterilisiert wurden.

Ein Flugblatt der grauen Literatur (nicht im Handel erhältliche Drucke, jW) aus den Archiven der Unabhängigkeitsbewegung trug die Überschrift: »Puerto Rico: ›La Operación‹ – ein Projekt imperialistischer Bevölkerungspolitik«. Es beschreibt, wie die US-Stiftung Rockefeller Foundation seit den 1950er Jahren in Puerto Rico bei der Gründung von 60 »Beratungszentren für Familienplanung« aktiv war. Diese Zentren etablierten kostenlose Sterilisationsprogramme in öffentlichen und privaten Kliniken, die nach einiger Zeit so bekannt waren, dass der Eingriff von der Bevölkerung schlicht »La operación« genannt wurde. Es gab noch keine Antibabypille, und die Beratungszentren warben damit, Sterilisation sei »die beste Verhütung«. Die Flugblattschreiberinnen klärten über die wahren Hintergründe auf: Hinter dieser »perfiden Art der Familienplanung« stehe eine seit den 1930er Jahren in den USA existente Philosophie, »die Armut als Symptom für minderwertiges Erbgut ansah«. Analog zu faschistischen Ideologien in Europa sollten »Arme, und ganz besonders arme Schwarze oder Latinos, möglichst wirkungsvoll an der Fortpflanzung gehindert werden«.⁵ Dass diese Ideologie auch den Geist des »Plans 2020« bestimmte, zeigte nach Auffassung der Kritikerinnen, dass »das Kolonialregime nicht nur den Anstieg der Bevölkerungszahl gering halten, sondern das Landesinnere weitestgehend entvölkern« wolle, um die Ausbreitung von Militärbasen, Minen und Industrieparks zu ermöglichen.

Politischer Hintergrund
Hintergrund und Anlass der Konzentration des »Plans 2020« auf die Ausbeutung der Bodenschätze war die permanente ökonomische Krise in dem sogenannten Außengebiet der USA, dessen Wirtschaft vor allem auf die Entwicklung der petrochemischen und der pharmazeutischen Industrie ausgerichtet war. Die Kolonialregierung Puerto Ricos suchte verzweifelt nach alternativen Konzepten, dieser permanenten Krise zu begegnen, um die Unzufriedenheit der Bevölkerung möglichst klein zu halten und nicht Gefahr zu laufen, durch eine erstarkende Unabhängigkeitsbewegung aus dem Sattel gehoben zu werden.

Gouverneure waren in dieser Zeit Rafael Hernández Colón von der Demokratischen Volkspartei (PPD), der das Land von 1973 bis 1977 und von 1985 bis 1993 regierte. Unterbrochen waren die drei Amtszeiten Hernández Colóns von einer Regierungsperiode mit Carlos Romero Barceló von der Neuen Fortschrittspartei (PNP) an der Spitze. Die war 1966 mit großer finanzieller Unterstützung aus den USA als Schwesterpartei der Republikanischen Partei gegründet worden. Die PPD existierte bereits seit den 1930er Jahren und stellte bis zum Auftauchen der PNP bis 1968 fast 30 Jahre lang die Gouverneure. Die PPD war stets dafür, Puerto Ricos Status als »frei assoziiertes Außengebiet der USA« beizubehalten. Beide bürgerlichen Parteien werden bis heute von der Unabhängigkeitsbewegung als »Kolonialparteien« abgelehnt, wobei die PNP vor allem deswegen bekämpft wird, weil sie ausdrücklich einen Status Puerto Ricos als 51. Bundesstaat der USA anstrebt.

PPD und PNP verband trotz ihrer unterschiedlichen Haltung zum Status Puerto Ricos eine große Vasallentreue zu den wechselnden US-Regierungen. Für die entscheidende Zeitspanne der Umsetzung des »Plans 2020« waren das die Amtszeiten der beiden republikanischen Präsidenten Ronald Reagan (1981–1989) und George Bush senior (1989–1993). Letzterer fungierte während beider Amtszeiten von Reagan als sein Vizepräsident und war in die Planungen zur »besonderen Verwendung« Puerto Ricos voll eingebunden.

Die Frage für die Strategen im Weißen Haus und im Pentagon war: Wie könnten ihre Vorhaben in die Tat umgesetzt werden, ohne heftigen Widerstand der Bevölkerung zu provozieren und international als rücksichtsloses Kolonialregime an den Pranger gestellt zu werden? Als Lösung schwebte den Verantwortlichen ein Geflecht von Maßnahmen vor, das der Bevölkerung als »Zukunftsmodell« präsentiert wurde – eben jenen »Plan 2020«.

Nach den Vorgaben der Reagan-Regierung versuchten PPD und PNP nach Kräften, diesen Plan umzusetzen und die damit angestrebte »wirtschaftliche Entwicklung« des Landes als »Gewinn für alle« zu verkaufen. Offiziell hieß es in einem »Memorandum«, der »Plan 2020« sei dem Vorhaben förderlich, »Investoren mit Kapital ins Land zu holen« und »Arbeitsplätze zu schaffen«. Sowohl die Kulturwerkstatt aus Adjuntas als auch die in diesem Kampf engagierte Sozialistische Liga Puerto Ricos (LSP)⁶ unter ihrem Generalsekretär, dem Nationaldichter Juan Antonio Corretjer (1908–1985), konterten diese Propaganda mit dem Argument, dass die sich ansiedelnden US-Firmen durch enorme Profite mehr Kapital aus dem Land herausholten, als in ihm zu investieren. Was die Schaffung von Arbeitsplätzen betraf, so wurden diese nach der ersten Phase eines Baubooms von Industrieanlagen vor allem mit Facharbeitern und Spezialisten aus den USA besetzt.

Ausbeutung der Ressourcen
Die interessierten US-Konzerne hatten vorrangig die Rohstoffvorkommen im Landesinneren ins Visier genommen. In den Bergen entspringen auch zahlreiche Flüsse. Sie sind die Basis der Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser, sollten jedoch künftig vor allem für die geplanten Minen und Industrieparks genutzt werden.

Die Nickelvorkommen auf Puerto Rico machten damals 40 Prozent aller Reserven auf Territorien aus, die von den USA kontrolliert wurden. In der ersten Phase sah »Plan 2020« die verstärkte Ausbeutung enormer Kupfervorkommen vor. Durch die Tagebaue entstanden riesige Krater von 600 Metern Tiefe und über zwei Kilometern Länge. Für eine Insel mit einer Ausdehnung von nur 56 Kilometern mal 160 Kilometern eine Katastrophe. Riesige Flächen kultivierbaren Bodens gingen für die Landwirtschaft verloren. Eine mittel- bis langfristige Rekultivierung der ausgebeuteten Tagebaue sah jedoch der auf 35 Jahre angelegte »Plan 2020« nicht vor.

Zu den US-Konzernen, die in Puerto Rico groß ins Geschäft einstiegen, gehörte unter anderem die Kennecott Copper Corporation, die weltweit verurteilt wurde, weil sie den Militärputsch im September 1973 in Chile unterstützt hatte, um wieder an ihre von der sozialistischen Regierung Salvador Allendes verstaatlichten Kupferminen zu kommen. Außerdem die Anaconda Copper Mining Company, die 1977 mit dem Ölmulti Atlantic Richfield Company (Arco) fusionierte.

Der Abbau der Kupfervorkommen hatte bis Ende der 1980er Jahre besonders katastrophale Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der Bevölkerung. Alexis Massol von der Kulturwerkstatt, von Beruf Ingenieur, erklärte dem Verfasser Anfang der 1990er Jahre während des Besuchs einer Solidaritätsdelegation aus der BRD den Grund, warum die Kulturwerkstatt die »Antiminenkampagne« ins Leben gerufen hatte: »Kupfer ist am gefährlichsten, wenn es in Schwefelmineralen gebunden vorkommt. In dieser Form setzt es Schwefelsäure frei, wenn es mit Sauerstoff in Kontakt kommt, und verseucht Grundwasser und Flussläufe.« Das sei gerade in Puerto Ricos Bergregion besonders schlimm, »da hier viel Regen fällt«. Es käme zu starken Verunreinigungen von Land und Wasser. Folge sei »die totale Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts und ein Anstieg der Temperatur im Atlantischen Ozean in unmittelbarer Nähe der Insel«.

Für die Elektizitätsversorgung der Minen und Erzschmelzöfen sah der »Plan 2020« den Bau von Kohlekraftwerken in den Orten Aguada und Aguire vor. Mangels Vorkommen auf der Insel wäre die Kohle für die Kraftwerke aus den USA und Kolumbien importiert worden. Auch dagegen habe sich auf der Insel »eine breit gefächerte Umweltschutzbewegung gerichtet«, die den Kampf »entschlossen zusammen mit der betroffenen Bevölkerung« geführt habe, berichteten Massol und seine Mitstreiter den Unterstützern aus Deutschland.

Erfolgreiche Gegenwehr
Was zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen war, entwickelte sich bis 1995 sprunghaft. Schon durch die ersten Bauphasen der Projekte des »Plans 2020« und vor allem die Umweltzerstörung durch die Tagebaue war die betroffene Bevölkerung alarmiert und nahm den Kampf auf. Unterstützt wurde die »Antiminenkampagne« von den erfahrenen Kräften der Unabhängigkeitsbewegung. Diese vertraten die Meinung, der Kampf müsse über den unmittelbaren Widerstand gegen die Minen und Kohlekraftwerke hinausgehen. Die koloniale Unterdrückung Puerto Ricos sei die eigentliche Wurzel des Übels. Auch für die Aktivisten der Kulturwerkstatt war klar: »Nur ein Kampf für die Unabhängigkeit, der mit allen Mitteln geführt« werde, könne »das Überleben der puertoricanischen Bevölkerung« auf ihrer Insel sichern. In einem »unabhängigen, sozialistischen Puerto Rico« würden Bodenschätze nicht abgebaut, »wenn damit die Zerstörung der Umwelt und die Vergiftung der Menschen den wirtschaftlichen Nutzen« übersteige.

Der Kampf gegen den »Plan 2020« richtete sich auch und gerade gegen die perspektivisch für die Industrieparks anvisierte Zusammenarbeit der pharmazeutischen und der chemischen Industrie mit Rüstungsbetrieben und der Militärforschung. Diese zu verhindern, sei schon wegen negativer Beispiele aus der Vergangenheit nötig, wie eine Aktivistin der Kulturwerkstatt damals erläuterte. Zwischen 1962 und 1968 ließ das US-Verteidigungsministerium in Puerto Rico Experimente mit Herbiziden durchführen. Gebiete bei El Yunque und Toro Negro, die später für die Ansiedlung von zwei der elf Industrieparks ausgesucht wurden, waren entwaldet worden, als dort »Agent Orange« für den Einsatz im Vietnamkrieg getestet wurde.

Bei El Yunque im Osten der Insel waren zwischen 1965 und 1967 »zu Forschungszwecken« auch Experimente mit radioaktiver Strahlung durchgeführt worden. Auftraggeber waren die Atomenergiekommission und das US-Verteidigungsministerium, die dort in der Nähe der US-Marinebasis Roosevelt Road den Effekt der Strahlung auf Vegetation und Tiere testeten. Im Oktober 1983 berichtete die Tageszeitung San Juan Star, »Wissenschaftler aus den USA« kehrten »von Zeit zu Zeit« immer noch nach El Yunque zurück, um die Auswirkungen des »Fallouts kleiner Atomexplosionen aus den 1960er Jahren« zu untersuchen.

Im Jahr der ursprünglich geplanten vollständigen Umsetzung des »Plans 2020« kann ohne Übertreibung gesagt werden, dass dieses umfassende Vorhaben der im Sinne Washingtons agierenden Kolonialparteien in Puerto Rico gescheitert ist. Für die Kulturwerkstatt »Taller de Arte y Cultura« in Adjuntas und ihre Verbündeten steht fest, dass der »Plan 2020« schon in seiner ersten Phase des Kupfertagebaus bis 1995 »am breiten Volkswiderstand gescheitert ist«. Dazu heißt es heute auf der Internetseite der »Casa Pueblo«: »Nach 15 Jahren des Kampfes errangen die Menschen in Puerto Rico 1995 einen großen Sieg gegen die Regierung, die den Bergbau einstellen musste.« Gerettet worden seien vor der Zerstörung durch den Tagebau nicht nur »36.000 Hektar Land, Gewässer und ein über Jahrhunderte entstandenes Gemeinschaftsgefüge«, sondern auch »El Bosque del Pueblo«, der »Volkswald«. Dieses Gebiet, das dem Kupfertagebau geopfert werden sollte, sei auf Initiative der »Casa Pueblo« seit 1996 als neues Naturschutzgebiet gesetzlich geschützt und werde »als erster und einziger Wald in der Geschichte Puerto Ricos gemeinnützig bewirtschaftet«.

In einem Beitrag der sozialistischen Wochenzeitung Claridad aus Anlass der per Gesetz von Washington über Puerto Rico und seine Schuldenkrise verhängten Kontrolle durch eine US-Aufsichts- und Regulierungsbehörde vertrat Alexis Massol im Juli 2017 erneut seine Position, dass der »Plan 2020« gescheitert und »von der Bevölkerung gestoppt worden« sei.

Ihm entgegnete die Wirtschaftswissenschaftlerin Martha Quiñones von der Universität von Puerto Rico in Arecibo, die US-Regierung würde heute über das »Junta« genannte »Fiscal Control Board« (FCB) de facto die Kontrolle über das krisengeschüttelte Land ausüben. Das FCB sei quasi die aktuelle Form dessen, was in den 1980er Jahren mit dem »Plan 2020« beabsichtigt war. Auch aktuell gehe es Washington darum, zur Schuldenreduzierung »in Gemeinden die Bevölkerung zu reduzieren, Enteignungen zu erleichtern, um Investoren durch Steuerbefreiungen anzulocken«. 20 Prozent der Bevölkerung seien arbeitslos, und »70 Prozent lebten von Lebensmittelmarken«. 85 Prozent der Wirtschaft der Insel würden »von multinationalen Unternehmen mit Sitz in den USA kontrolliert«. Die »Junta« habe die Inhalte des »Plans 2020« aktualisiert, »um ihn an die Bedürfnisse des heutigen Kapitalismus anzupassen«.

Den Fakten widersprach Massol nicht, indes sei der »Plan 2020« als »ein regionales Wirtschaftsmodell der Vergangenheit« ganz klar gescheitert. Der aktuelle Plan sei »reiner Kolonialismus aus Washington« ohne jedes Entwicklungsmodell für Puerto Rico. Das Land bleibe weiterhin dazu verurteilt, »eine Konsumentenkolonie mit ein wenig Subsistenzwirtschaft zu sein«. Aber trotz dieses bedrückenden Zustands zeigte sich Massol zuversichtlich: »Unser Land ist lebendig, und ich bin sicher, dass es weiter positive Initiativen von der Basis des Volkes geben wird.«

Anmerkungen

1 Heute heißt das Projekt »Casa Pueblo« – »Volkshaus«; siehe https://casapueblo.org
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2 1990 wurde CBI mit dem »Caribbean Basin Economic Recovery Expansion Act« (CBI II) zu einer ständigen Einrichtung

3 Seitdem befindet sich das Southcom-Hauptquartier in Miami, Florida, und seit Schließung der Roosevelt-Roads-Basis 2004 wurde der Kommandoposten nach Fort Buchanan an der Nordküste Puerto Ricos in Guaynabo verlegt. Von etwa 800 US-Militärstützpunkten auf der Welt befinden sich aktuell 76 in Lateinamerika und der Karibik, unter anderem in Kolumbien, Panama, Peru und Puerto Rico (Quelle: https://amerika21.de/2019/04/225563/­sipri-aufruestung-amerika-usa-brasilien)

4 Siehe jW-Thema zu Puerto Rico vom 24.9.2003: »Drehscheibe weltweiter Interventionskräfte«

5 Vgl. Archiv 1992 e. V. (Hg.): »Kolonie der USA? – Puerto Rico libre!«, Transatlantische Schriften, Bremen Mai 1991, S. 22

6 Die Liga Socialista Puertorriqueña ging 1962 aus der von den USA unterdrückten Partido Nacionalista de Puerto Rico (PNPR) von Pedro Albizu Campos hervor und löste sich 1989 auf

 
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