Mumia Abu-Jamal interviewt die US-amerikanische Anwältin Lynne Stewart21.12.02 (von jW) Die junge Welt veröffentlichte in ihrer Wochenendausgabe vom 2./3. November 2002 ein Interview, das der inhaftierte Journalist Mumia Abu-Jamal aus dem Todestrakt mit der verfolgten Menschenrechtsanwältin führte.
Freedom Now! Online Bulletin Nr. 14/1. Januar 2003 Lynne Stewart vertritt Sheikh Omar Abdel Rahman, einen aus Ägypten stammenden blinden muslimischen Geistlichen, der 1995 zusammen mit neun Mitangeklagten in einem achtmonatigen Prozeß wegen eines Bombenanschlags auf das World Trade Center zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Mumia Abu-Jamal hat das Interview im Rahmen seiner einmal im Monat erlaubten Telefongespräche aus dem Gefängnis geführt.
LSt: Das Justizministerium hat entschieden, daß Dinge, die ich im Rahmen meiner anwaltlichen Tätigkeit erledigt habe, neuerdings gesetzwidrig sind. Sie erfüllen jetzt Straftatbestände, damit andere Anwälte abgeschreckt werden und sich nicht mehr voll und ganz für die Verteidigung ihrer Mandanten einsetzen. Ich habe nichts anderes gemacht als im Namen meines Mandanten eine Presseerklärung herauszugeben. Die Justiz behauptet nun, ich habe mit dieser Presseerklärung »materiell eine terroristische Vereinigung unterstützt«. Und da die Justiz nun im Nachgang zu dieser Beschuldigung gegen mich auch viele andere Anwälte wegen desselben Delikts angeklagt hat, scheint dieser Pauschalvorwurf grenzenlos anwendbar zu sein. MAJ: Geht es hierbei also im Wesentlichen um den Vorwurf verbotener Kommunikation Ihres Mandanten mit der Außenwelt? LSt: Sie mußten uns zunächst bestimmten Gefängnisregularien unterwerfen. Das ist etwas, worunter auch der Gefangene Leonard Peltier vom American Indian Movement leidet, nämlich das sogenannte »Special Adminstrative Measure«, also eine spezielle Verwaltungsanordnung. Die muß von Verteidigern und ihren inhaftierten Mandanten unterzeichnet werden. Sie besagt, daß der Anwalt nicht im Auftrag seines Mandanten mit den Medien kommunizieren darf.. Auf diese Weise wird der erste Verfassungszusatz über die Presse- und Meinungsfreiheit ausgehebelt. Mit anderen Worten: Sheik Omar Abdel Rahman ist in Minnesota eingelocht worden, aber er durfte außer mit seinen Anwälten und seiner in Ägypten lebenden Frau mit niemandem kommunizieren und das auch nur einmal im Monat. In Anfechtung dieser Regularien haben wir zahlreiche Presseerklärungen herausgegeben, aber erst jetzt wurde das in einen gerichtsverwertbaren Straftatbestand umgewandelt. MAJ: Ist das nicht ein offener Verfassungsbruch? LSt: Sie haben völlig recht. Aber das geschieht unter dem Deckmantel der »Sicherheit der Anstalt« und wird gegenwärtig natürlich mit der Sicherheit der gesamten Nation begründet. MAJ: Bedeutet das also, daß die Regierung ihre Verteidigergespräche überwachen läßt? LSt: Ja, denn diese Presseerklärung datiert von Mai 2000. In den darauffolgenden sechs Monaten gab es ein ständiges Hin und Her bezüglich der Frage, ob wir Anwälte das Gefängnis wieder betreten durften. Als sie uns schließlich wieder hineinließen, hatten sie zwischenzeitlich Kameras und Tonbandgeräte installiert. Alle Gespräche zwischen mir und Sheik Omar im Gefängnis oder über Telefon wurden aufgezeichnet, unter völliger Mißachtung des verfassungsmäßig garantierten Anwaltsgeheimnisses. Wir haben immer gewußt, daß wir abgehört werden, hätten aber nicht gedacht, daß sie das als Basis für künftige Anklagen nutzen würden. MAJ: Kolleginnen und Kollegen von Ihnen haben scharfen Protest gegen diese jüngsten Regierungsmaßnahmen eingelegt. LSt: Die New York Times hat einen Artikel veröffentlicht, in dem behauptet wird, die Linke sei schon seit ein paar Jahren tot in diesem Land, aber wir leben und wir haben eine überwältigende Unterstützung erhalten und zwar nicht nur von den sogenannten linken und radikalen Anwälten von der National Lawyers Guild und ähnlichen Organisationen, sondern auch von den normalen Durchschnittsanwälten, die genau wissen, daß dann, wenn wir unsere Arbeit in diesem rasisstischen Strafjustizsystem nicht mehr tun können, so wie wir es immer getan haben, dann gibt es kein Recht mehr, das noch zu verteidigen wäre. Wir haben deshalb eine unglaubliche Unterstützung bekommen. MAJ: Gut zu wissen. Aber wir sollten noch klarstellen, daß es sich hierbei nicht um die Beschneidung von Verteidigerrechten handelt, sondern um die von Beschuldigtenrechten, daß also Tausende, möglicherweise Millionen davon betroffen sind. LSt: Ja, es geht nicht darum, ob einem das passieren kann oder nicht, sondern darum, wenn es passiert, wen kann man dann noch rufen? Es wird keine Anwälte mehr geben, die einem beistehen. Die Idee einer linken Verteidigung wird verschwinden, wenn sie uns einen nach dem anderen aus dem Verkehr ziehen. Aber das ist für mich das Wesen dieser Arbeit, wie wir sie in den 60er, 70er und 80er Jahren gemacht haben, daß wir Menschen wie Sie verteidigen in diesen politischen Verfahren. MAJ: Die Telefonzeit ist um. Es war mir ein Vergnügen, mit Ihnen zu reden. Sie haben meine volle Unterstützung. Ich bewundere Ihre Arbeit. LSt: Mumia, lassen Sie mich sagen, daß ich Sie auch von ganzem Herzen unterstütze. Ich sitze hier vor einem sehr schönen Transparent mit der Aufschrift: »Free Mumia and all political prisoners«. Ich werde die Arbeit, die ich seit 30 Jahren mache, fortsetzen. MAJ: Und wir werden ein neues Transparent malen, auf dem steht: »Free Lynne Stewart«. LSt: Ich habe nichts dagegen. MAJ: Alles Gute und vielen Dank für das Gespräch.
Übersetzung: Jürgen Heiser |
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